Berlin
Ausbau der Dresdener Bahn würde bis 2030 verzögert
16. Apr 2014
„Beim Ausbau der Dresdener Bahn in Lichtenrade ist jetzt ein Durchbruch erzielt worden: Erstmals hat sich Bahnchef Rüdiger Grube für eine Tunnellösung ausgesprochen. Das berichten Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete übereinstimmend nach einem Treffen mit Grube“, meldete die Berliner Morgenpost am 29. Januar 2014.
Mit Herrn Grubes vermeintlichem Umschwenken wurde die Lichtenrader Tunneldebatte ein weiteres Mal entfacht. Worum geht es? Seit Anfang der 1990er Jahre ist geplant, auf der Dresdener Bahn zwischen Berlin Südkreuz und Blankenfelde neben den S-Bahn-Gleisen zwei Gleise für den Fern- und Regionalverkehr aufzubauen. Eine Bürgerinitiative in Lichtenrade fordert, dass hierbei Lichtenrade in einem neu zu bauenden Tunnel unterquert wird.
Die Argumente sind aus Sicht der Anwohner verständlich: Ein Ausbau der Strecke mit entsprechenden Lärmschutzwänden verstärkt die Zerschneidungswirkung der Trasse im Ortsteil Lichtenrade erheblich und ist schlicht hässlich. Zu besichtigen sind solche Stadtverschandelungen durch Bahnausbau in Lankwitz und Spandau ebenso wie in Rathenow und an immer mehr Orten.
Aufgrund guter Sach- und Lobbyarbeit gelang es der Bürgerinitiative, dass sich SPD und CDU die Lichtenrader Forderung seit Jahren zueigen machten und die Ausbaupläne der Deutschen Bahn, die keinen Bahntunnel vorsehen, immer wieder verzögerten. Zugleich wurden einst Berlin zustehende Gelder gemäß Bundesschienenwegeausbaugesetz nicht ausgegeben, sondern für die Mehrkosten einer Bahnstrecke mit Tunnel zurückgelegt. Inzwischen sind diese annähernd 100 Millionen Euro für Berlin verloren.
Zuletzt hatte sich der Berliner Senat damit abgefunden, dass die DB die Planung für den Ausbau der Dresdener Bahn ohne Tunnel abschließt. Die Pläne liegen jetzt beim Eisenbahn-Bundesamt (EBA), und noch 2014 soll der Planfeststellungsbeschluss erfolgen.
Folglich musste die Notbremse gezogen werden, in dem Bahnchef Rüdiger Grube zum Tunnelbefürworter erklärt wurde. Dabei soll er nach Aussage anderer Anwesender lediglich signalisiert haben, dass die DB sich einem Tunnelbau nicht verweigern würde, wenn alle anderen ihn wollen – und finanzieren.
Seither fordern nun neben den Lichtenrader Bürgern mehrere Berliner Politiker, darunter Stadtentwicklungssenator Michael Müller und sein Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler, die Planung zu stoppen und mit einer Tunnelvariante neu zu beginnen. Zum Glück haben sich DB und EBA darauf bisher nicht eingelassen und setzen ihre Arbeit fort.
Was wäre die Konsequenz einer Neuplanung mit Tunnel? Zunächst einmal müsste geklärt werden, wie lang der Tunnel überhaupt werden soll. Reicht er nur vom Schichauweg bis zur Bahnhofstraße? Oder beginnt er schon nördlich der Buckower Chaussee und reicht bis zur Landesgrenze? Werden nur die beiden Ferngleise in den Tunnel gelegt oder auch die S-Bahn-Gleise? Je nachdem könnten aus den geschätzten 100 Millionen Euro Mehrkosten schnell 300 oder 500 Millionen werden.
Zwar argumentiert die Bürgerinitiative Lichtenrade, dass die S-Bahn bei einem Tunnelbau unverändert bleiben kann, einschließlich Beibehaltung der beschrankten Bahnübergänge, aber die Zerschneidung des Ortsteils durch die Bahntrasse bleibt damit erhalten. Im Übrigen geht die Mehrzahl der Fachleute davon aus, dass auch in diesem Fall Schallschutz entlang der Trasse erforderlich ist, so dass die Anwohner ihr eigentliches Ziel überhaupt nicht erreichen würden.
Vollkommen offen ist auch, wer die bei jeder Tunnelvariante anfallenden Mehrkosten trägt. Bund und DB lehnen das ab und verweisen auf das Land Berlin. Doch der Senat fordert den Tunnel zwar, hat aber kein Finanzierungskonzept.
Gravierend ist für die Bahnkunden vor allem der Zeitverlust. Schon heute muss man unter Berücksichtigung einer (abgewehrten) Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss damit rechnen, dass die Ausbaustrecke erst 2023 dem Verkehr übergeben werden kann. Im Falle einer Neuplanung mit Tunnel wird das frühestens 2030 möglich sein.
Unsicher ist auch, ob eine Tunnelvariante bei der erforderlichen neuen Nutzen-Kosten-Rechnung den Faktor 1 überschreiten würde. Denn den erheblichen Mehrkosten steht für die Bahn bzw. für die Reisenden kein höherer Nutzen gegenüber.
Aufgrund der gravierenden Verzögerungen und Mehrkosten und wegen des bei Erhalt der oberirdischen S-Bahn-Trasse begrenzten Nutzens für die Anwohner spricht sich der Berliner Fahrgastverband IGEB gegen eine Neuplanung mit Tunnelvarianten aus und fordert einen schnellen Beschluss für die beiden planerisch abgeschlossenen Berliner Planfeststellungsabschnitte. Spätestens nach Fertigstellung der Neubaustrecke Berlin—Erfurt—München Ende 2017 wird die Anhalter Bahn so überlastet sein, dass die Dresdener Bahn als zweite Strecke von Berlin nach Süden dringend gebraucht wird. Hinzu kommen die bei den Umwegfahrten über die Anhalter Bahn erheblichen Fahrzeitverluste, für die Fernzüge nach Dresden ebenso wie für die Regionalzüge nach Zossen und zum künftigen Großflughafen BER in Schönefeld.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 2/2014 (April/Mai 2014), Seite 20