Fernverkehr
Das DB-Angebotskonzept für den Fernverkehr nach Fertigstellung der Strecke Nürnberg—Berlin steht
20. Jun 2014
Das „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8“, die Aus- bzw. Neubaustrecke Nürnberg—Erfurt—Halle/Leipzig—Berlin, ist neben dem Projekt „Stuttgart 21“ zurzeit Deutschlands größtes und mit rund 10 Milliarden Euro auch teuerstes Schieneninfrastrukturprojekt. Nach jahrelangen Verzögerungen gehen die Bauarbeiten nun aber im Neubauabschnitt in die Endphase. Ab Dezember 2015 bzw. 2017 werden viele Bahnkunden von den deutlich kürzeren Fahrzeiten profitieren. Allerdings gibt es für viele andere Fahrgäste einen Verlust von Direktverbindungen bzw. neue Umsteigezwänge.
Die insgesamt 17 Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE) wurden 1991, wenige Monate nach der Wiedervereinigung, seitens der Bundesregierung auf den Weg gebracht. Das Verkehrsprojekt Nr. 8 ist dabei das größte der insgesamt neun Schienenprojekte dieses Programms. Zugleich ist
diese Verbindung Bestandteil des 1996 von der Europäischen Union initiierten Konzepts der Transeuropäischen Verkehrsnetze (TENV), festgelegt als Projekt Nr. 1 Berlin—München—Neapel—Palermo.
Bedingt durch eine völlig unrealistische Investitionsplanung im Bereich der Schieneninfrastruktur gab es beim VDE-Projekt Nr. 8 allerdings jahrelangen Stillstand bzw. wurde in nur sehr eingeschränktem Rahmen zur Erhaltung des Baurechts gebaut. So war Baubeginn der Neubaustrecke Ebensfeld—Erfurt bereits im April 1996!
Das VDE-Projekt Nr. 8 ist von Süd nach Nord in folgende Abschnitte gegliedert:
Fertiggestellt ist seit 2003 der 23 km lange Neubaustreckenabschnitt Gröbers—Leipzig mit dem Flughafenbahnhof, des Weiteren seit 28. Mai 2006 die Ausbaustrecke Leipzig/Halle—Berlin.
Ende 2015 erfolgt die Inbetriebnahme des VDE-Teilprojekts 8.2. Der bezüglich der Trassierung sehr aufwändige Neubaustreckenabschnitt Ebensfeld—Erfurt (hier waren 22 Tunnel mit einer Gesamtlänge von 41 km und 29 Talbrücken mit 12 km Länge zu errichten) geht mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2017 in Betrieb.
Durch die beiden Neubaustrecken werden in der Relation Nürnberg—Halle/Leipzig Fahrzeitverkürzungen von 1,5 Stunden möglich, zwischen Erfurt und Halle/Leipzig von 0,5 Stunden. Die Durchschnittsgeschwindigkeit erhöht sich auf der Nord-Süd-Achse von derzeit 115 km/h auf dann 140 km/h.
Das Angebotskonzept von DB-Fernverkehr sieht folgendes Linienkonzept vor:
Die Reiseketten Magdeburg—München und Halle (Saale)—Frankfurt (Main) werden als Umsteigeverbindung hergestellt.
Die derzeitige ICE-Linie 11 erhält den geänderten Zuglauf Berlin—Kassel-Wilhelmshöhe—Frankfurt (Main) Flughafen. Die Durchbindung nach München über Mannheim und Stuttgart entfällt somit.
Als Option ist weiterhin die ICE-Linie 15 Berlin—Halle (Saale)—Erfurt—Frankfurt (Main) geplant, die ca. 20 Minuten schneller als die o. g. Taktlinie über Leipzig ist.
Weiterhin sind in der Relation Berlin—München Sprinterverbindungen als ICE-Linie 8 vorgesehen, welche lediglich einen Zwischenhalt in Nürnberg Hbf haben. Die Züge sind damit rund 30 Minuten schneller gegenüber den Zügen der Taktlinie 28.1. Eine Umsetzung erfolgt in Abhängigkeit von der Nachfrageentwicklung und nicht zuletzt auch von der Fahrzeugverfügbarkeit.
Bedingt durch die deutliche Fahrzeitverkürzung wird beispielsweise in der Relation Berlin—München eine Verdoppelung des Marktanteils der Bahn prognostiziert. Während der derzeitige Markt im Wesentlichen vom Flugzeug abgedeckt wird, besteht die Chance, dass sich ab 2018 der Anteil zugunsten der Bahn verschiebt. Sofern die Prognosen zutreffen, wird die Bahn ab diesem Zeitpunkt (auch im Vergleich zum Pkw) in dieser Relation das bevorzugte Verkehrsmittel.
Unbefriedigend bleibt allerdings die Tatsache, dass nach Inbetriebnahme o. g. Neubaustreckenabschnitte viele heute mit ICE-/IC- Direktverbindungen bediente Städte ihre Halte im Fernverkehr entweder komplett oder zumindest aber weitgehend verlieren. Es entstehen somit spürbare Angebotslücken. Mit der kompletten bzw. kurzsichtigen Abschaffung des InterRegio-Zugsystems sind in der Vergangenheit bereits erhebliche Angebotsmängel im Schienenpersonenfernverkehr entstanden; in nur wenigen Fällen wurde Ersatz durch andere Fernverkehrsangebote geschaffen.
Betroffen sind Weißenfels, Naumburg (Saale), Weimar, Jena, Saalfeld und Lichtenfels.
In der Relation Jena—Berlin sind seitens der Deutschen Bahn künftig lediglich noch zwei Zugpaare in Lastrichtung vorgesehen. Fraglich ist, ob die Bahnkunden ein derartiges Sparangebot akzeptieren und ob es somit dauerhaft erhalten bleibt.
In der Relation Düsseldorf—Kassel—Erfurt werden künftig drei Zugpaare über Weimar und Jena ab/bis Gera durchgebunden. Erfreulich ist dabei die Wiederanbindung von Gera an den Fernverkehr. Im Abschnitt Erfurt—Gera wird es analog zum Nordabschnitt der IC-Linie 56 (im Abschnitt Bremen—Norddeich Mole) eine Tarif- und Fahrplanintegration geben, also die Anerkennung der Nahverkehrstarife in den Intercity-Zügen.
Noch nicht geklärt ist indes die Anbindung der Stadt Coburg. Für die Direktanbindung werden derzeit extra rund 5 km Verbindungsstrecken von/zur Neubaustrecke Ebensfeld—Erfurt geschaffen.
Um weitere Angebotseinschränkungen bzw. daraus resultierende unattraktive Umsteigezwänge für die Bahnkunden zu vermeiden, schlagen DBV und IGEB folgendes Linienkonzept vor:
Führung dieser Linie über Coburg, so dass die Anbindung der Stadt im 2-Stunden-Takt gewährleistet wird; durch Flügelzugbildung in Nürnberg Hbf kann zudem die umsteigefreie Bedienung sowohl von Augsburg als auch Ingolstadt ermöglicht werden.
Verlängerung dieser Linie in dem derzeit bestehenden 2-Stunden-Takt über Nürnberg Hbf hinaus ab/bis Leipzig Hbf mit den Systemhalten in Erlangen, Bamberg, Lichtenfels, Saalfeld, Jena Paradies, Naumburg (Saale) Hbf , Weißenfels.
Damit gibt es weiterhin eine qualitativ gute Anbindung der von den DB-Angebotsveränderungen betroffenen Städte – ausgenommen Weimar.
Des Weiteren wird durch diese InterCity-Linie ein gegenüber dem ICE-Angebot preisgünstigeres Alternativangebot geschaffen. Das ist bedeutsam, da man leider davon ausgehen muss, dass sich die Deutsche Bahn den nach Inbetriebnahme des VDE-Projekts 8 erzielbaren deutlichen Fahrzeitvorteil durch ebenso deutliche Fahrpreissteigerungen beim ICE-Angebot bezahlen lässt.
Zum Vergleich: Auf der für 230 km/h ausgebauten Bahnstrecke Berlin—Hamburg kostet die einfache Fahrt in der 2. Klasse (Normaltarif) mittlerweile 78 Euro im ICE, dagegen im IC/EC „nur“ 64 Euro. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des derzeitigen Fernbusbooms ist daher der Erhalt bzw. die Schaffung einer kostengünstigeren Alternative zum ICE mithilfe des InterCity-Zugsystems dringend geboten.
Auch diese Linie kann (alternativ, ggf. ergänzend zur IC-Linie 61) im 2-Stunden-Takt über Leipzig Hbf hinaus ab/bis Nürnberg Hbf über Weißenfels—Naumburg (Saale) Hbf—Jena Paradies—Saalfeld—Lichtenfels—Bamberg—Erlangen verlängert werden.
Sinnvolle Linienverlängerungen über Nürnberg hinaus sind einerseits die Durchbindung ab/bis Stuttgart über Crailsheim, andererseits ab/bis Passau über Regensburg. Beide Linienäste können dabei im Wechsel bedient werden.
In der Relation Leipzig—Jena—Saalfeld—Nürnberg bzw. über die benannten Endpunkte hinaus besteht aber auch die Chance, dass ein anderes Eisenbahnverkehrsunternehmen alternativ zur Deutschen Bahn ein Fernverkehrsangebot auf der Schiene aufbaut. Der Fernverkehr auf der Schiene muss schließlich nicht zwangsläufig nur durch die DB gestaltet werden!
Deutscher Bahnkunden-Verband
IGEB Fernverkehr
aus SIGNAL 3/2014 (Juni/Juli 2014), Seite 28-29