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„Berliner Rekord: 320 Meter U-Bahn in fünf Jahren gebaut“, lautete die Überschrift eines Tagesspiegel-Artikels vom 8.3.96. Man könnte die Ironie auch noch fortsetzen: 320 Meter U-Bahn für nur 125 Millionen Mark. Doch am 13. Juli soll erst einmal gefeiert werden. Immerhin wird eine seit fast 70 Jahren vorhandene Lücke im Berliner Schnellbahnnetz geschlossen. Endlich können die U8-Fahrgäste auf den Südring umsteigen. Betrachtet man außerdem die dichte Bebauung im Umfeld der neuen U-Bahn-Station, dann sieht man, daß diese Verlängerung sinnvoll ist und sicher gut angenommen wird - anders als die U8-Nord, wo die Züge auf dem 1994 fertiggestellten Abschnitt zwischen Paracelsusbad und Wittenau oft erschreckend leer sind.
1. Jul 1996
Im Herbst 1994 feierte sich Berlins Politik mit der Fertigstellung eines Bauwerks, das ebenso umstritten wie auch teuer war und darüber hinaus Nachbesserungen verursachte. Die U-Bahn-Linie 8 fährt seitdem bis zum Bahnhof Wittenau - in Sichtweite des Märkischen Viertels, zu dem man mit der schon etwas länger existenten S-Bahn zumeist in weitaus kürzerer Zeit gelangt. Dieser Tunnel-Neubau wurde seinerzeit in SIGNAL nicht in der üblichen Weise "gewürdigt", es ist auch müßig, sich an Details längst geschaffener Tatsachen zu delektieren. Interessant ist eine Betrachtung dieses Teilstücks allerdings unter dem Gesichtspunkt seiner Planung und Entstehung in Zeiten weitgehender Ignoranz gegenüber der S-Bahn und dem Zwang, möglichst viel Beton unter die Erde zu bringen. Die üppige Ausstattung der Bahnhöfe mit nur zum Teil genutzten Nebenräumen ist ein Hinweis darauf.
Bemerkenswert an dieser Strecke ist auch der hohe Umfang an kostenintensiven Nacharbeiten, die kurz nach Eröffnung schon wieder massive Betriebseinschränkungen erforderten. Für einen Neubau blamabel. Warum schreiben wir das? Die Gefahr der Wiederholung ist noch lange nicht gebannt. Da werden trotz eines in den Grundzügen kompletten U-Bahn-Netzes weiter munter Pläne geschmiedet, Bahnhöfe und Nebenanlagen werden mit einer Großzügigkeit geplant, die glatt vergessen läßt, wie es in den Kassen von Land und Bund aussieht. Und wenn erklärt wird, die U5-Verlängerung werde zum größten Teil aus Bonn finanziert, bleibt eben immer noch ein erheblicher Eigenanteil für Berlin. Und ob Bonn oder Berlin - es ist der Steuerzahler, der wenige Baufirmen gesunden läßt und Verkehrsbetriebe mit hohen Betriebskosten und Abschreibungssätzen abhängig macht.
Im Vergleich zum realisierten Milliardenprojekt U8-Nord und zum diskutierten Milliardenprojekt U5-West hätte die Verlängerung der U8-Süd ein eher bescheidenes Vorhaben werden können. Schließlich war lediglich ein Stückchen Tunnel in Neukölln, daß seit 65 Jahren existiert, dem ihm zugedachten Zweck zuzuführen. Doch ganz so einfach war es nicht, denn der U-Bahnhof unter der Ringbahn zu realisieren und die anschließende Aufstell- und Kehranlage unter der stark befahrenen Hermannstraße. Deshalb wurde bekanntlich auch lange über die Notwendigkeit dieser Gleise gestritten, bevor die BVG sie trotz der hohen Kosten und ohne allseits überzeugende Argumente durchsetzen konnte.
Zur Geschichte: Bereits 1913 wurde mit den Bauarbeiten für die neue U-Bahn-Linie zwischen Gesundbrunnen und Neukölln (GN-Bahn) begonnen, doch erst 1927 konnte der erste Abschnitt zwischen Schönleinstraße und Boddinstraße in Betrieb genommen werden, zwei Jahre später erfolgte die Verlängerung der damaligen Linie D zum Ring-Bahnhof Hermannstraße. Fertiggestellt und in Betrieb genommen wurde aber nur der Abschnitt bis zum Bahnhof Leinestraße. Übrig blieben ein "toter" Tunnel, der seit den 60er Jahren wenigstens als Abstellgleis genutzt wurde, und ein Bahnhofsstummel nördlich der Ringbahn.
Die Vollendung des begonnenen Bahnhofs Hermannstraße, im II. Weltkrieg als Luftschutzraum genutzt, wurde durch alle möglichen Umstände stets aufs Neue verschoben. Spätestens mit der Wiederaufnahme des Betriebes auf dem S-Bahn-Südring Ende 1993 wäre eine Vollendung des Torsos wünschenswert gewesen, um mit vertretbarem Aufwand sinnvolle Verknüpfungen im Schnellbahnnetz herzustellen. Nun, Berliner Tempo ist ein beliebiger Allgemeinplatz und kann im Falle dieses Bahnhofs mit ironischem Unterton plaziert werden. Am 13. Juli 1996 ist es jetzt aber endlich soweit: Die Linie U8 fährt von Wittenau durch bis zum Bahnhof Hermannstraße. Zwar gibt es an beiden Streckenenden Pläne für eine weitere Verlängerung der U8, realistisch sind diese aber nicht, zumindest nicht in den nächsten 20 Jahren.
Lobenswert ist beim fertiggestellten U-Bahnhof Hermannstraße der direkte Übergang zum S-Bahnsteig, der bei der Südring-Sanierung mit berücksichtigt wurde. Weniger schön ist, daß die Gestaltung der Zugangsbauwerke noch zu sehr alten Philosophien des U-Bahn-Baues aus der Ära Rümmler verpflichtet ist: Ecken, Winkel, lange Gänge. Es ist schon lange Allgemeingut, daß gerade unterirdische Verkehrsanlagen, so sie denn überhaupt sinnvoll sind, größtmögliche Transparenz und Überschaubarkeit bieten müssen.
Bedauerlich ist, daß die Fahrtreppen an beiden Bahnsteigenden nur in die Zwischengeschosse führen. Dies hat bauliche Gründe, man hätte sonst teure und zeitaufwendige Eingriffe in die Widerlager der Hermannstraßenbrücke vornehmen müssen. Als gestalterische Besonderheit hervorzuheben ist die Idee, noch sichtbare Anschriften aus der Zeit der Nutzung als Luftschutzraum zu erhalten und hinter Glasscheiben sichtbar zu machen. Wollen wir hoffen, daß diese wichtigen Denk-Male möglichst lange von blinder Zerstörungswut verschont bleiben.
Im Bereich der S-Bahn-Unterquerung wurden Schallschutzmaßnahmen vorgenommen, die wesentlich zur Steigerung der Aufenthaltsqualität beitragen. Der Schallschutz ist nur leider wenig effektiv, da im Regional - bzw. Fernbahnbereich selbiger eingespart wurde.
Unter dem Strich kann man festhalten: Mit der - wenn auch späten - Vollendung dieses Bauwerkes ist nun eine sinnvolle Komplettierung des Schnellbahnnetzes vorhanden - im Gegensatz zu der nördlichen Verlängerung, deren untergeordneter Verkehrswert schon an der Taktausdünnung ab Osloer Straße sichtbar wird. Für die Zukunft sollte es bei Netzergänzungen wie im Fall Hermannstraße bleiben. Mehr U-Bahn-Bau ist nicht bezahlbar und auch verkehrlich nicht sinnvoll.
IGEB
aus SIGNAL 5/1996 (Juli 1996), Seite 4-6