Nahverkehr
Immer gravierender werden die Behinderungen der Berliner Straßenbahnen durch bewußte Benachteiligung an den ampelgeregelten Kreuzungen: Während in anderen Städten die Tram an den Ampeln Vorrang hat, müssen die Berliner Straßenbahnen z.T. minutenlang an den Ampeln warten, bis sie endlich ”Grün” erhalten. Nach dem in SIGNAL 4/94 gezeigten Beispiel einer ”Tram-Schikane-Schaltung” am Pastor-Niemöller-Platz werden nachfolgend die Auswirkungen der Berliner Anti-Straßenbahn-Politik für eine ganze Linie verdeutlicht.
1. Jul 1994
Beispielhaft hat der Berliner Fahrgastverband IGEB die Tram-Linie 4 (Hackescher Markt - Hohenschönhausen, Falkenberg) untersucht. Diese Linie könnte eigentlich eine "Rennstrecke" sein, da sie fast vollständig auf eigener Trasse verkehrt und damit ungehindert vom Autostau fahren kann. Stattdessen aber fahren die Züge mit immer mehr Verspätung, weil durch die in den letzten Monaten installierten Ampeln bzw. durch neue Ampelprogramme die Züge mehr stehen als fahren.
Und das sind die schlimmsten der insgesamt 26 Ampeln entlang der Linie 4 (betroffen sind natürlich auch immer die Züge der anderen Tramlinien, die abschnittsweise denselben Streckenteil nutzen):
Fazit: Fast 30% der Gesamtfahrzeit warten die Züge allein vor roten Ampeln! (Dabei sind die zum Aus- und Einsteigen der Fahrgäste nötigen Zeiten bereits abgezogen).
Die Beispiele der Ampeln entlang der Linie 4 stehen stellvertretend für die ganz überwiegende Mehrzahl der insgesamt 150 Ampeln entlang der Berliner Straßenbahnstrecken.
Die BVG muß deshalb immer mehr Züge und Personal einsetzen, um die verlängerten Fahrzetiten "aufzufangen". Aufgrund der rücksichtslosen ÖPNV-Sparpolitik des Berliner Senats bleibt der BVG aber gar keine andere Wahl, als die Fahrgäste für diese Verkehrspolitik zu bestrafen: Denn die Fahrgäste müssen nicht nur immer längere Fahrzeiten hinnehmen, sondern als Folge der längeren Fahrzeiten und die dadurch notwendigen zusätzlichen Fahrzeugumläufe werden - wie auch beim letzten Fahrplanwechsel - die Taktfolgen ausgedünnt und die Betriebszeiten verkürzt.
Für diese skandalöse Todesspirale trägt allein der Berliner Senat die Verantwortung, denn in den meisten Fällen liegt die Ursache für die Tram-Behinderung nicht etwa an einer veralteten Technik - im Gegenteil: Die neu installierten Ampeln verfügen über die notwendige technische Ausrüstung, um der Tram eine ungehinderte Durchfahrt zu ermöglichen. Aber statt auf "Vorrang" werden sie - wie bereits im letzten SIGNAL erläutert - lediglich auf "Anforderung" programmiert.
Dieser kleine Unterschied hat gravierende Folgen: Damit die Tram im Ampelumlauf überhaupt einmal berücksichtigt wird, fordert sie bei Erreichen der Ampel eine Grünphase an. Und bis zum Erscheinen dieser Grünphase vergehen dann mitunter Minuten. Nur wenn diese Grünphase für die Tram sofort im Ampelumlauf berücksichtigt werden würde, könnte man von einer "Vorrangschaltung" reden, so wie sie z.B. in Stuttgart existiert: Dort beträgt der Anteil der Wartezeiten an Ampeln nur noch max. 5% der Gesamtfahrzeit!
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert deshalb Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt und seinen Senator Herwig Haase auf, ihre Sabotage-Politik gegen die Tram sofort zu stoppen und endlich der Tram den Vorrang einzuräumen, den sie woanders schon längst hat: Bei Zugrundelegung des "Stuttgarter Standards" könnte z.B. die Strecke der Tram-Linie 4 statt in bisher 40 Minuten dann in weniger als 30 Minuten zurückgelegt werden. Die eingesparten Züge sollten zugunsten einer Taktverdichtung eingesetzt werden, wodurch ein doppelt positiver Effekt für die Fahrgäste (Fahrzeitverkürzung + dichterer Takt) auftreten würde, der auch in Berlin zu deutlich höheren Fahrgastzahlen und zu einer Verringerung des Zuschußbedarfs der BVG führen würde.
IGEB
aus SIGNAL 5/1994 (Juli 1994), Seite 14-15