Aktuell

Fahrplanwechsel bei der BVG
Besseres Netz, schlechteres Angebot

Umfangreich und von teilweise grundsätzlicher Bedeutung für das Verkehrsangebot in Berlin waren die Veränderungen der BVG zum diesjährigen (Jahres-)Fahrplanwechsel. Betroffen sind das Busliniennetz, die Betriebszeiten und die Taktfolgen bei Bus, Tram und U-Bahn sowie die Aufbereitung der Fahrgastinformationen. Der folgende Artikel behandelt die Liniennetzänderungen und die Taktausdünnungen.


IGEB

1. Jul 1994

Von der BVG als "herausragende Veränderung" gepriesen, wurden drei neue ExpressBus-Linien eingeführt. Der Flughafen-ExpressBus X9 wird vom Hotelviertel Budapester Straße über Bf Zoologischer Garten, U-Bf Jungfernheide und U-Bf Jakob-Kaiser-Platz geführt und erreicht durch die direkte Wegführung und die wenigen Halte eine deutliche Fahrzeitverkürzung für die Verbindung City-West - Flughafen Tegel. Wenn nun auf dem X9 (und dies gilt ebenso für den zum Zoo verkürzten 109er) auch noch Busse mit Gepäckablagen eingesetzt würden, könnte das neue Angebot als gelungen angesehen werden.

Zeitweilig Express-Beförderung

Schon lange forderte die IGEB, wie viele andere auch, eine durchgehende Tangentialverbindung im Süden Berlins, denn bisher waren zeitaufwendige Umsteigevorgänge oder Umwege über die Innenstadt erforderlich, wenn man auf diesen Relationen unterwegs war. Der ExpressBus X11 behebt diesen Mangel nun auf der Wegführung zwischen U-Bf Dahlem-Dorf und Bf Berlin-Schöneweide. Die schon in den ersten Wochen rege Frequentierung dieser völlig neuen Verbindung belegt die Bedeutung des neuen Angebotes. Aber abends sind Fahrgäste auf dieser Relation offensichtlich nicht erwünscht. Anders sind weder die Beschränkung der ExpressBus-Betriebszeiten auf die Tagesstunden noch die Umsteigezeiten von 14 bzw. 18 Minuten zwischen den "Ersatzlinien" 165,172 und 111 zu erklären. Und noch einen Mangel gilt es zu beheben: Nach wie vor fehlt eine Haltestelle am S-Bf Lichterfelde West. Zwar gibt es eine Haltestelle mit diesem Namen, sie liegt jedoch hinter dem Gardeschützenweg und somit 400 m vom S-Bahnhof entfernt.

Regen Fahrgastzuspruch hat die neue ExpressBus-Linie X11, denn sie stellt die langersehnte Tangentialverbindung im Berliner Süden dar. Ärgerlich, daß sie nur zu ausgewählten Zeiten verkehrt. Foto: I. Schmidt
West-Staaken ist jetzt besser in das Berliner Busnetz integriert: Leider fährt die neue Buslinie 332, hier am Bf Staaken fotografiert, nicht in das Zentrum von Spandau. Foto: I. Schmidt

Die dritte ExpressBus-Linie (X76) stellt eine Schnellverbindung aus dem Wohngebiet Lichtenrade, Nahariyastraße über U-Bf Alt-Mariendorf zum Steglitzer Zentrum am Walther-Schreiber-Platz her und ersetzt auf dem südlichen Linienteil die bisher verkehrende Buslinie 178. Da im Wohngebiet Nahariyastraße alle Haltestellen vom X76 bedient werden und nur die Halte auf dem weiterhin durch die Buslinie 176 bedienten Straßenzug Lichtenrader - Mariendorfer Damm entfallen, ist die Einstellung des 178ers akzeptabel. Deutliche Nachteile entstanden aber in der Bedienungsqualität entlang des Straßenzuges Lichtenrader - Mariendorfer Damm, insbesondere in den Abendstunden und sonntags, da hier der 178er das Busangebot zu einem fast durchgängigen 10-Minuten-Takt an allen Haltestellen ergänzte. Und auch beim X76 schlägt wieder die Sparpolitik durch: Diese ExpressBus-Linie fährt außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten nur zwischen Nahariyastraße und Alt-Mariendorf.

Der Tausch von Ästen der Linien 111, 177 und 277 im Bereich Marienfelde, Daimlerstraße und dem Wohngebiet Marienfelde-Süd brachte handfeste Verbesserungen: Der 111er kommt endlich an den S-Bf Buckower Chaussee heran, der Bereich Daimlerstraße ist ebenfalls endlich an die S2 angebunden, und mit dem 177er wurde eine durchgehende Verbindung zwischen Marienfelde-Süd bis nach Neukölln und Treptow geschaffen.

Besser durch Steglitz

Größere Veränderungen gab es auch im Bereich Steglitz: Erheblich aufgewertet wurde die Buslinie 183, die den Linienast des bisherigen 180ers nach Dahlem übernommen hat. Damit wurde endlich eine durchgehende Verbindung zwischen dem Stammsitz der Freien Universität und ihrer Außenstelle in Lankwitz eingerichtet. Man fragt sich, warum dafür mehr als ein Jahrzehnt ins Land gehen mußte.

Mit der Linienumstellung war auch eine Veränderung des Bustyps verbunden: Die denOudsten-Busse, die wegen unsinniger Innenraumaufteilung für den Einsatz auf innerstädtischen Linien völlig ungeeignet sind, verkehren jetzt wenigstens nicht mehr auf der FU-Linie. Ihre Verlagerung auf die z.Z. noch etwas weniger frequentierte neue Buslinie 280 darf jedoch auch kein Dauerzustand sein, denn diese Busse sind bestenfalls für den Vorortverkehr geeignet.

Neu eingerichtet wurde die Buslinie 280 von Rathaus Steglitz über Birkbuschstraße - Leonorenstraße - Lankwitz, Kirche - Kaiser-Wilhelm-straße - Oberhofer und Saaleckplatz nach Lichterfelde-Süd, Reamurstraße. Damit ist nun nicht nur der Bereich Kaiser-Wilhelm-Straße beser Richtung Steglitz und U9 angebunden, auch Bereich Birkbuschstraße (einschließlich Klinikum) hat wieder Anschluß an den Busknoten Lankwitz, Kirche. Damit wurde die Ende letzten jahres durch die unüberlegte Rückverlegung des 181ers entstandene Lücke wieder geschlossen und gleichzeitig eine vorauschauende Maßnahme zur Wiederinbetriebnahme der S-Bahn auf der Anhalter Bahn (künftig S25) schon jetzt eingeführt.

Nachteilig aber bleibt die Fahrplangestaltung im Zusammenhang mit den ebenfalls durch die Birkbuschstraße verkehrenden Buslinien 186 und 188: Selbst in den Abendstunden fahren die drei Linien (wie auch schon seinerzeit mit dem 181 er) pulkweise durch die Birkbuschstraße, und somit entsteht den Fahrgästen kein zusätzliches Angebot in der Wagenfolge.

Der Preis für die Liniennetzverbesserungen ist aber auch in Steglitz eine Verkürzung voh Betriebszeiten: Der 180er fährt nur noch zu ausgewählten (Tages-)Zeiten.

BVG-Tarife in West-Staaken ersetzen nicht den Verkehrsverbund

Eine wichtige Verbesserung stellt die Linie 280 in Steglitz dar. Die Umstellungen in Steglitz führten aber leider nicht zur Verbannung der für größere Fahrgastzahlen völlig ungeeigneten denOudsten-Busse. Foto: I. Schmidt
Reger Andrang herrscht auch auf der neu eingeführten Buslinie 350. Wegen der Sparpolitik des Senats verkehrt diese Linie jedoch nur im Berufsverkehr. Foto: I. Schmidt

Positiv sind auch die Verbesserungen in West-Staaken. Obwohl zu Berlin gehörig, wurde der Linienverkehr in diesem Bereich bisher von der BVG nur halbherzig und zum großen Teil von "Havelbus" zu gesonderten Tarifen betrieben. Durch die Verlängerung des 149ers, die verbesserte Wegführung und Taktverdichtung auf der Buslinie 237 sowie die Einrichtung einer neuen Buslinie 332, die in West-Staaken die Aufgaben der bisherigen Havelbus-Linie 655 übernommen hat, ist eine deutliche Verbesserung geschaffen worden. Dies ergibt sich auch durch die daraus resultierende Einführung des BVG-Tarifs. Die Anbindung des DB-Regionalbahnhofs Staaken und die zumindest zeitweilige Führung bis Falkensee zur Fa. Herlitz sind positiv zu bewerten. Die ungewöhnliche Taktfolge ist das Ergebnis des "schiefen" Taktes auf der R5. Nachteilig ist das Linienende der Buslinie 332 am Magistratsweg mit Umsteigezwang zum 132er bei Fahrten Richtung Spandau.

Besser macht es "Havelbus" mit der Linie 657, die bis zum Rathaus Spandau verlängert wurde. Wegen des abweichenden Tarifs ist jedoch eine Beförderung von Fahrgästen innerhalb Berlins nicht gestattet, obwohl Zeitkarten der BVG auf den Havelbus-Linien anerkannt werden. Dies führt zu der grotesken Situation* daß der Bus für aussteigende Fahrgäste in Berlin an mehreren Haltestellen hält und dann halbleer genau dahinfährt, wohin die an den Haltestellen Wartenden auch wollen, aber nicht dürfen. Und noch unübersichtlicher ist die Situation auf der jetzt von "Havelbus" übernommenen Linie 638 (vorher 138) von Rathaus Spandau nach Potsdam: Unterschiedliche Auskünfte über die Tarife von bemühten Kundendienstberatern bei BVG und "Havelbus" führen zwangsläufig zu Unmut bei den Fahrgästen - und den Fahrern.

Kreis Barnim steigt aus

Handfeste Nachteile haben die Fahrgäste aus dem Kreis Bamim seit dem Fahrplanwechsel. Da sich der Kreis nicht mehr an der Finanzierung der in sein Territorium fahrenden BVG-Buslinien 197 und 251 beteiligt, zog die BVG diese Linien bis zur Stadtgrenze zurück. Die Barnimer Bus-Gesellschaft bedient diese Strecken jetzt mit Einzelfahrten (die im ViBB-Kursbuch gar nicht erst registriert sind) und zum gesonderten Tarif, der für die Fahrgäste mit Fahrtziel in Berlin in jedem Fall das Lösen von zwei Fahrscheinen bedingt.

All diese Beispiele zeigen nicht nur die Gleichgültigkeit, mit der (nicht nur Berliner) Politiker den öffentlichen Nahverkehr behandeln, sondern auch, daß die Verkehrsgemeinschaft Berlin- Brandenburg noch weit von einem für die Fahrgäste unverzichtbaren "richtigen" Verkehrsverbund entfernt ist.

Für die Berliner gab es ferner noch einige kleine Liniennetzänderungen, wobei die Einführung der Buslinie 350 analog zum 150er mit Heranführung an den S-Bf Blankenburg und weiter als Verstärkung des 158ers als besondere Verbesserung erwähnt werden muß, auch wenn sie nur für die wenigen Stunden des Berufsverkehr besteht. Nicht unerwähnt bleiben soll auch die Umsetzung der IGEB-Forderung zur Verlängerung der Nachtbuslinie N5 bis in die Großsiedlung Hellersdorf.

Verschlechterte Fahrplanangebote

Während die vorgenannten Liniennetzänderungen zumindest im Bereich der BVG im Grundtenor als sichtbares Bemühen der BVG bewertet werden können, trotz dramatischer Sparzwänge das Machbare an Verbesserungen zu bringen, war auch dieser Fahrplanwechsel wiederum geprägt von massiven Angebotsverschlechterungen durch Taktausdünnungen auf allein 16 Buslinien und verkürzten Betriebszeiten bei vielen Buslinien und im gesamten Tram- und U-Bahn-Netz (siehe dazu auch den Artikel auf Seite 8). Von Anfang an beschränkt ist gerade auch das Angebot auf den ExpressBus-Linien: Obwohl diese Linien u.a. wegen ihrer hohen Produktivität überhaupt nur eingeführt werden konnten, verkehren gerade sie zu für den Fahrgast kaum noch nachvollziehbaren Zeiten oder auf Teilstrecken.

Besonders unverständlich und unakzeptabel ist die Wiedergeburt des 15-Minuten-Taktes auf zahlreichen BVG-Buslinien. Beispielhaft sei hier die Linie 221 angeführt, deren 15-Minuten-Takt in kein Anschlußschema mehr paßt. Lind auf der Linie 145 führt die Takterweiterung auf dem Innenstadtabschnitt von 5 auf 7 1/2 Minuten wegen der staubedingten Unregelmäßigkeiten zeitweise zu untragbaren Überfüllungen.

Völlig chaotisch ist der sonntägliche U-Bahn-Fahrplan geworden: Obwohl vor einem halben Jahr ein neues Anschlußsystem eingeführt wurde, ist es nun zumindest sonntags einfach dadurch außer Kraft gesetzt worden, das manche Linien im 7 1/2-Minuten-Takt, andere im 10-Minuten Takt verkehren.

Verantwortliche Politiker?

Die Verantwortung für das immer lückenhaftere BVG-Angebot liegt jedoch bei den Politikern, die zwar immer wieder Schönwetterreden zum ÖPNV halten, mit ihrer realen Politik jedoch tagtäglich sich selbst Lügen strafen. Diesen (unverantwortlichen Politikern sollte auf den in den nächsten Monaten wahrscheinlich zahlreichen Wahlveranstaltungen die Frage von uns Fahrgästen nach der Diskrepanz zwischen ihrem Reden und ihrem Handeln nicht erspart bleiben ...

IGEB

aus SIGNAL 5/1994 (Juli 1994), Seite 4-6