Planung

In vier ICE-Stunden von der Spree zur Isar

Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8: Der Sachstand und mögliche Alternativen


IGEB

1. Jul 1996

Bisher kam das umfangreichste aller Schienenwegeprojekte aus dem "Deutschen Einheits-Katalog" nur langsam voran. Lediglich von Berlin bis Halle/Leipzig ist es einigermaßen im Zeitplan. Der Schnellstreckenbau zwischen Leipzig und Nürnberg hinkt dagegen den Vorgaben des Jahres 1991 weit hinterher. Selbst wenn er nach jetzt fast abgeschlossener Planung zügig fortschreitet, werden zur Jahrtausendwende statt des ICE noch Baulaster rollen - vorausgesetzt, das Vorhaben scheitert nicht sogar noch am Bonner Prüfstand von Bundesrechnungshof, Finanzministerium und Parlament. Mindestens bis 1999 ist von stark verringerten Haushaltsansätzen für Verkehrswegeinvestitionen auszugehen.

Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nummer 8, die Strecke Berlin - Nürnberg, ist zugleich Teil der europäischen Verkehrsachse Berlin - Verona. Bei der EU ist die Bahnverbindung Berlin - München - Verona die Nummer 1. Unter dieser Projektnummer gehört sie zum Programm „Transeuropäisches Netz“. Der Streckenverlauf zwischen Nürnberg und München war darin noch offen gelassen worden. Nun wird in Regie der PBDE die Ingolstädter Trasse gebaut (durchgezogene Linie). Allerdings floß auch für die anderen Abschnitte bisher kaum Geld aus EU-Töpfen.

Mitte April begannen immerhin die Arbeiten am Neubauabschnitt durch den Thüringer Wald. Lange von Finanzierungsquerelen gebremst, könnte auch der Streckenneubau südlich von Nürnberg endlich auf Touren kommen. Beauftragt wird damit nun ebenfalls die "Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit" (PBDE). Bisher nur für Berlin - Nürnberg zuständig, betreut sie künftig das Gesamtprojekt bis vor die Tore der bayerischen Landeshauptstadt. Zugleich ist die Strecke Bestandteil der von der EU beschlossenen transeuropäischen Verkehrsachse Berlin - Verona.

Mit nur noch vier Stunden Fahrzeit will die Bahn zwischen Berlin und München die zum Auto oder Flugzeug abgewanderten Reisenden zurückgewinnen. Gegenwärtig benötigen die InterCities vom Berliner Hauptbahnhof knapp siebeneinhalb Stunden. Per ICE vom Bahnhof Zoo mit Umsteigen in Kassel oder Fulda wird die Isarmetropole eine dreiviertel Stunde schneller erreicht. Nur die Umwegverbindung kann also heute in puncto Tempo mit dem Auto konkurrieren (von der Stauanfälligkeit der Autobahn einmal abgesehen). Allerdings bremst die Bahn ihre IC-Züge auf dem immerhin nun durchgehend elektrifizierten Schienenweg via Saalfeld - Nürnberg sozusagen selbst aus, weil sie diese generell über Leipzig leitet und zudem recht oft halten läßt. Eine geringe Reisezeitverkürzung bringt die für Herbst 1996 geplante Einführung von Wendezug-Einheiten: Sie verkehren ab Berlin Zoo und ersparen wenigstens den Lokwechsel im Leipziger Kopfbahnhof.

Sprinter-IC auf der direkteren Route über Halle könnten die Strecke Berlin - München schon heute in sechs bis sechseinhalb Stunden bewältigen. Noch schneller wären sogenannte NeiTech- Züge, die sich mit wesentlich höherem Tempo "in die Kurven legen". Darauf ist noch zurückzukommen.

Zunächst sei hier ein Überblick gegeben, wie weit das "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8" gediehen ist. Zwischen Berlin und Nürnberg gliedert es sich in drei Hauptabschnitte.

Ausbaustrecke Berlin - Halle/Leipzig

Die Arbeiten sind hier schon gut vorangekommen. Die Teilstücke vom Berliner Außenring/Abzweig Eichgestell bis Scharfenbrück (vor Luckenwalde), von Jüterbog bis Wittenberg sowie zwischen Pratau und Muldenstein gelten als fertiggestellt. Trassenmäßig abgeschlossen sind die Baumaßnahmen ferner auf den Abschnitten Bitterfeld - Rackwitz (Leipziger Ast) und Bitterfeld - Halle Nord. Letzterer hat anstatt des herkömmlichen Schotterbettseine "Feste Fahrbahn" erhalten und ist regulär für 160 km/h, versuchsweise sogar für 220 km/h zugelassen. Die Teilstrecken Scharfenbrück - Jüterbog und Muldenstein - Bitterfeld befinden sich im Bau, völlig umgestaltet werden derzeit die Bahnhöfe Luckenwalde und Jüterbog.

Erheblich in Verzug geraten ist dagegen der Neubau der Wittenberger Elbebrücke. Der Grund: Zugleich mit der Eisenbahn- soll hier eine neue Straßenbrücke entstehen, doch das Planfeststellungsverfahren in der ökologisch sensiblen Flußaue stockt. Außerdem müssen noch mehr als fünfzig niveaugleiche Bahnübergänge beseitigt werden. Nur wenige sind bisher durch Brücken oder Tunnel ersetzt, deshalb müssen sich die Züge auch auf ausgebauter Trasse vorerst mit Tempo 160 begnügen. Letztendlich sollen sie einmal mit 200 Stundenkilometern nach Halle und Leipzig rasen.

Ein anderes aufwendiges Teilprojekt können die Bahnplaner voraussichtlich zu den Akten legen: die ICE-Station am oder unter dem Elughafen Sperenberg. Für diesen Fall wäre die Trasse dorthin zu verschwenken, doch die Politiker entschieden sich kürzlich für Schönefeld als Standort des Großflughafens Berlin/Brandenburg. Sperenberg ist nur noch Reservestandort. Mit einem kurzen Abzweig von der Ausbaustrecke (ABS) ließe sich auch das Abfertigungsgebäude in Schönefeld direkt erreichen. Ins Konzept der DB AG paßt das freilich nicht. Ergänzend zum Einheitsprojekt Nr. 8, will sie die ICE-Linie vom Lehrter Bahnhof durch den neuen Tunnel und über Papestraße - Lichterfelde Ost zum Knoten Genshagener Heide führen, also weit an Schönefeld vorbei.

In der Senatspressekonferenz vom 21. Mai zum "Ausbau der Eisenbahnstadt Berlin" bekräftigte DB-Chef Heinz Dürr erneut, daß der ICE im Jahr 2002 vom Lehrter Bahnhof aus unterirdisch gen Süden rauschen soll. Kein Wort fiel zu den im letzten Winter bekanntgewordenen zeitlichen Streckungen bis 2004/2005. Dabei sind die Bahnbauer selbst bei so vergleichsweise einfachen Maßnahmen wie dem Regionalbahn-Lückenschluß zwischen Lichterfelde und Teltow im Verzug. Verkehrssenator Jürgen Klemann avisierte ihn jetzt für Ende 1997/Anfang 1998. Dann sollen S-Bahn und Regionalbahn in Lichterfelde Ost verknüpft werden. Die interimsweise Verknüpfung in Lichterfelde Süd - beide Systeme mit einem gemeinsamen Bahnsteig - wird zwar immer noch geprüft. Wahrscheinlicher ist aber, daß hier ab Spätherbst 1997 nur die S-Bahn ihren Endpunkt hat.

Vom Lehrter Bahnhof aus führt der kürzeste Weg nach Leipzig nun einmal über die im Berliner Stadtgebiet für den Fernverkehr noch wiederherzustellende Anhalter Bahn. Infolge der Standortentscheidung zugunsten des Flughafens Schönefeld dürften trotzdem neue Varianten ins Spiel kommen - auch neue Prioritäten? Jedenfalls wäre der ICE-Anschluß des Flughafens einfacher herzustellen, wenn die Züge dorthin den Weg über Stadtbahn, Abzweig Eichgestell und Außenring nähmen. Doch für die Mehrzahl der Reisenden wäre das eine Umwegfahrt. Die Entscheidung für den Standort Schönefeld wirft nicht nur wegen der Lärmprobleme, sondern auch hinsichtlich der Schienenerschließung viele Fragen auf.

Neubaustrecke Halle/Leipzig - Erfurt

Den Ausbau der alten Verbindung von Leipzig nach Erfurt über Weißenfels hält die Bahn weder ökologisch noch ökonomisch noch verkehrstechnisch für vertretbar. Aus fünf untersuchten Varianten für eine Neubaustrecke (NBS) kristallisierte sich die 118 Kilometer lange Route über Schkopau und Buttstädt heraus. Sie verläuft weit nördlich der Saalestädte Weißenfels und Naumburg. Im Knoten Neuwiederitzsch wird die NBS mit der ABS Berlin - Leipzig verknüpft, zugleich entsteht dort ein neuer Messebahnhof. In Schkeuditz unterquert die Trasse den Flughafen Leipzig-Halle, dieser erhält hier einen direkten ICE-Anschluß. In Gröbers trifft sich die NBS mit der vorhandenen Strecke Halle - Leipzig. Die Direktzüge von Halle nach Süden münden bei Schkopau in die NBS ein. Optimal angebunden wird im übrigen das geplante Güterverkehrszentrum Leipzig-Waren.

Leipzig Hbf. Auf der Ausbaustrecke Berlin - Halle/Leipzig sind die Arbeiten für das VDE Nr. 8 am weitesten vorangeschritten Foto: Johann Hartl

Alle Planfestellungsverfahren sind eingeleitet und für den thüringischen Bereich mittlerweile unter Dach und Fach. Die noch ausstehenden Beschlüsse für Teilstrecken in Sachsen und Sachsen-Anhalt erwartet die PBDE in diesem Sommer, danach will sie unverzüglich mit dem Bau beginnen. Ausgelegt wird die Neubautrasse für 300 km/h. Sie führt durch drei Tunnel und über sechs große Brücken (u.a. Saale- und Unstrutviadukt). Die Reisezeit von Leipzig nach Erfurt soll sich von jetzt 76 auf 39 Minuten praktisch halbieren. Wann es soweit ist? Zunächst ging die PBDE von der Fertigstellung im Jahr 2000 aus. In ihren jüngsten Broschüren heißt es nun: "Die Strecke soll im kommenden Jahrzehnt in Betrieb gehen".

Neu- und Ausbaustrecke Erfurt - Nürnberg

Das nach bisherigen Schätzungen rund 8 Milliarden Mark teure Kernstück des Gesamtvorhabens Berlin - München war und ist am heftigsten umstritten. Es ist die aufwendigste und zugleich die - gemessen an der prognostizierten Zugzahl - am schwächsten ausgelastete Teilstrecke. Trotzdem ist sie seit 16. April offiziell im Bau. Mit dem obligatorischen ersten Spatenstich bei Rudisleben, nahe Arnstadt, begannen die Arbeiten sowohl für die Thüringer Waldautobahn (A 71/73 Erfurt - Schweinfurt/Lichtenfels) als auch für die ICE-Trasse Erfurt - Ebensfeld. 41 der 107 Kilometer sollen durch Tunnel führen, 12 Kilometer über Brücken. Ebensfeld südlich von Lichtenfels ist die Schnittstelle zwischen der Neubaustrecke und der nach Nürnberg weiterführenden Ausbaustrecke.

Umstritten ist Projekt 8 wegen der Neu- und Ausbaustrecke Erfurt - Nürnberg. Karte: PBDE 1994

Als erstes wurde jetzt der sogenannte Bündelungsabschnitt in Angriff genommen. Auf 23 Kilometern zwischen Molsdorf und Traßdorf verläuft die künftige Autobahn A71 (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 16) parallel zur Eisenbahnstrecke. Der Abstand von Autobahn- Mitte zu Eisenbahn-Mitte beträgt hier meist nur 40 Meter. Die Bündelung beider Verkehrswege war eine Forderung im Raumordnungsverfahren. Damit sollen die Beeinträchtigungen der Umwelt durch Erdarbeiten, Lärm, Flächenverbrauch, Durchschneiden der Landschaft etc. auf ein Minimum reduziert werden. Wie die PBDE versichert, kann durch den zeitgleichen Bau beider Trassen auch Geld gespart werden.

Der für den Schienenweg zuständige Projektmanager Heinz-Dietrich Könnings (PBDE Erfurt) nennt eine Reihe in diesem Jahr einsetzender Baumaßnahmen:

Bereits vor einigen Monaten wurde im übrigen der Architektenwettbewerb für den völlig neu zu gestaltenden Erfurter Hauptbahnhof entschieden. Vom altbekannten Empfangsgebäude bleibt nur die Eingangshalle übrig, die Bahnsteige erhalten ein etwa 200 Meter langes gläsernes Hallendach.

Planungsrechtlich ist die NBS Erfurt - Ebensfeld der Autobahn sogar ein gutes Stück voraus. Für 75 Kilometer Strecke besteht Baurecht, für die insgesamt 32 Kilometer langen Abschnitte Ilmenau, Erfurt-Land, Erfurt-Stadt sowie Stadt Coburg werden die Beschlüsse im Sommer 1996 erwartet. Als verkehrliche und trassierungstechnische Vorgabe ist dabei mit dem Land Thüringen ein InterRegio-Haltepunkt in Ilmenau vereinbart. Regionalzüge bedienen aber weiterhin den alten Bahnhof Ilmenau, den Anschluß zwischen Fern- und Regionalverkehr soll hier ein Bus- Transfer auf der Straße gewährleisten. Auch im bayerischen Coburg führt die Schneilfahrstrecke am bestehenden Bahnhof vorbei. Um diesen mit InterRegios und in Tagesrandlage auch mit ICE-Zügen bedienen zu können, werden gemäß landesplanerischer Vorgaben Verbindungskurven zur Strecke Sonneberg - Coburg - Lichtenfels gebaut.

Für die Fertigstellung der ICE-Trasse durch Thüringer Wald und Oberfranken nennt Projektmanager Könnings "als Zeithorizont etwa 2002/2004".

Teure Trasse für 24 Minuten Zeitgewinn?

Die NBS Erfurt - Ebensfeld kostet pro Kilometer schätzungsweise 55 Millionen Mark. Mit maximal 12,5 Promille Steigung ist sie sowohl für Güter- als auch Reisezüge konzipiert. Die PBDE argumentiert, nur so ließen sich die Kapazitäten schaffen, um eine Verkehrsverlagerung auf die Schiene zu erreichen. Auf vorhandenen Linien sei das trotz Sanierung und Modernisierung nicht möglich.

Im Geratal bei Ilmenau. Hier in der Nähe soll künftig auch der ICE zwischen Berlin und München den Thüringer Wald durchqueren, allerdings im Tunnel, so daß von den Schönheiten dieser Landschaft nichts mehr zu sehen ist. Foto: Rudolf Heym
Fast schon klassische Schnellzuggarnitur ber Arnstadt auf der Strecke zwischen Erfurt und Meiningen. Die Neubaustrecke ermöglicht schnelleres Reisen, wird sich aber sicher nicht so harmonisch in die Landschaft einfügen. Foto: Rudolf Heym

Detaillierte Alternativkonzepte besagen das Gegenteil. Mit dem Geld für einen Kilometer Neubaustrecke könnten vier Kilomter alter Trassen für höhere Geschwindigkeiten ausgebaut werden. Neigezüge nach dem Vorbild des schwedischen X 2000 würden dann zwischen Leipzig und Nürnberg nur 2 Stunden 13 Minuten benötigen, mithin lediglich 24 Minuten mehr als der ICE. Zu diesem Ergebnis kommt das Fürther Büro "frankenplan". Es schlägt eine teilweise begradigte Strecke durch Saaletal und Frankenwald vor. Selbst im gegenwärtigen Zustand ist diese mit 314 Kilometern nur einen Kilometer länger als die ICE-Strecke über Erfurt! Verblüffende Erkenntnis: Die rein optische Gradlinigkeit der Hochgeschwindigkeitstrasse suggeriert zwar Direktheit und kürzesten Weg, verkürzt die Entfernung aber nicht nennenswert.

Auch die Münchner Verkehrsplaner Vieregg und Rössler plädieren entschieden für die Aufwertung der Saale- und Frankenwaldbahn. Mit einem Durchstich südlich Saalfeld und einem Scheiteltunnel bei Steinbach am Wald ließen sich die steigungsreichsten Abschnitte beseitigen. Außerdem schlagen Vieregg und Rössler den Aus- und teilweisen Neubau von weiteren vier Strecken vor. Dazu zählen die "Sachsenmagistrale" von Leipzig über Gera, Plauen und Hof nach Nürnberg, die Verbindung Erfurt - Suhl - Coburg - Lichtenfels, die Strecken Marktredwitz - Regensburg und Eisenach - Schweinfurt. Einschließlich kurzer Neubauabschnitte sollen all diese Maßnahmen summa summarum 10,5 Milliarden Mark kosten, mithin rund drei Milliarden weniger, als allein für die NBS/ABS Leipzig/Halle - Erfurt - Nürnberg veranschlagt sind.

Auch wenn die PBDE die Seriosität der Alternativkonzepte bezweifelt: Daß NeiTech-Züge wie "X 2000" oder "Pendolino" auf ausgebauten wie vorhandenen Strecken erhebliche Reisezeitgewinne bringen, erkennt sie durchaus an. Kann die Bahn dann nicht auf Neubaustrecken verzichten? Nach Ansicht der Projektgesellschaft keineswegs: "Der Pendolino würde gar die Kapazität der vorhandenen Strecken einschränken, denn mit dem schnellen Zug können Nahverkehrszüge und Güterzüge auf den kurvenreichen und steilen Strecken nicht mithalten. Sie müßten dem Neigetechnikzug weichen."

Abgesehen von der Relation Köln - Frankfurt am Main sollen in Deutschland weiterhin alle Neubaustrecken für den Mischbetrieb konzipiert werden. Zwar lassen die Hochgeschwindigkeitszüge für den Güterverkehr tagsüber wenig Spielraum, aber das Bedienungskonzept sieht "ICE bei Tag - Güter bei Nacht" vor. Allerdings weisen die bisher in Betrieb genommenen Neubaustrecken deutlich weniger Güterverkehr auf als prognostiziert. Laut Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bündnisgrünen (Herbst 1995) benutzten beispielsweise nur 65 statt ursprünglich veranschlagter 152 Güterzüge pro Tag die NBS Göttingen - Kassel. Entsprechend nach unten korrigiert sind nun die Prognosen für die künftigen Neubaustrecken: Auf der NBS Halle/Leipzig - Erfurt rechnet die Bahn mit täglich 60, auf der NBS Erfurt - Ebensfeld mit täglich 55 Güterzügen. Dem Bundesverkehrswegeplan 1992 lagen dagegen für diese Strecken noch Prognosewerte von 95 bzw. 90 Güterzügen pro Tag zugrunde.

Positionen von Bahnkunden-Verband, Grünen und CDU

Keinen Bedarf für die thüringisch-bayerische Schnellfahrtrasse sieht der Deutsche Bahnkunden-Verband (DBV). Wenn nicht einmal die weiter westlich gelegene Nord-Süd-Neubaustrecke ausgelastet sei, dann werde es die nun projektierte erst recht nicht sein. Verbandspräsident Gerhard J. Curth verweist auf die Neigezug-Technologie: "Sie wird immer ausgereifter und bringt auf vorhandenen Strecken annähernd so viel Zeitgewinn wie der ICE auf neuen. Nur um eine halbe Stunde eher anzukommen, will kaum jemand durch finstere Röhren rasen." Speziell in der Relation von Erfurt nach Bayern könnten über Rentwertshausen und Schweinfurt fahrende "Pendolinos" die Reisezeit schon kurzfristig deutlich senken.

Triebzug der BR 614 zwischen Erfurt und Schweinfurt. Hier könnte auch ein „Pendolino“ verkehren, der die Fahrzeit auf der kurvenreichen Strecke drastisch verkürzen würde. Foto: Rudolf Heym

Bündnis 90/Die Grünen lehnen sowohl Autobahn als auch Eisenbahn-Neubaustrecke durch den Thüringer Wald ab. Auch angesichts der jüngsten Verkehrsprognosen erwartet Grünen-MdB Albert Schmidt, daß eine für den Sommer geplante Bundestagsanhörung "das Konzept ähnlich erschüttert wie diejenige zum Transrapid", zumal auch der Bundesrechnungshof "die Sache äußerst kritisch" betrachte. Schützenhilfe könnten die Grünen aus den Reihen der sächsischen CDU erhalten. Denn diese befürchtet, daß Städte wie Dresden, Chemnitz und Zwickau zugunsten der ICE-Trasse auf eine bessere Ost-West-Verbindung verzichten müssen. Das "Mitte-Deutschland-Bahn" genannte Projekt hat für die Sachsen Priorität. Wenn schon der Rotstift angesetzt wird, sehen sie lieber die Strecke von Erfurt nach Ebensfeld auf der Streichliste.

Strecke bis München in PBDE-Regie

Offiziell bereits in Arbeit (erster Spatenstich war am 15. Juli 1994) ist die NBS Nürnberg - Ingolstadt. Zügig vorangekommen sind die Bahnbauer allerdings noch nicht, denn die Finanzierungsfrage ist bisher offengeblieben. Laut Beschluß der Bundesregierung, den Bonner Haushalt damit zu verschonen, sollte die Strecke zusammen mit dem Ausbauabschnitt Ingolstadt - München "privat" finanziert werden. Die Investitionsmittel bezifferte der Bedarfsplan für die Bundesschienenwege noch mit 4,05 Milliarden Mark (Preisbasis 1. Januar 1993), aktuellere Berechnungen veranschlagen sie dagegen mit 7 Milliarden Mark. Inklusive Zinsen wären demnach binnen 25 Jahren sogar 15 Milliarden Mark an das mit der Finanzierung beauftragte Bankenkonsortium zurückzuzahlen.

Foto: Johann Hartl
München Hbf. Schon heute bietet der ICE eine schnelle Verbindung zwischen Spree und Isar, allerdings mit Umsteigen. Im nächsten Jahrhundert sollen die Bahnkunden dann umsteigefrei und noch schneller reisen können. Bundesregierung und DB AG versprechen vier Stunden für die Fahrt Berlin - München. Die dafür erforderlichen Baumaßnahmen sind allerdings wegen der Eingriffe vor allem im Thüringer Wald und wegen der extrem hohen Kosten umstritten. Zu den Kritikern zählen Umweltschützer ebenso wie der Bundesrechnungshof und der Deutsche Bahnkunden-Verband sowie Politiker aus allen Parteien. Foto: Johann Hartl

Eigentlich wollte die Bahn die jährlichen Raten aus erwarteten Mehrerlösen nach Inbetriebnahme der Strecke aufbringen. Vom Bund bestellte Gutachter taxierten den Mehrerlös jedoch viel niedriger als die DB AG, so daß Tilgung und Zinsen letztlich doch der Bund abstottern müßte. Dec Bundesrechnungshof (BRH) hält die Bahn-Kalkulation für unsolide. Er monierte schon Anfang 1994, daß die DB ihre Wunschroute entlang der Autobahn A9 über Ingolstadt um 1,7 Milliarden Mark "schöngerechnet" habe. Dem BRH zufolge wäre die Ausbaustrecke über Augsburg zwar etwas langsamer, aber wirtschaftlicher. An der Ingolstädter Strecke bemängeln die Rechnungsprüfer insbesondere, daß die vorgesehenen 12-Promille-Rampen die Grenzlasten für Güterzüge (ähnlich wie zwischen Würzburg.und Hannover) stark herabsetzen. Die DB-Kalkulation basiert aber gerade auf hohen Güterverkehrseinnahmen!

Im Frühjahr 1996 hat der BRH nochmals auf den "geringen unternehmerischen Nutzen des Projekts" hingewiesen und insbesondere seine Kritik an der privaten Vorfinanzierung verschärft. Die Finanzierungskosten stünden im krassen Mißverhältnis zu den Bauausgaben.

Angesichts solcher Ungereimtheiten läßt nun ein jüngster Beschluß des Bahnvorstands aufhorchen: Das Projekt Nürnberg - Ingolstadt - München wird der "Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit" übertragen.

Dies teilte PBDE-Geschäftsführer Siegfried Knüpfer am 7. Mai anläßlich der Schienenverkehrs-Wochen in Berlin mit. Herrn Knüpfer zufolge schießt die Bahn zunächst für den Weiterbau nötige Investitionsmittel vor und holt sich das Geld dafür vom Kapitalmarkt. An der endgültigen Finanzierungsvereinbarung arbeite man noch. Die Strecke werde anders finanziert als die bisherigen Projekte Deutsche Einheit, aber nicht "privat im klassischen Sinne". Den Wertumfang beziffert er mit 4,5 Milliarden Mark, also kaum höher als im Bedarfsplan von 1993 angesetzt.

Überhaupt mag der PBDE-Chef die Prognose, die Vorhaben würden meist deutlich teurer als geplant, nicht teilen. Dafür gebe es auch Gegenbeispiele, etwa die unter dem Kostenansatz gebliebene Ausbaustrecke von Erfurt nach Bebra.

Wie stehen die Chancen nun für das Projekt Berlin - München insgesamt? Der Fortgang der Arbeiten auf dem Abschnitt bis Leipzig und im Raum Erfurt/Amstadt ist, so Herr Knüpfer, bis Ende 1997 finanziell gesichert. Für das kurze Neubaustück bei Arnstadt sind in dieser Zeit ohnehin nur bescheidene 300 Millionen Mark vorgesehen, das weitaus meiste Geld steckt die PBDE (ihr Gesamtetat 1996: 2,6 Milliarden Mark) jetzt in die Strecken zwischen Berlin und Hamburg sowie Berlin und Hannover. Von 1998 an muß aber vor allem in die Südroute investiert werden, sonst rauscht der ICE selbst Mitte des nächsten Jahrzehnts noch nicht in vier Stunden von der Spree zur Isar. Befragt, ob denn die PBDE für die Schnellfahrtrassen nach Süden ab 1998 wesentlich mehr Mittel bekomme, äußerte sich Siegfried Knüpfer optimistisch: "Davon gehe ich aus."

IGEB

aus SIGNAL 5/1996 (Juli 1996), Seite 9-13