Planung
Die IGEB-Stellungnahme im Planfeststellungsverfahren
1. Apr 1996
Im Herbst 1995 lagen die Pläne für die U5-Verlängerung für den Abschnitt Alexanderplatz bis Pariser Platz aus. Unter Hinweis auf Entscheidungen des Berliner Senats zugunsten der U5 war im Erläuterungsbericht unter "Verkehrliche Begründung" der folgende aufschlußreiche Satz zu lesen: "Indem der Souverän des Landes Berlin in der beschriebenen Form seinen Willen kundgetan hat, hat sich damit gleichzeitig die Frage nach alternativen Verkehrsmitteln für diese Verkehrsbeziehung vom Grunde her erledigt." Diese Formulierung zeigt nicht nur das Demokratieverständnis der Berliner Verwaltung, sondern sie läßt auch erahnen, wie ernsthaft man über Alternativen zur sündhaft teuren U5 nachgedacht hat.
Der Berliner Fahrgastverband hat es sich dennoch nicht nehmen lassen, dem Souverän zu widersprechen und am 17. Oktober die nachfolgende Stellungnahme zu den ausgelegten Plänen abzugeben. Diese ist unverändert aktuell. Zwar hat sich die Koalition auf eine Zurückstellung des U5-Baues verständigt (s. "Der Milliarden- Poker" auf S. 17) , aber das Planfeststellungsverfahren wird fortgesetzt.
Der Berliner Fahrgastverband lehnt die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 aus verkehrlichen und aus finanziellen Gründen ab. Allein der Bau der ca. 4 km langen Verlängerungsstrecke zwischen Alexanderplatz und Lehrter Bahnhof soll nach heutigen Kostenschätzungen ca. 1,7 Mrd DM kosten (dies entspräche einem Preis von über 400 Mio DM/km !). Bei einer derartigen Mittelkonzentration würde eine weitere Verzögerung bei Wiederherstellung, Sanierung und Neubau sehr viel wichtigerer und unter Kosten-Nutzen Gesichtspunkten weitaus günstigerer ÖPNV-Vorhaben um mehrere Jahre drohen.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB e.V. äußert daher zu den zum Zwecke der Planfeststellung ausgelegten Plänen und dem Erläuterungsbericht folgende Bedenken:
Die geplante U-Bahn-Linie 5 würde von Kaulsdorf bis Moabit parallel zur bestehenden S-Bahn-Linie 5 Führen, wobei sich auf dem hier relevanten Abschnitt sogar die fußläufigen Einzugsbereiche der Bahnhöfe teilweise überschneiden. Die errechnete Entlastung der Stadtbahn (laut Erläuterungsbericht Fahrgastrückgang um ein Viertel, ohne daß dadurch nennenswerte Reduzierungen im betrieblichen Aufwand möglich wären), ist aber überhaupt nicht erforderlich, da sie - auch ohne U5 - Kapazitätsreserven haben wird. Die prognostizierten hohen Fahrgastzahlen für die U5 resultieren - u.a. wegen der rechnerisch zugrundegelegten Weiterführung der U5 bis nach Moabit/Jungfernheide - zu erheblichen Teilen aus Fahrgastverlagerungen von der Stadtbahn und der U-Bahn-Linie 2. Insofern kann die in der verkehrlichen Begründung dargestellte Zielstellung (Erläuterungsbericht S. 8), daß "Verkehrsströme herausgehobener Verkehrsbeziehungen auf unabhängige Bahnen zu legen sind", nicht als ausreichende Begründung Für die U5 angesehen werden, da ein erheblicher Teil der U5-Fahrgastpotentiale bereits das bestehende Schnellbahnnetz nutzen kann und von der U5-Verlängerung nur in Form von minimalen Reisezeitverkürzungen profitieren würde.
Eine derartige, hier rechnerisch zugrundegelegte Verlängerung der U5 bis nach Moabit ist jedoch aus finanziellen Gesichtspunkten nur sehr langfristig realisierbar. Wenn es überhaupt zu einer Verlängerung der U5 bis zum Lehrter Bahnhof käme, würde der Lehrter Bf für einen sehr langen Zeitraum der Endbahnhof der U5 sein. Es ist daher als ein schwerwiegender Planungsfehler anzusehen, daß im Rahmen des Standardisierten Bewertungsverfahrens kein Wert für eine Teil-Streckenverlängerung vom Alexanderplatz zum Lehrter Bf ermittelt wurde. Das Nichterfassen dieses Zustandes als einen möglichen Planfall zeigt, daß hier ganz offensichtlich auch von Seiten des Senates ein schlechter Wert, wahrscheinlich sogar unter 1 (d.h. gesamtwirtschaftlich nicht sinnvoll), erwartet wurde.
Aber auch die für die Verkehrsprognose zugrundegelegten Annahmen sind unvollständig (Erläuterungsbericht S. 16). So wurde z.B. nicht berücksichtigt, daß im Bereich der Friedrichstraße eine Straßenbahn geplant ist, für deren ersten Abschnitt (Verküpfüng mit dem S- und U-Bf Friedrichstraße) immerhin das Planfeststellungsverfahren bereits eingeleitet wurde.
Wie bei vergleichbaren Planungen in anderen Bundesländern üblich, hätte als Alternative zur U5 im Standardisierten Bewertungsverfahren selbstverständlich auch ein Wert für eine alternative Straßenbahnstrecke ermittelt werden müssen, zumal im Auftrag der BVG erstellte Modelrechnungen Vorteile einer derartigen ÖPNV-Erschließung erwarten lassen (IVU: Modellrechnungen zur Belastung verschiedener Varianten des ÖPNV-Schienennetzes der Region Berlin. Im Auftrag der BVG. Berlin 1993). Die in dieser Untersuchung ermittelte optimale Streckenführung einer Straßenbahn über Französische Straße, Friedrichstraße, Bf Friedrichstraße, Reichstagsufer, Moltkestraße, Friedrich-List-Ufer, Lehrter Bf, Invalidenstraße und Turmstraße weiter zum Bf Jungfernheide hätte eine deutlich geringere maximale Querschnittsbelastung als die geplante U5, weil die Verlagerung von Stadtbahn und U2 entfallen würde. Somit wäre eine Straßenbahn zur Bewältigung des Verkehrs völlig ausreichend und böte sogar Vorteile: Durch umsteigefreie Direktverbindungen würden durch mögliche Linienüberlagerungen Fahrgäste aus den Einzugsbereichen der drei großen Straßenbahnradialen Prenzlauer Allee, Greifswalder Straße und Landsberger Allee erheblich profitieren.
Die stärkste Streckenbelastung wäre auf dem Abschnitt zwischen Turmstraße und Lehrter Bf mit über 50.000 Fahrgästen je Tag und Richtung zu erwarten. Ähnlich hohe Werte würden in den Abschnitten Friedrichstraße und Französische Straße erreicht, da hier wegen der besonderen Attraktivität der Straßenbahn noch mit einem erheblichen Anteil von Kurzstreckenfahrten zu rechnen ist, die wegen des größeren Bahnhofsabstandes und der erschwerten Zugänglichkeit von der U5 nicht abgedeckt werden könnten. In diesen Abschnitten wäre bei der Straßenbahn in der Spitzenzeit mit einem Aufkommen von 4.000 Fahrgästen je Stunde in der Lastrichtung zu rechnen. Diese beachtlichen Belastungen überschreiten jedoch selbst unter Zugrundelegung der restriktiven Vorgaben des Berliner Senats für die Straßenbahn nicht die Leistungsfähigkeit des Straßenbahnsystems. Im übrigen muß daraufhingewiesen werden, daß bei Zugrundelegung andernorts üblicher Standards und eines in Doppeltraktion geführten GT8-Zuges bis zu 20.000 Fahrgäste je Richtung und Stunde befördert werden können.
Sollte es trotz der benannten grundsätzlichen Bedenken zu einem Bau der U5-Verlängerung kommen, so wären bei der Realisierung folgende Punkte zu beachten:
Am U-Bf Spreeinsel wären unbedingt am westlichen Bahnsteigende zusätzliche Zugänge erforderlich, da mit den vorgesehenen Zugängen ausgerechnet die am stärksten frequentierten Einrichtungen im Bahnhofsumfeld (Humboldt-Uni und Staatsoper) nur mit erheblichen Umwegen zu erreichen wären.
Bezüglich der Umsteigesituation zur U6 am geplanten U-Bf Unter den Linden würde die mittige Lage des U5-Bahnsteiges unter der U6 eine Entflechtung der Ströme der umsteigenden Fahrgäste ermöglichen und vom Straßenniveau auf beide Bahnsteigebenen durchgehende Aufzüge erlauben. Der Bahnsteig der U5 sollte daher nach Westen verschoben werden. Aufgrund der hier vorgesehenen erheblichen baulichen Aufwendungen (Überführungsbauwerk!) halten wir die Anlage von Abstellgleisen westlich des geplanten U-Bfs Unter den Linden für wirtschaftlich nicht vertretbar.
IGEB
aus SIGNAL 2/1996 (April 1996), Seite 15-17