Planung

Keine Straßenbahn durch die Friedrichstraße

Ingo Schmitt macht Eberhard Diepgen zum Lügner


Michael Cramer, MdA Berlin Verkehrspolitischer Sprecher Bündnis 90/Die Grünen

1. Mai 1996

Die Blockade der Straßenbahngegner Ingo Schmitt und Dr. Ural Kalender in der Senatsverkehrsverwaltung hat offensichtlich Erfolg. Trotz gegenteiligem Sentasbeschluß blockieren beide mit allen Tricks und Raffinessen die Straßenbahn in der Friedrichstraße seit mehr als fünf Jahren. Nun stehen sie kurz vor dem Ziel ihrer langjährigen Wünsche, denn die Straßenbahn soll aus der Friedrichstraße verbannt bleiben.

Foto: Marc Heller
„Additive Fahrgastinformation“ bei der BVG. Vermutlich aber ist diese Haltestelle (Bild oben Vorderseite unten Rückseite) kein Prototyp einer neuen Haltestellengeneration, sondern Ausdruck von gedankenlosem Umgang mit der Kundeninformation. Foto: Marc Heller

"Die Beibehaltung der Straßenbahnoption [für die Friedrichstraße] erfordert weiterhin eine Lösung des Problems Friedrichstraße/Zimmerstraße. Auch eine verkehrliche Begründung kann nicht gegeben werden, da die Kosten/Nutzen-Untersuchung für eine Linienführung über Friedrichstraße - Zimmerstraße - Potsdamer Platz - Magdeburger Platz keine ausreichende Bewertung ergibt. Das Vorhaben ist in Frage gestellt; eine politische Entscheidung ist erforderlich", heißt es in einem aktuellen Protokoll der Senatsbauverwaltung zur Straßenbahnplanung.

Als ob es diese politische Entscheidung nicht schon längst gäbe! Wir erinnern uns: In der Senatssitzung am 27. April 1993 legte die Senatsverkehrsverwaltung mit dreijähriger Verspätung endlich ein Straßenbahnkonzept für Berlin vor. Aber obwohl Investoren in der Friedrichstraße, die BVG und alle Parteien des Abgeordnetenhauses - mit Ausnahme der CDU - die Straßenbahn in der Friedrichstraße forderten, war sie in diesem Konzept nicht enthalten. Schmitt und Kalender favorisierten stattdessen eine Busspur, auf der die Busse im 90-Sekunden-Takt fahren sollten, mit unerträglichen Lärm- und Schadstoffemissionen für die Kundschaft der Friedrichstadt-Passagen.

Auf Intervention des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen wurde dann die Beschlußvorlage der Verkehrsverwaltung geändert. Der Senat beschloß: "In der Umsetzung des Straßenbahnkonzeptes für Berlin sind die Aussagen zur Friedrichstraße dahingehend zu verändern, daß eine Verlängerung der Streckenführung in Richtung Süden bis zur Leipziger Straße vorrangig [Hervorhebung M.C.] vorgesehen wird. Demzufolge sind die anderen diesbezüglichen Aussagen im Konzept anzupassen."

Die Friedrichstraße, Blick nach Norden zum U-Bf Französische Straße. Die Bauarbeiten an den Hochbauten und den Bahnsteigverlängerungen der U6 sind weitgehend abgeschlossen, die Fahrbahn ist wiederhergestellt. Aber von Straßenbahngleisen ist nichts zu sehen. Für deren Realisierung wurde noch nicht einmal mit dem förmlichen Planverfahren begonnen. Dabei hatte der Senat 1993 doch beschlossen: „Die Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe wird beauftragt sicherzustellen, daß die erforderlichen Baumaßnahmen an den U-Bahnhöfen der Linie 6 im Streckenabschnitt zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Stadtmitte zeitlich so mit den Tiefbaumaßnahmen ... einschließlich der Baumaßnahmen für den beabsichtigten Straßenbahnverkehr koordiniert werden, daß eine weitestgehend gleichzeitige Fertigstellung möglich wird.“ Foto: Marc Heller

In diesem Senatsbeschluß wurde dann weiterhin als Protokollnotiz folgendes vereinbart: "Die Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe wird beauftragt sicherzustellen, daß die erforderlichen Baumaßnahmen an den U-Bahnhöfen der Linie 6 im Streckenabschnitt zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Stadtmitte zeitlich so mit den Tiefbaumaßnahmen in diesem Abschnitt der Friedrichstraße einschließlich der Baumaßnahmen für den beabsichtigten Straßenbahnverkehr [Hervorhebung M.C.] koordiniert werden, daß eine weitestgehend gleichzeitige Fertigstellung möglich wird."

Wer nun gedacht hatte, die Senatsverkehrsverwaltung würde mit Hochdruck die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens für die Straßenbahn durch die Friedrichstraße bis zur Leipziger Straße betreiben, mußte sich getäuscht sehen. Drei Jahre später ist noch nicht mal ein Planfeststellungsbeschluß für die kleine Verlängerung bis zur Dorotheenstraße erfolgt, geschweige denn, daß das Planfeststellungsverfahren für den übrigen Teil der Friedrichstraße eingeleitet bzw. daß mit Abschluß der Bauarbeiten an den Bahnsteigverlängerungen der U6 die Straßenbahn berücksichtigt worden wäre.

Mit dieser Blockadepolitik wurde nicht nur die Straßenbahn verhindert, sondern auch ein Senatsbeschluß faktisch außer Kraft gesetzt. Weiterhin wird dadurch der ökonomische Erfolg der Friedrichstadt-Passagen aufs Spiel gesetzt, das Wort des Regierenden Bürgermeisters zur Beliebigkeit degradiert.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert den Regierenden Bürgermeister auf, Wort zu halten. Sie fordert den Senat auf, dafür Sorge zu tragen, daß der Beschluß vom 27. April 1993 so umgesetzt wird, daß noch im laufenden Planfeststellungsverfahren für die Verlängerung der Straßenbahn bis zur Dorotheenstraße die Verlängerung bis zur Leipziger Straße berücksichtigt wird. Da bei der neuen Straßenbahnbestellung auch 15 Zweirichtungsfahrzeuge geordert wurden, ist die Straßenbahnverlängerung durch die Friedrichstraße bis zur Leipziger Straße auch dann möglich, wenn die Trasse für die Weiterführung durch die Leipziger Straße noch nicht festliegt.

Michael Cramer, MdA Berlin Verkehrspolitischer Sprecher Bündnis 90/Die Grünen

aus SIGNAL 3-04/1996 (Mai 1996), Seite 25-26