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Ivo Köhler

1. Aug 1994

Zum gegebenen Anlaß, der halbwegs vollendeten Sanierung des Nord-Süd-S-Bahn-Tunnels, erschien 1991 im Ch. Links Verlag ein beachtenswertes Buch, sein Titel: Geisterbahnhöfe. Der Autor: Heinz Knobloch, Meister der feinen Töne und des exzellenten Satzbaus. Dessen Texte sind für stadtgeschichtlich oder auch sonst an gut Geschriebenem Interessierte ein Muß. Im vorliegenden Buch folgt er als Spaziergänger dem unterirdischen Verkehrsweg, der besseren Sicht dagegen aber an der Oberfläche. Mit den gut recrchierten Geschichten und Histörchen zu dem vergangenen und heutigen Stadtbild, resp. städtischem Leben entlang der geheimnisumwitterten Tunnelröhre, die eines der Rudimente von Hitlers und Speers größenwahnsinnigen "Stadtplanungen" darstellt, korrespondieren die unter dem Pflaster bzw. Asphalt entstandenen Fotos von Michael Richter nebst Recherche durch Thomas Wenzel. Die Genannten hatten Gelegenheit, in den letzten Tagen des DDR-Grenzregimes die bislang für Außenstehende nicht zugänglichen Anlagen in Augenschein zu nehmen. Gewiß mit einiger Ernüchterung, aber dies ist immer so. Finstere Fieslinge in riesigen, leicht nebelwallenden Befehlszentralen wie im James-Bond-Film waren nicht zu finden. Es hat eher etwas normal spießiges, wenn man die Bilder mit den (noch) diensttuenden Grenzern sieht. Ergänzend zu den genannten Texten wird auf die Grenzschließung eingegangen, der am 13. August 1961 diensthabende Stellwerksmeister kommt zu Wort, wir erfahren einiges über die Geschichte von Potsdamer Platz und Nord-Süd-Bahn, über Tunnel-flutung 1945 und Details der Grenzsicherung.

Das für den Gelegenheitskäufer vom Preis her nicht in allen Fällen erschwingliche Werk liegt jetzt in einer dem Tourismusmarkt angepaßten, dünneren und weniger die Brieftasche belastenden Ausgabe vor. Um auch weitgereisten Gästen etwas von dem vergangenen, morbiden Charme des Geistertunnels zu vermitteln, sind die Texte und Bildunterschriften neben unserer Muttersprache in englisch und französisch gehalten. Wenn auch manch einer bei dieser Neuauflage den Kommerz wittern mag (klar, ein Verlag will und muß sein's verkaufen) - es verdient Beachtung, daß dem seichten, nichtssagenden Überangebot von Lobhudeleien auf ein ach so schönes und heiles Berlin, womit unsere Besucher gefüttert werden (wenn auch mit sinkender Tendenz), einmal etwas Gehaltvolles entgegensteht, das anschaulich jüngere Geschichte mit deutlichem Bezug zu Aktuellem vermittelt. Die ursprünglichen Abhandlungen von Knobloch und Wenzel wurden reduziert auf einen kurzen Abriß der Geschichte des Nord-Süd-Tunnels in der Ära ab 1961 (darf man dies Knoblochs Texten eigentlich an tun?). Dem schließt sich ein umfangreicher Bildteil an, der im wesentlichen dem im Originalbuch abgedruckten Fundus entspricht. Es folgt eine Beschreibung der einzelnen Bahnhöfe.

Wer also seinen Gästen etwas Gutes tun will und diverse Schlösser, Ku'damm, Funk- und Fernsehturm abgearbeitet hat, dem sei die Anschaffung des Büchleins zu 16,80 DM empfohlen. Vom Format her paßt es übrigens prima zwischen die SIGNAL-Sonderausgaben, so daß ein schöner Anblick im Bücherschrank entsteht. Wem weniger nach der Fast-food-Variante ist, dem sei versichert, daß die 42 Deutschmark für die eingangs erwähnte Fassung auch sehr gut angelegt sind.

Ivo Köhler

aus SIGNAL 6/1994 (August 1994), Seite 9