Planung und Betrieb

Döllnitzbahn mit Zukunft

Die Berliner Bahn-Patenschaft wurde erfolgreich abgeschlossen.


PRO BAHN

1. Mai 1994

Am 17. Dezember 1993 war es endlich soweit: Nach langwierigen Verhandlungen mit der Deutschen Reichsbahn wurde der Betrieb auf der sächsischen Schmalspurstrecke Oschatz - Mügeln - Kemmlitz an die Döllnitzbahn-Gesellschaft übergeben, die dem ostdeutschen Bahnkundenverband PRO BAHN gehört. Die Streckenrettung fußt auf einer Patenschaft, die der Berliner PRO BAHN-Landesverband Ende 1990 übernommen hatte. Hervorzuheben sind drei Besonderheiten: Die rund 18 km lange Döllnitzbahn ist die erste durch das Patenprojekt "Pro Bahnhof" vor der Stillegung gerettete Bahnstrecke, die erste von einem Bahnkundenverband selbst übernommene Bahnstrecke und die erste Nichtbundeseigene Eisenbahn öffentlichen Verkehrs im Freistaat Sachsen.

Die Nahverkehrsinitiative Berlin-Neukölln bewegte 1990 den PRO BAHN-Landesverband Berlin zur Übernahme der Patenschaft für die im Volksmund "Wilder Robert" genannte Schmalspurbahn. Die gemeinsame Pro Bahnhof-Kommission von DR-Zentrale und PRO BAHN-Hauptverband stimmte zu, so daß am 1. September 1991 in Oschatz die Patenschaftsurkunde unterzeichnet werden konnte.

Als erste, von den Bahnkunden betriebene Eisenbahn nahm die Döllnitzbahn (DBG) am 4.2.94 offiziell den Betrieb auf. Gerhard J. Curth (am Rednerpult), Chef der ostdeutschen Bahnkundenverbände und jetzt DBG-Geschäftsführer, begrüßte die Gäste, unter ihnen den sächsischen Wirtschaftsstaatssekretär Dr. Wolfgang Zeller (im Vordergrund), der die Betriebserlaubnis mitbrachte, und (dahinter) Ministerialdirigent Dr. Ulrich Klimke, Leiterder Berliner Außenstelle des Bundesverkehrsministeriums. Der Festakt fand auf dem Bf Mügeln statt, dem größten europäischen Schmalspurbahnhof. Foto: Hansjörg Beyer
Während der aufgebockte Rollwagenbetrieb noch mit Dampftraktion durchgeführt wird, kommen bei der Döllnitzbahn für den übrigen Verkehr verstärkt Dieselloks zum Einsatz. Foto: Hansjörg Beyer
Diese Personenwagen werden nicht mehr im Auftragsverkehr, sondern nur noch bei Sonderfahrten eingesetzt. Für die Zukunft sollen moderne Schmalspurtriebwagen angeschafft werden, um den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Das beschloß der Oschatzer Kreistag einstimmig. Foto: Hansjörg Beyer
Mit dem Svt reisten am 1. September 1991 die Mitglieder der Berliner Fahrgastverbände zur Unterzeichnung der Patenschaftsurkunde in das 50 km östlich von Leipzig gelegene Oschatz. Mit der Patenschaft konnte die Stillegung des “Wilden Robert“, der Schmalspurbahn Oschatz - Mügeln - Kemmlitz, verhindert werden. Foto: Hansjörg Beyer

In der folgenden Zeit wurden zahlreiche Sonderfahrten mit Dampfzügen gefahren, um den Patenschaftsvertrag mit Leben zu erfüllen und Mittel für den Erhalt der Kleinbahn zu erwirtschaften. Als Zubringerzug ab Berlin wurde der markante Schnelltriebwagenzug SVT 675 eingesetzt. Erfahrenen Bahnfahrern wird dieser Zug noch als "Vindobona", dem Zugpaar Berlin - Wien, in Erinnerung sein.

Doch die Reichsbahndirektion Dresden identifizierte sich nicht mit dem Patenschaftsvertrag und setzte weiter auf Stillegung. Mehr noch: Die Güterkunden an der Strecke wurden von der DR ultimativ zum Verzicht auf den Gleisanschluß aufgefordert. Deshalb mußten neue Wege beschriften werden. Auf Antrag des PRO BAHN-Landesverbands Sachsen entschieden die Mitglieder des Hauptverbands, die Privatisierung der Döllnitzbahn durch Übernahme in eigene Regie voranzubringen.

PRO BAHN lud zu einigen Regionalkonferenzen, an denen alle Interessierten und Betroffenen teilnahmen. Nachdem auch in der Region der Wunsch nach dem Erhalt des einzigen Kleinods im Süden des Kreises Oschatz stärker wurde, bot PRO BAHN-Präsident Curth dem Bundesverkehrsminister Krause und dem Bahnchef Dürr im Juni 1992 Verhandlungen zur Regionalisierung der Döllnitzbahn durch PRO BAHN und den Landkreis Oschatz an. Herr Dürr akzeptierte am 10. Juli 1992 das Verhandlungsangebot. Zur Verhandlungsführung wurde eine Vorbereitungsgesellschaft gegründet, die aus dem Landkreis Oschatz und PRO BAHN bestand. Die eigentlichen Verhandlungen begannen am 14. Oktober 1992 in, Landratsamt Oschatz.

Es waren schwierige, von mehr Tiefen als Höhen gekennzeichnete Verhandlungen. Von der ursprünglich vorgesehenen Anschubfinanzierung konnte auf einmal nicht mehr ausgegangen werden, da die Bahn im Regelverkehr nur Güter transportiert. Protokollarische Festlegungen wurden zerredet und nicht mehr eingehalten: Eine bereits Unterzeichnete Fahrzeugübernahmeliste stand plötzlich wieder zur Disposition. Zur Übernahme vorgesehene Schienenfahrzeuge und Geräte wurden trotz Stillhaltevereinbarung an Dritte abgegeben. Es wurde somit immer stärker deutlich, daß die DR nicht so recht an die Ernsthaftigkeit des Übernahmewunsches glaubte, und die Verhandlungen schienen mehrmals zum Scheitern verurteilt zu sein.

Doch DR-Vorstandsvorsitzer Dürr dräng, nach mehreren Interventionen den Dresdener Rbd-Präsidenten Lücking zum zügigen Abklären der Detailfragen. Schließlich wurde am 25. November 1993 im Fahrgastzentrum Berlin der Vertrag zwischen der DR und der Döllnitzbahn GbR mit dem Landkreis und PRO BAHN als Gesellschaftern paraphiert und am 17. Dezember 1993 in der Rbd Dresden durch die Präsidenten der Rbd und von PRO BAHN, Lücking und Curth, unterzeichnet. Gleichzeitig überreichte die Referatsleiterin Eisenbahn im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, Frau Dr. Brigitte Wunderlich, dem Geschäftsführer der Döllnitzbahn GmbH i.G., Gerhard J. Curth, die Zulassungsurkunde für die NE-Bahn.

Am 5. Februar 1994 nahm die Döllnitzbahn GmbH (DBG) offiziell den Betrieb auf, tatsächlich wurde jedoch schon seit 21. Dezember 1993 gefahren. Zum offiziellen Betriebsbeginn fuhr der erste DBG-Personenzug von Oschatz nach Mügeln. Vor der Abfahrt in Oschatz enthüllte Landrat Schopp eine gestiftete Döllnitzbahn-Tafel. Auf dem Bahnhof Mügeln folgte ein kleiner Festakt. DBG-Geschäftsführer Curth begrüßte die Gäste und vermittelte einen Eindruck vom Betriebsgeschehen. Er dankte allen am Gelingen des Projekts Döllnitzbahn Beteiligten, vor allem dem Sächsischen Wirtschaftsministerium, weil dieses es ermöglichte, die erste NE-Bahn in Sachsen auch ohne Landeseisenbahngesetz zuzulassen. Auf feierlichen Schmuck an Lok und Fahrzeugen wurde zugunsten der schlichten mahnenden Worte "Gleise verpflichten" verzichtet; der Sächsische Wirtschaftsstaatssekretär Dr. Wolfgang Zeller, erklärte diese beiden Worte zur Losung der sächsischen Verkehrspolitik, und der Leiter der für Ostdeutschland zuständigen BMV-Außenstelle Berlin, Dr. Ulrich Klimke, gratulierte zu dem unternehmerischen Schritt.

Die Döllnitzbahn beschäftigt vier Eisenbahner, die jetzt dasselbe Frachtvolumen bewältigen, für das die Deutsche Reichsbahn noch im November 1993 31 Personale einsetzte. Rückgrat der DBG sind die beiden Großkunden Kemmlitzer Kaolinwerke und Brennstoffe Lässig Mügeln. Mit weiteren Güterkunden werden derzeit Verhandlungen geführt. Gleichzeitig wird es saisonalen Traditionsverkehr und Gelegenheits-Personenverkehr geben. Die Wiederaufnahme des Personenverkehrs auf der Schiene ist ab 1996 vorgesehen. Dann wird der Landkreis den parallel verlaufenden Busverkehr einstellen. Der Freistaat Sachsen hat für die DBG ein 80.000-DM-Gutachten erarbeiten lassen und nach Vorstellung des Ergebnisses nunmehr Zutrauen in diese Form der Privatisierung gewonnen.

Gesellschafter und Dienstleister zugleich ist die Deutsche Regionalbahn (DR) - ein Sondervermögen des Bahnkundenverbandes. Die DR hält z.Zt. noch 100% der DBG-Anteile, sorgt für die Instandhaltung der Signal-, Fernmelde- und Gleisanlagen und führt die Buchhaltung sowie das Personal- und Rechnungswesen. Zudem wird die Döllnitzbahn-Gesellschaft durch den PRO BAHN-Regionalverband Oschatz unterstützt, der sich vor allem dem musealen Bereich widmet, aber auch bei Streckenarbeiten aktiv dabei ist.

Mit der Übernahme der Döllnitzbahn haben die Bahnkundenverbände Ostdeutschlands dokumentiert, daß Streckenstillegungen durch konsequentes Handeln abgewendet werden können und hier auch die Selbsthilfe eine realistische Möglichkeit darstellt. Mit dieser Vorgehensweise können sicher noch weitere Strecken erhalten werden.

Wer Interesse an den Sonderfahrten der Döllnitzbahn hat, erhält gegen Einsendung eines frankierten Rückumschlages den kompletten Jahresfahrplan 1994 zugeschickt. Außerdem wird es zu den diesjährigen Schienenverkehrs-Wochen wieder eine Sonderfahrt von Berlin nach Oschatz geben. Die Adresse: Döllnitzbahn GmbH, Bahnhof Mügeln bei Oschatz, 04769 Mügeln. Wer mag, kann natürlich auch einen kompletten Zug chartern und nach seinen Wünschen fahren lassen.

PRO BAHN

aus SIGNAL 4/1994 (Mai 1994), Seite 20-21