Titelthema Infrastruktur
Desaströser Zustand der ÖPNV-Infrastruktur
12. Feb 2014
Während Berlin und Hamburg per Gesetz zu Millionenstädten zusammengeschlossen wurden, ist eine „Ruhrstadt“ nie gegründet worden. So reihen sich dort noch heute die einzelnen Großstädte aneinander, welche allesamt über einen eigenen Bürgermeister und Stadtrat mit einer eigenen Politik verfügen. Während die Bürger über Verwaltungsgrenzen hinweg pendeln, enden an ebenjenen Grenzen Zuständigkeiten und Fördermittelzusagen. Verkehrspolitik „aus einem Guss“ gibt es höchstens beim Autobahnbau – der liegt allerdings auch in der Zuständigkeit von Bund und Ländern.
Über die Streitigkeiten in Mülheim war bereits in Signal 4/2013 zu lesen. Nun ist es dort zu einer (vorläufigen?) Einigung mit der Bezirksregierung gekommen, und die Lokalpolitik hat es unter größten Anstrengungen geschafft,
den lange überfälligen Nahverkehrsplan zu verabschieden. Er wirkt wie aus einer anderen Zeit: Straßenbahnstrecken sollen stillgelegt und Takte ausgedünnt werden. Alles unter dem Diktat, die Ausgaben im ÖPNV zu senken und den „günstigeren und flexibleren“ Bus einzusetzen, der sich dann natürlich auch ganz schnell komplett streichen lässt. Dabei muss das meiste Geld in die Tunnelanlagen gesteckt werden, welche sich nicht so einfach streichen lassen. Ausgerechnet über dem zu letzt gebauten und schlecht ausgelasteten Tunnelstück zwischen Hauptbahnhof und Schloß Broich fahren die Busse parallel im dichten Takt. Eine kurze Neubaustrecke nach Saarn würde diese Situation deutlich entschärfen und die Wirtschaftlichkeit erhöhen.
Die Stadt Duisburg verfügt (wie auch das benachbarte Mülheim) über einen Stadtbahntunnel, durch den die „tiefergelegte“ Straßenbahn und hochflurige Stadtbahnwagen als „U-Bahn-Vorlauf“ verkehren. Bei letzteren liegt das aktuell größte Problem, denn die Zugsicherungsanlagen sind erneuerungsbedürftig. Die gemeinsam mit der Nachbarstadt Düsseldorf betriebene Stadtbahnlinie U 79 erfordert hierbei auch ein gemeinsames System. Während das reiche Düsseldorf die Ausschreibung zur Erneuerung startet, schafft es Duisburg trotz Fördermittelzusagen nicht, die notwendigen 40 Millionen Euro für die Erneuerung aufzutreiben. Eine Kreditaufnahme durch die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) lehnte die Stadtverwaltung jedoch ab.
Fazit: Düsseldorf führt die Ausschreibung allein durch und Duisburg muss für die Erneuerung später deutlich mehr Geld in die Hand nehmen und ist dabei auf die Monopolstellung des Düsseldorfer Lieferanten angewiesen. Hier zeigt sich deutlich der Folgekosten-Fluch der einst als Segen gefeierten Stadtbahntunnel.
Die Erneuerung des Fahrzeugparks und die Instandhaltung des Netzes stellt alle Betriebe in Deutschland vor große Herausforderungen. Im Ruhrgebiet wirken sich die Nachteile des nicht abgeschlossenen Stadtbahnbaus jedoch doppelt negativ aus. Verschiedene Netze treffen an teils ungünstigen Verknüpfungspunkten zusammen, sodass trotz vorhandener Infrastruktur Linien gebrochen werden müssen. Die Tunnelbauten wirken teils netzschwächend und sind oftmals schlecht ausgelastet, weil die Folgeabschnitte nie realisiert wurden. Die weitere Netzgestaltung muss anhand der heutigen Realitäten erfolgen, doch ohne eine ausreichende Finanzierung können die notwendigen Neubaustrecken kaum realisiert werden.
Dies unterstreicht, wie dringend die Fortschreibung und eine Reform der Verkehrsfinanzierung in Deutschland ist. Statt maximaler Ausbaustandards müssen künftig auch die intelligente und wirtschaftliche Verkehrsführung sowie vordringlich auch die Erneuerung des Bestands gefördert werden. Nur dann kann der aktuelle Stillstand (inbesondere auch im Ruhrgebiet) beendet werden. Bis dahin wird es wohl auch weiterhin heißen: Im Westen nichts Neues! (ge)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 1/2014 (Februar 2014), Seite 17