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Dem Mythos Reichsbahn auf der Spur


IGEB

1. Mai 1996

Die Deutsche Reichsbahn führ von 1920 bis 1994 durch alle Staats- und Regierungsformen, so als gäbe es kein "Verfallsdatum" für sie. Nach 1945 gehörte die DR keinem Reich mehr an und führte, ihrem paradoxen Namen gemäß, eigentlich eine Existenz auf Abruf. In Westdeutschland endete dieser Anachronismus 1949, nicht so in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR.

Bis in die jüngste Zeit hat kaum ein Autor der Eisenbahngeschichte den Versuch unternommen, dem Mythos der Reichsbahn als ostdeutscher Staatsbahn zu Leibe zu rücken. Langgediente Eisenbahner und namhafte Fachpublizisten planten 1990 eine Gesamtdarstellung des Themas - dieses in einem Band zu bewältigen, stellte sich bald als vermessen heraus. Auch die Fülle hervorragender Bild- und Textdokumente bewog die zehn Autoren, nun dem Zeitraum von 1945 bis 1995 einen eigenen Band zu widmen. Sie zeichnen erstmals ein umfassendes Bild dieses spannungsgeladenen Eisenbahnjahrzehnts bis zur "Souveränität" der DDR von Sowjetgnaden.

Ein Schwerpunkt ist die frühe Nachkriegssituation der Reichsbahn im geteilten Berlin: der Arena der Siegermächte, wo deutsche Tragödie und Aufbaustolz eng verwoben waren und wo eisenbahnseits dem Weltverkehr der Dornröschenschlaf folgte. Schon allein wegen des Kapitels über "die aus der Bahn geworfene Metropole" - beginnend mit dem apokalyptischen Szenario des April 1945, ausführlich auf Blockade, Eisenbahnerstreik, frühen Interzonenverkehr und kuriose Rechtslage der DR namentlich in Berlin (West) eingehend - schließt der Bahn eine Lücke auf dem Büchermarkt. Geschildert wird zudem, wie Deutsche mit ihren Kriegslokomotiven nun für die Siegermacht quer durch Polen bis nach Brest und ins ehemalige Ostpreußen dampfen, wie der elektrische Betrieb durch Demontage sozusagen auf "Null-Hertz" heruntergefahren wird, wie sich die Partei mit politischer Verwaltung und politischen Abteilungen aller Ebenen der Eisenbahnverwaltung bemächtigt. Gestützt auf zahlreiche Originaldokumente aus DR-Archiven und bebildert mit ausdrucksstarken Pressefotos werden bislang unerreichte Authentizität und stimmiges Zeitgefühl vermittelt.

Robin Garn (Hrsg.): Reichsbahn ohne Reich. Über die Nachkriegsgeschichte der ostdeutschen Staatsbahn. Band 1 (1945 -1955): Auferstanden aus Ruinen? 208 Seiten, A4 hoch, Fadenheftung. Über 300 Fotos (Duplexdruck), Faksimiles, Karten und Tabellen. Verlag LOK Report, Berlin 1996. Preis 88 DM. ISBN 3-921980-52-6

IGEB

aus SIGNAL 3-04/1996 (Mai 1996), Seite 8