Berlin
16. Apr 2014
„Nach fast zwei Jahrzehnten Planungs- und Bauzeit kann wohl 2019 der erste Bauabschnitt des zweiten Berliner Nordsüd-Tunnels für die S-Bahn fertiggestellt werden,“ schrieben wir in SIGNAL 1/2014 . Hintergrund ist, dass zwar der Streckenbau zwischen Nordring und Hauptbahnhof gut vorankommt, aber die neue Tunnelstation der S-Bahn am Hauptbahnhof unerwartet große Probleme bereitet. Dadurch gibt es massiven Zeitverzug und erhebliche Mehrkosten.
In dieser Notlage hat die Deutsche Bahn ein Projekt entwickelt, das man aufgrund seines Bekanntwerdens Anfang April für einen Aprilscherz halten konnte. Doch die Verantwortlichen meinen es leider ernst.
Um vielleicht schon 2018, spätestens aber 2019 die sogenannte S 21 fahren zu können, ist vorgesehen, nördlich der künftigen S-Bahn-Station einen provisorischen Bahnsteig auf einem der beiden Streckengleise zu errichten. Dieser soll dann von Gesundbrunnen aus mit einem S-Bahn-Pendelzug (Halbzug) voraussichtlich im 10-Minuten-Takt angefahren werden.
Der Vorteil für die Deutsche Bahn: Man kann der Öffentlichkeit noch vor 2020 eine S-Bahn-Anbindung des Hauptbahnhofs von Norden her bieten und bekommt schneller Bestellgelder vom Land Berlin, benötigt aber aus dem knappen Fahrzeugbestand nur zwei Viertelzüge.
Allerdings hat dieses Projekt für die Fahrgäste fast keinen Nutzen. Zwischen Gesundbrunnen und Hauptbahnhof werden 2019 voraussichtlich auch mehrere Regionalzüge verkehren: neben den schon heute stündlich verkehrenden Linien RE 3 und RE 5 zusätzlich der halbstündlich verkehrende Flughafenexpress RE 9. Denn dieser soll aufgrund der dichten Belegung der Anhalter Bahn nach derzeitigem Stand vom Hauptbahnhof aus nicht nach Süden (Potsdamer Platz—Südkreuz—BER) verkehren, sondern nach Norden (Gesundbrunnen—Ostkreuz—BER).
Hinzu kommt, dass die mit dem S-Bahn-Pendelzug im Hauptbahnhof ankommenden Fahrgäste deutlich weitere Wege zum Umsteigen zurückzulegen haben als bei Nutzung eines der Regionalzüge.
Obendrein verursacht dieses Projekt Zusatzkosten von schätzungsweise 20 Millionen Euro allein für den Bau des provisorischen Bahnsteigs und die vorläufigen Zugsicherungsanlagen. Das ist das Geld, dass benötigt würde, um die vom Berliner Fahrgastverband IGEB seit Jahren geforderten Seitenbahnsteige des neuen S-Bahnhofs Perleberger Brücke auf der Brücke zwischen Hauptbahnhof und Wedding zu bauen – und das angeblich nicht zur Verfügung steht.
Anstatt nach der teuren „Spielzeug-U-Bahn“ U 55 (Hauptbahnhof—Bundestag—Brandenburger Tor) noch eine „Spielzeug-S-Bahn“ S 21 (Hauptbahnhof—Wedding—Gesundbrunnen) zu bauen und für viel Geld und wenige Fahrgäste verkehren zu lassen, sollten Deutsche Bahn und Land Berlin besser alle Energie sowie alles Geld in die Fertigstellung der Gesamtmaßnahme Nordring—Hauptbahnhof mit der Zwischenstation S-Bahnhof Perleberger Brücke investieren.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 2/2014 (April/Mai 2014), Seite 21