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Ein Blick in die Zukunft der VBB-Fahrcard
12. Feb 2014
Nach übereinstimmenden Berichten der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und heise.de plant der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) die nächste Ausbaustufe seines E-Ticket-Systems. Das vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) entwickelte und von der VDV-Kernapplikations GmbH & Co. KG betriebene E-Ticket befindet sich auch im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) in der Einführungsphase.
Die Planungen des VRR geben einen Vorgeschmack auf die zukünftige Entwicklung in Berlin und Brandenburg.
Der VRR plant in der nächsten Ausbaustufe des E-Tickets die Erfassung von ca. 1,4 Millionen Zeitkarteninhabern an Check-In/Check-Out-Terminals in den Bussen und Bahnen. Die bis jetzt übliche Sichtkontrolle durch das Fahrtpersonal würde
damit entfallen. Zudem sollen die Einsatzplanung für Busse und Bahnen verbessert und gezielt Kundeninformationen übermittelt werden. Was im ersten Moment nach einer Verbesserung klingt, entpuppt sich schnell als Trojanisches Pferd mit gravierenden Folgen für die Fahrgäste.
Die bessere Planung bei den einzelnen Strecken stellt sich schnell als Scheinargument heraus, da es schon jetzt bessere Möglichkeiten gibt, den Bedarf zu ermitteln. Zudem wäre eine genaue Ermittlung der Fahrgastzahlen auch ohne die gezielte Speicherung jedes einzelnen Kunden möglich. Nach den bisherigen Erfahrungen führen solche Untersuchungen eher zu Streckenstreichungen oder längeren Taktfrequenzen. Ein Mehrbedarf wird meist unter Verweis auf die Kosten nicht berücksichtigt.
Als Folge des Erfassungsprozesses ist mit einer gravierenden Zunahme von Verspätungen zu rechnen. Vor allem im Berufsverkehr besteht die Gefahr von langen Wartezeiten beim Ein- und Ausstieg. Die aktuellen Fahrzeiten sind unter diesen Umständen wohl kaum zu halten.
Ein ebenso schwerwiegendes Problem besteht bei technischen Problemen von Lesegeräten und Chipkarten. Die BVG hatte erst kürzlich mit fast 15 000 fehlerhaften Kundenkarten zu kämpfen – ein Umstand, den die Kunden zu keiner Zeit zu vertreten hatten. Dennoch waren sie der Gefahr ausgesetzt, als Schwarzfahrer klassifiziert zu werden. Nach Jahren der Planung und unzähligen Millionen an Kunden-/Steuergeldern war das ein peinlicher Vorfall – und vermutlich nicht der letzte.
Das Hauptaugenmerk bei der Einführung des E-Tickets scheint auf der Umstellung des Fahrgeldmanagements zu liegen. Letztlich ist die elektronische Erfassung jeder einzelnen Teilstrecke nur unter diesem Gesichtspunkt wirklich notwendig. In Zukunft soll der Fahrgast nur noch für die tatsächlich gefahrene Strecke und/oder Zeit bezahlen. Das klingt vor allem für Gelegenheitsfahrer verlockend. Am Ende wird es aber mit hoher Wahrscheinlichkeit für alle teurer.
Bei der Umstellung auf eine streckengenaue Abrechnung wird sich die Preisanpassung kaum bemerkbar machen. Es wird sich lediglich um wenige Cent pro gefahrener Strecke handeln. Für die Verkehrsunternehmen dürfte am Ende dennoch eine saftige Einnahmesteigerung herausspringen. Das Phänomen ist aus der Lebensmittelindustrie bekannt und bewährt: kleinere Packungen zu deutlich höheren Preisen.
Der VRR verweist auf die Notwendigkeit, die anfallenden Fahrgastdaten personengenau zu speichern und auszuwerten. Eine anonymisierte Speicherung soll die vorgetragenen Datenschutzbedenken ausräumen. Letztlich ist das aber nichts als Augenwischerei. Entsprechende Informationen lassen sich sowohl den Unterlagen zum E-Ticket und der VDV-Kernapplikation als auch der VBB-Stellungnahme zum Thema Fahrcard (siehe SIGNAL 6/2013 ) entnehmen.
Alle Chipkarten verfügen über eine ID, welche bei jeder Transaktion (z. B. Kontrolle, Check-In/Check-Out) mit gespeichert wird. Die ID ist dem entsprechenden Kunden zugeordnet und ist Teil des Kundenprofils beim Verkehrsunternehmen. Diese Zusammenführung der Daten ist schon wegen möglicher Kartenverluste und Sperrungen unausweichlich. Analog zu IP-Adressen handelt es sich auch bei dieser ID um personenbezogene Daten, da sie an einer Stelle im System einer bestimmten Person zugeordnet werden kann. Die Gültigkeit einer solchen Chipkarte kann mehrere Jahre betragen und unzählige Datensätze mit Streckeninformationen, Datum und Uhrzeit erzeugen.
Themen wie Anreicherung von Daten und Datamining sind in der heutigen Zeit keine Fremdwörter mehr. Erreicht man ein gewisses Volumen an Daten, so lässt sich der gesamte Tagesablauf einer Person rekonstruieren. Bis die Verkehrsunternehmen – wie bereits heute Telefondienstanbieter – zu einer Vorratsdatenspeicherung verpflichtet werden, ist dann nur eine Frage der Zeit.
Sieht man sich die Spezifikationen der VDV-Kernapplikation genauer an, so ist eine Unmenge an Datenfeldern vorgesehen bzw. schon implementiert. Das Potenzial des E-Tickets und der Applikation ist beachtlich, die Gefahren sind es aber auch. Unter Verweis auf die Diskussionen zur Vorratsdatenspeicherung und zur Pkw- Maut (Daten für Strafermittlungen) lässt sich feststellen, dass der Diskurs zum E-Ticket bisher recht verhalten ist. Auffällig ist die Salamitaktik, mit der Verbünde und Verkehrsunternehmen das System einführen und Informationen preisgeben. So verstärkt sich der Eindruck, dass die Zweifel und Befürchtungen nicht unbegründet sind. Dem Image des öffentlichen Nahverkehrs und der Kundenzufriedenheit sind solche Aussichten alles andere als zuträglich.
Wie weit die Reise geht und welche Einsatzmöglichkeiten noch erwogen werden, ist nicht abzusehen.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 1/2014 (Februar 2014), Seite 23