Nahverkehr
Viele BVG-Fahrgäste müssen wieder umlernen, denn der seit dem 2. Juni geltende neue Fahrplan war auch dieses Jahr mit einer Vielzahl von Veränderungen im Liniennetz verbunden. Die bedeutendste Änderung gibt es aber erst zum 13. Juli, wenn durch die Verlängerung der U-Bahn-Linie 8 zum S-Bf Hermannstraße eine wichtige Netzergänzung erfolgt. Hervorzuheben ist, daß dieser Fahrplanwechsel zum ersten Mal nicht mit den seit 1992 zur Regel gewordenen, z.T. drastischen Angebotseinschränkungen durch Linienkürzungen und Taktausdünnungen verbunden war! Dank des im letzten Jahr abgeschlossenen Unternehmensvertrages zwischen BVG und Senat konnte das Angebot in ungefähr gleichem Umfang aufrecht erhalten bleiben - und dank innerbetrieblicher Effizienzsteigerungen an einigen Stellen sogar geringfügig ausgeweitet werden. Dies summiert sich auf das Jahr gerechnet immerhin zu rund 1,9 Mio km zusätzlicher Fahrleistung, was aber bei einer BVG-Gesamtfahrleistung von ca. 250 Mio km/Jahr nur eine Angebotssteigerung von unter 1 % ist. Dadurch ist es allerdings wenigstens gelungen, die in letzter Zeit entstandenen Neubausiedlungen per Bus zu erschließen und überfüllte Bus- und Straßenbahnlinien partiell zu verdichten.
1. Jul 1996
Kleine aber wichtige Veränderungen gab es im Straßenbahnnetz: Die Linien 28 und 67 haben ihre Endpunkte getauscht. Die Linie 28, die bisher am S-Bf Schöneweide endete, fährt nun weiter bis Johannisthal. Dafür wurde die Linie 67 zum S-Bf Schöneweide zurückgezogen. Dank dieser Maßnahme erhalten nun sowohl Fahrgäste aus dem Raum Karlshorst als auch aus Richtung Köpenick gleichermaßen eine direkte Verbindung nach Johannisthal. Möglich wurde dies durch den Umbau der Endstelle am Bf Schöneweide, die bisher nicht von T6-Zügen befahren werden konnte.
Insgesamt erfreulich sind die Änderungen im Busliniennetz. Wichtigste Neuerung ist sicherlich die Einführung der ExpressBuslinie X49 vom U-Bf Wilmersdorfer Straße nach Staaken, Reimerweg in Ergänzung zur verbleibenden OL 149. Wie auch bei den anderen in Berlin bestehenden ExpressBuslinien wird im Zielgebiet Staaken bis nach Alt-Pichelsdorf nahezu jede Haltestelle bedient, um dann "im Schnellsprung" über die Heerstraße zum U-Bf Theodor-Heuss-Platz zu gelangen. Einziger Zwischenhalt: Preußenallee am künftigen S-Bf Heerstraße. Im Innenstadtgebiet werden lediglich die Knotenpunkthaltestellen S-Bf Witzleben, Bf Charlottenburg und U-Bf Wilmersdorfer Straße bedient. Das Konzept scheint richtig, und so wird auch diese ExpressBuslinie, ebenso wie die bereits bestehenden, eine Stärkung des ÖPNV auf bisher nicht vom Bahnnetz bedienten Relationen bedeuten. Auf den ExpressBuslinien X 11 und X21 wurden das Fahrplanangebot bzw. die Betriebszeiten geringfügig ausgeweitet. Umso ärgerlicher und unverständlicher ist es, daß der X76 im morgentlichen Berufsverkehr nicht mehr nach Steglitz verkehrt.
Westlich der Havel gab es neben der ExpressBuslinie X49 noch eine weitere Verbesserung: Die OL 132 verkehrt während der Geschäftsöffnungszeiten über die Berliner Stadtgrenze hinaus zum Havelpark nach Dallgow.
Im Bereich Moabit wurde die OL 340 während des Berufsverkehrs bis zum Charlottenburger Mierendorffplatz (U7) verlängert, womit auch die Bedeutung dieser Verbindung zwischen den Innenstadtbezirken Tiergarten und Mitte gestärkt wird. Weiterhin gab es eine geringfügige Änderung in der Führung der OL 227 sowie die Heranführung der OL 341 zum U-Bf Turmstraße (U9) anstelle der bisherigen Endstelle in der Waldstraße. (Siehe auch den Beitrag auf S. 23)
Auf neuen Wegen verkehrt die OL 157 im Bereich von Berlins Mitte. Während der bisher schon teilweise auch von der OL 100 befahrene östliche Streckenast zur Michelangelostraße von dieser ganz übernommen wurde, bietet der 158 dafür jetzt eine neue Querverbindung von der Prenzlauer Promenade über Arkonaplatz und Bernauer Straße zum S-Bf Nordbahnhof. Insbesondere mit der so entstandenen umsteigefreien Verbindung von Unter den Linden in den dicht bebauten Bereich Metzer Straße/Kastanienallee können sicher neue Fahrgastpotentiale erschlossen werden. Aber das Festhalten am Dogma einer unmittelbaren Bedienung des Arkonaplatzes ist zumindest in Fahrtrichtung Norden nicht mehr nachvollziehbar, weil dadurch ein Zick-Zack-Umwegkurs erforderlich wird, der viele potentielle Fahrgäste abschrecken wird und letztendlich auch wirtschaftlich kaum zu rechtfertigen sein dürfte. Eine geradlinige Führung von der Schwedter Straße in die Bernauer Straße hätte annähernd die gleiche Erschließungswirkung und würde zusammen mit der OL 328 ein akzeptables Taktangebot in der gesamten Bernauer Straße ermöglichen. Zu kritisieren sind für diese Cityverbindung auch der ganztägige 20-Minuten-Takt und die auf die Geschäftsöffnungszeiten eingeschränkte Betriebszeit.
Gespart wurde bei der OL 328: Während selbst in Zeiten umfassender Angebotskürzungen jede Einschränkung von Betriebszeiten den Fahrgästen wenigstens vorher bekanntgegeben wurde, hat man dies im Fall der OL 328 nicht für nötig gehalten. Heimlich, still und leise verkehrt diese Linie außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten nun zwischen Leopoldplatz und Bf Gesundbrunnen nicht mehr.
Noch ein Wort zur OL 100: Auch dieses Jahr ist diese Linie im Kursbuch und auch im Nachtliniennetz mit einem durchgehenden Nachtbetrieb in den Freitag- und Sonnabend-Nächten dargestellt, obwohl der durchgehende Nachtbetrieb auch in diesem Jahr wieder nur für die Sommerperiode gelten soll. Fehlende Übersichtlichkeit und schlechte Fahrgastinformationen sind ohnehin schon die Hauptdefizite des ansonsten guten Nachtnetzes. Man sollte diese Mängel nicht noch durch die Beschränkung von Nachtlinien auf bestimmte Tage und bestimmte Jahreszeiten auf die Spitze treiben, das trägt mehr zur Verwirrung als zur Verbesserung des Angebotes bei. Da sich durch Ablauf des Sommers die Notwendigkeit der Anbindung des Tempodroms ohnehin erübrigt hat, sollte zukünftig das zu bestimmten Zeiten größere Verkehrsaufkommen durch eine Taktverdichtung auf der Nachtlinie N5 abgefangen werden, die mit ihrer Wegführung ohnehin sehr viel bessere Verknüpfungen zum übrigen Nachtliniennetz aufweist.
Mit der nun endlich erfolgten Anbindung der OL 188 an den S-Bf Botanischer Garten durch eine Schleifenfahrt der bisher am Lichterfelder Augustaplatz endenden Linie wird eine alte Forderung der IGEB realisiert. Ob mit dieser zweiten Verknüpfung zur Wannseebahn die zwischen Rathaus Steglitz und Klinikum bestehenden Kapazitätsengpässe wirklich behoben werden können, bleibt abzuwarten.
Deutliche Verbesserungen gibt es auch in den Vkehrsbeziehungen zwischen dem Märkischen Viertel und Pankow-Niederschönhausen. Während der ExpressBus X21 zum Wilhelmsruher Damm zurückgezogen wurde, übernahmen der 121er und eine neu eingeführte Linie 153 die Verbindung nach Pankow, wobei im weitläufigen Ortsbereich von Wilhelmsruh und Niederschönhausen neue Siedlungsbereiche erschlossen werden. Während die OL 153 im Nordend mit Anschluß an die Straßenbahnlinie 52 und die OL 107 endet, wird die OL 121 bis zum Ossietzkyplatz geführt. Getrübt wird der positive Vorstoß lediglich durch die Beschränkung der neuen Verbindungen auf "bestimmte Zeiten", wodurch natürlich vieles offen bleibt.
Veränderungen gibt es auch im Bereich Karow/Buch. Während die OL 150 bis zum S-Bf Buch verlängert wird, erhält der bisher weitgehend parallel geführte 350er eine völlig neue Aufgabe als Kurz-Linie im Bereich Karow-Nord zur Anbindung des dortigen Neubaugebietes an die S-Bahn. Eine wichtige neue Tangentialverbindung ist durch die Verlängerung der OL 259 von Malchow über Blankenburg nach Buchholz entstanden.
Die bereits vor einem Jahr von der BVG beabsichtigte Einführung der neuen OL 256 zwischen Bf Lichtenberg und Hohenschönhausen und im Berufsverkehr weiter nach Ahrensfelde konnte nun endlich realisiert werden. Neben der Verbindungsfunktion zwischen den Hohenschönhauser Ortsteilen und dem Bf Lichtenberg wurden gleichzeitig bisherige Erschließungslücken im Bereich Hohenschönhausen-Süd und am Malchower Weg geschlossen. Bleibt zu hoffen, daß die zu erwartenden zahlreichen Fahrgäste dieser Linie durch die zu befürchtende hohe Verspätungsanfälligkeit nicht abgeschreckt werden.
Nach den radikalen Sparmaßnahmen im Hellersdorfer und Marzahner Busliniennetz wurden bereits im Laufe der letzten Fahrplanperiode aufgrund von entstandenen Kapazitätsengpässen schrittweise Linien- und Taktergänzungen durchgeführt. Jetzt wurde eine weitere neue Berufsverkehrslinie, die OL 297 eingeführt, die analog zur bestehenden OL 197 verkehrt - mit nur kleinen Routenänderungen im Bereich Mahlsdorf/Kaulsdorf. Im Ergebnis muß festgehalten werden, daß nun ein wenig überschaubares Netz mit zahllosen Linien entstanden ist, die entweder nur zu Berufsverkehrszeiten, nur zu den Geschäftsöffnungszeiten oder zeitweilig verkürzt und ganz überwiegend im 20-Minuten-Takt verkehren.
Nahezu unverändert bleibt der U-Bahn-Fahrplan. Während im Busbereich wenigstens die ärgsten Kapazitätsengpässe durch einzelne Taktverdightungen aufgefangen werden konnten, bleiben die Angebotsausdünnungen der letzten Jahre im U-Bahn-Bereich bestehen. Überfüllte Züge im Berufsverkehr, z.B. im Mittel-Abschnitt der U7, lassen die U-Bahn-Fahrt vor allem in den Wintermonaten auch weiterhin zur Qual werden. Und auch der weiterhin zu frühe Betriebsbeschluß. z.B. letzte Züge ab Alex und Zoo schon bald nach Mitternacht, bleibt ein gravierender Mißstand! Daß der Busbereich flexibel ist und nun seit Fahrplanwechsel die reichlich vorhandenen Fahrgäste im 15-Minuten-Takt mit der neuen, parallel zur U9 verkehrenden Nachtlinie N9 befördert, ist ein Beweis dafür, daß ein entsprechendes nächtliches Fahrgastaufkommen auch an Wochentagen vorhanden ist.
Dank des weitsichtigen Unternehmensvertrages, der die BVG im Grundsatz dazu verpflichtet, bis 1999 ein konstantes Verkehrsangebot zur Verfügung zu stellen, blieben den Fahrgästen zum ersten Mal seit fünf Jahren - von kleinen Ausnahmen abgesehen - Linieneinstellungen und Taktausdünnungen erspart. Die Modifizierungen im Straßenbahn- und vor allem im Busliniennetz stellen im Rahmen des möglichen kleine positive Veränderungen dar. Vor dem Hintergrund des nach den letztjährigen Wahlen "plötzlich" aufgetretenen Finanzdesasters des Landes Berlin und der seitdem rabiaten und ideenlosen Sparwut des Senats (von der lediglich Milliardenprojekte wie Tiergarten-Straßentunnel oder Messeausbau ausgenommen sind) mag man sich als Berliner Fahrgast gar nicht ausdenken, wie der Senat dieser Tage die Axt an das BVG-Angebot anlegen würde, wenn es den Unternehmensvertrag nicht gäbe.
IGEB
aus SIGNAL 5/1996 (Juli 1996), Seite 18-20