International
Geldverschwendungs-Verkehrsprojekte in der EU
16. Apr 2014
Überall wird von riesigen Bauprojekten, vor allem von Tunneln geträumt. In Nord-Europa von einem Tunnel zwischen Norwegen und Dänemark, zwischen Helsinki und Tallinn, Rostock und Gedser – und nicht zuletzt zwischen Puttgarden und Rödby. Begonnen hatte die Tunnel-Orgie mit dem Tunnel unter dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien. Und da Margret Thatcher auf einer rein privaten Finanzierung bestand, wurde daraus eines der größten finanziellen Desaster.
Die geplante Feste Fehmarnbelt-Querung zwischen Deutschland und Dänemark ist ohne Zweifel eines der unsinnigsten Großprojekte, die derzeit in Europa geplant werden. Diese Aussage gilt umweltpolitisch, verkehrspolitisch, finanzpolitisch und ökonomisch. Die Feste Fehmarnbelt-Querung ist ein typisches Projekt des Kalten Krieges und wurde schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs geplant. Seit 1989 hat sich aber Europa gewaltig verändert – und die Verkehrsströme nicht minder. Vom schwedischen Trelleborg gibt es heute täglich mehr als 10 Schiffsverbindungen nach Rostock und Sassnitz. Vom dänischen Gedser fahren schnelle Fährschiffe im Zwei-Stunden-Takt rund um die Uhr nach Rostock.
Zudem wurde mit der Öresundbrücke im Jahr 2000 eine feste Verbindung zwischen Deutschland, Dänemark und Schweden für Straße und Schiene dem Verkehr übergeben. Mit anderen Worten: Das Zentrum Europas
ist mit dem Norden des Kontinents auf verschiedenen Wegen bereits bestens verbunden. Schon das alleine sollte als Grund reichen, sich von diesem Milliarden-Projekt zu verabschieden.
Sollte der knapp sechs Milliarden Euro teure Fehmarnbelt-Tunnel realisiert werden – das achte Weltwunder, weil der Tunnel billiger als die Brücke sein soll, wären die mit Milliarden-Investitionen modernisierten Häfen in Mecklenburg-Vorpommern und Südschweden natürlich stark betroffen.
Ganz Ost-Europa würde vom Nord-Süd-Verkehr der EU abgekoppelt. Auch ohne das gigantische Tunnelbauwerk ist durch Fähren, die rund um die Uhr im Einsatz sind, eine schwimmende Brücke entstanden. Auch die Schienenverbindung wird die Verlagerung auf die Straße nicht vermeiden.
Wir haben doch die Erfahrung, dass der Lkw-Verkehr zwischen Skandinavien und Ost-Europa den kilometerlangen Umweg über Schleswig-Holstein bevorzugt. Eine zusätzliche Straßenverbindung wäre auch ökologisch unsinnig, weil die Menschen in Lärm, Stau und Abgasen ersticken würden. Auch für den Lübecker Hafen wäre eine feste Beltquerung Gift. Etwa 20 Prozent der südschwedischen Verkehre, die heute über Travemünde laufen, würden wegfallen. Der (Straßen-)Tunnel würde die einseitige Bevorteilung der Lkw auf Kosten der Steuerzahler und der Umwelt verschärfen.
Während auch in Puttgarden, Lübeck/Travemünde und Mukran/Sassnitz die Transportleistung zurückgegangen ist, ist das Güteraufkommen in Szczecin und Świnoujście leicht und in Rostock um fast das Dreißigfache gestiegen. Anstatt in Rostock die Schienenanbindung des Hafens zu verbessern und die Strecke nach Berlin schnell zu ertüchtigen, wird an der Planung aus dem Kalten Krieg festgehalten, um für 6 Milliarden Euro einen Tunnel für Straße und Schiene durch den Fehmarnbelt und damit an der falschen Stelle bauen zu können.
Und nach unseren Erfahrungen mit Stuttgart 21, der Elbphilharmonie in Hamburg und dem neuen Flughafen Berlin-Brandenburg müssen wir davon ausgehen, dass sich die Kosten locker vervielfachen können.
Im letzten Sommer hat die EU die Revision der Transeuropäischen Netze abgeschlossen. Auf Druck der Grünen hin hat sich das Europäische Parlament dafür eingesetzt, die Schienenstrecke zwischen Gedser und Nykøbing in das prioritäre Kernnetz aufzunehmen. Doch die dänische Regierung hat das blockiert, um die Feste Fehmarnbelt-Querung nicht zu gefährden.
Gelungen ist es uns immerhin, den Rostocker Hafen in den Kernnetz-Korridor zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer aufzunehmen. Damit bleibt es möglich, die Fährverbindung zwischen Rostock und Gedser im Rahmen der Transeuropäischen Netze auszubauen. Das ist ein wichtiges SIGNAL. Deshalb muss das knappe Geld dort ausgegeben werden, wo die Spaltung durch den ehemaligen Eisernen Vorhang schnellstmöglich überwunden wird und der umwelt- und verkehrspolitische Effekt am größten ist.
Die Doppelend-Fähren, die heute alle 30 Minuten verkehren, könnten sogar noch schneller sein, bleiben aber dennoch bei exakt 45 Minuten, um den Lkw-Fahrern ihre gesetzlich verordnete Ruhezeit von genau derselben Länge zu ermöglichen.
Trotz alledem heißt die Parole: „Think big“ – auch wenn das Geld fehlt. Für die Transeuropäischen Netze, den Verkehrswegeplan für Europa, sind im EU-Haushalt bis 2020 insgesamt 26 Milliarden Euro eingeplant, wovon 11 Milliarden Euro als Kohäsionsmittel weder Deutschland noch Dänemark zur Verfügung stehen.
Die beschlossenen Vorhaben sind jedoch leider eine reine Wunschliste nationaler Egoismen. Dort findet man Prestige-Projekte, die zwar viel Geld verschlingen, in 20 oder 30 Jahren vielleicht zu 60 oder 70 Prozent fertiggestellt sind, verkehrspolitisch aber allenfalls bescheidenen Nutzen haben.
Eines der Paradebeispiele dafür ist der geplante Alpentunnel zwischen Lyon und Turin. Dieser geplante Bahntunnel verläuft parallel zu einer existierenden Schienenstrecke, die wenig ausgelastet ist. Anstatt das Existierende zu ertüchtigen, soll ein 50 km langer Tunnel durch schwierigstes Terrain gebaut werden. Offiziell soll er 12 Milliarden Euro kosten, doch der französische Rechnungshof schätzt die wahren Kosten heute schon auf 26 Milliarden.
Die EU wird einen kleinen Teil der Kosten der Festen Fehmarnbelt-Querung tragen, doch die Hauptlast läge auf dänischen Schultern. Denn für die deutsche Bundesregierung hat der Tunnel-Bau – entgegen allen öffentlichen Beteuerungen – keine Priorität. Hinter vorgehaltener Hand wurde die Zustimmung damit begründet, dass man den Dänen keinen Strich durch die Rechnung machen wollte, weil die ja ohnehin alles bezahlen. Entsprechend gering fällt der deutsche Finanzierungsanteil aus, entsprechend wenig tut die Bundesregierung auch für die Hinterlandanbindung.
Das Positionspapier für die konventionellen Güterverkehrsnetze, das zwischen der Bundesregierung, der DB AG und dem Eisenbahnbundesamt abgestimmt wurde, sieht die Führung des Skandinavien-Verkehrs über den Großen Belt vor, wo es große Kapazitätsreserven gibt. Dementsprechend soll auch die Strecke zwischen Hamburg und Flensburg schnellstmöglich modernisiert und ertüchtigt werden. Ein Ausbau der Zubringerstrecke zur geplanten Fehmarnbelt-Querung zählt hingegen in Deutschland nicht zu den vorrangingen Projekten.
Die Knoten Hamburg, Bremen und Hannover sind schon heute die Sorgenkinder des deutschen Eisenbahnnetzes. Anstatt die Nord-Süd-Verkehre zu dezentralisieren, würde die Fehmarnbelt-Querung sie alle über Hamburg leiten. Das Desaster von kilometerlangen Staus im Güterverkehr und ein Chaos im Personenverkehr rund um Hamburg wären vorprogrammiert.
Auch auf der Straße führt die vierspurig geplante Fehmarnbelt-Querung in ein Nadelöhr. Die bereits existierende Fehmarnsund-Querung zwischen dem deutschen Festland und der Insel Fehmarn ist nur zweispurig ausgebaut. Ein weiterer Ausbau ist aus Naturschutzgründen verboten und wird von der Landesregierung in Schleswig-Holstein ausdrücklich auch nicht angedacht. Die Kapazitäten, die milliardenschwer aufgebaut werden sollen, enden also wenige Kilometer später im Stau.
Aber schauen wir noch einmal auf das liebe Geld. Die Dänen wollen fast alle Kosten übernehmen, während in Deutschland die Devise gilt: „Warum sollten wir die Fehmarnbelt- Querung ablehnen, wenn wir sie quasi geschenkt bekommen.“
Doch die Freude über den „geschenkten Gaul“ aus Kopenhagen ist aus zwei Gründen alles andere als klug: Erstens bleiben noch immer Lasten von mindestens einer Milliarde Euro auf deutscher Seite, ergänzt durch den deutschen Anteil an den EU-Mitteln. Zweitens steht auch die Regierung in Berlin im Weg, wenn es um eine zukunftsweisende europäische Verkehrspolitik geht.
Wollte man von den Projekten der Transeuropäischen Netze, dem europäischen Verkehrswegeplan, nur drei Projekte realisieren – den Brenner-Basistunnel zwischen Österreich und Italien, den Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark und den eben schon erwähnten Eisenbahn-Tunnel zwischen Lyon und Turin – wäre das Geld schon mehr als verbraucht, ohne dass auch nur ein einziger sinnvoller verkehrspolitischer Effekt erzielt worden wäre.
Im Vertrag von Lugano hatte sich Deutschland 1996 verpflichtet, die Schienenstrecke für den wichtigsten Güterkorridor Rotterdam—Genua viergleisig auszubauen. Im Vertrauen darauf hatte die Schweiz mit dem Tunnelbau begonnen. Der Lötschbergtunnel ist bereits fertig, der Gotthardt-Tunnel schon durchstochen. Auf deutscher Seite müssten für den Abschnitt zwischen Basel und Karlsruhe vier Milliarden Euro investiert werden. Im letzten Haushalt waren dafür 19 Millionen eingeplant. Bei diesem Etat bräuchten wir mehr als 200 Jahre, bis Deutschland den Vertrag von Lugano erfüllt.
25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa sind gerade die Eisenbahnverbindungen gen Osten noch immer in einem schlechten Zustand. Von Berlin nach Breslau dauerte es einst zweieinhalb Stunden, heute mit fünf Stunden doppelt so lange. Auch die Verbindung von Berlin nach Świnoujście und nach Usedom, in die „Badewanne von Berlin“, könnte von vier auf zwei Stunden halbiert werden. Lediglich 100 Millionen Euro würden benötigt, um die nach dem Krieg abmontierten Gleise und die von deutschen Truppen in den letzten Kriegstagen zerstörte Karniner Brücke wieder aufzubauen.
Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Der europäische Eisenbahnraum ist nämlich ein Flickenteppich, dessen Lücken exakt an den Grenzen sind. Trotz Milliarden-Investitionen der letzten Jahrzehnte wurde der europäische Mehrwert nicht erreicht, weil die Gelder der EU von den Mitgliedsstaaten lieber für ihre nationalen Projekte als Mitnahmeeffekt genutzt werden.
Aber etwas Positives gibt es auch zu vermelden: Zwischen dem deutschen Sebnitz und dem tschechischen Dolní Poustevna wird 2014 die Lücke von 660 Metern geschlossen. Dieser Lückenschluss dauerte 25 Jahre!
Nicht nur angesichts der knappen Mittel müssen alle Planungen deshalb unter zwei Gesichtspunkten überprüft werden: Welchen øverkehrspolitischen Effekt haben sie? Und wie wirken sie sich auf die Umwelt aus? Eine europäische Verkehrspolitik muss in erster Linie das Zusammenwachsen Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs befördern. Zudem muss aus ökologischen Gründen die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf Eisenbahn und Schiff erreicht werden. Erst wenn das gelungen ist, könnte man sich sinnvollen Großprojekten zuwenden. Macht man es umgekehrt, wird auf Jahrzehnte das Geld vergraben, das für die Verkehrsverlagerung heute so dringend notwendig ist.
Auch wenn es anders behauptet wird – die feste Querung über den Fehmarnbelt ist noch längst nicht beschlossene Sache. Die Zahlen sind von 2004, als man noch genauso fest von einer Brücke ausging wie heute von einem Tunnel.
Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
aus SIGNAL 2/2014 (April/Mai 2014), Seite 26-27