Nahverkehr
Offener Brief an die BVG
1. Jul 1996
Presse war kürzlich zu entnehmen, daß die BVG Überlegungen zur Einführung eines Zonentarifs anstelle. Wir wissen, daß der durch den Rückzug des Landes Berlin aus seiner staatlichen Fürsorgepflicht für die BVG entstandene Zwang, gesellschaftlich notwendige Leistungen kostendeckend zu erbringen, Sie vor große Schwierigkeiten stellt. Wir meinen jedoch, daß die Einführung von Tarifzonen zur Umsatzsteigerung ein Verkehrs- und umweltpolitisch falscher Weg ist, der sich ins Gegenteil (Abwanderung vom ÖPNV zum MIV oder Fahrrad) verkehren kann. Ein diesbezüglicher Versuch ist vor etlichen Jahren schon einmal kläglich gescheitert.
Ein Zonensystem ist entweder grob und ungerecht, weil lange Strecken in einer Zone billiger sind als kurze Strecken über "Zonengrenzen" hinweg, oder es ist sehr fein und damit unübersichtlich. Dies wirkt abschreckend und fordert das "Graufahren".
Es sollte nicht außer Acht gelassen werden, daß viele Fahrgäste nicht aus Freude am Fahren die BVG benutzen "wollen" (bzw. Distanzen überwinden), sondern aufgrund der wohnungs- und arbeitsmarktpolitischen Lage fahren müssen. Diese doch recht treue Stammkundschaft würde ungerechtfertigt belastet, Pendlerlnnen würden zur (Wieder-)Abwanderung zum Pkw verleitet. Auf kürzeren Distanzen bestände die Konkurrenz durch das Individualverkehrsmittel Fahrrad. Angesichts der angestrebten Fusion von Berlin und Brandenburg wäre es ein schlechtes Signal, beide künftig tariflich zu trennen. Der Freizügigkeit des Pkws muß die jetzige Freizügigkeit der bestehenden Umweltkarte gegenübergestellt bleiben!
Es sollte auch nicht der Fehler gemacht werden, bei der Tarif- und Angebotsgestaltung nur noch die Autofahrerinnen mit ihren gesteigerten Bequemlichkeitsansprüchen und Preisgewohnheiten als potentielle Kundinnen im Blick zu haben. Viele der vorgeschlagenen Koppelungen von Leistungen mit der Monatskarte sind für die Normalkundinnen schlicht überflüssiges Beiwerk, das sie monatlich mitkaufen müßten, ohne es nutzen zu können (z.B. Museumsbesuch, Dampferfahrten). Als Zuschlagkarte für Jahreskartenbesitzerinnen wäre dies Angebot eher sinnvoll (z.B. für den Urlaub daheim). Die Fahrradmitnahme und die Mitnahmemöglichkeiten für Kinder und Erwachsene zu bestimmten Zeiten dagegen gehört als Leistung zur Umweltkarte dazu, weil sie den Umweltverbund Rad/ÖPNV erleichtern und den Autofahrerinnen ein wichtiges Argument, nämlich die sinkenden Beförderungskosten pro Person bei ausgelasteten Pkw nehmen. Die DB AG hat übrigens im Regionalverkehr erhöhte Einnahmen durch ihr absolutes Dumpingangebot "Schönes Wochenende" erwirtschaftet!
Die Möglichkeit schließlich, mit einer Plus-Umweltkarte ein Kfz mieten zu können, ist u.E. ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite ist es durchaus als Argument gegen den Besitz eines eigenen Wagens gerichtet, andererseits bevorzugt es gerade wieder nur Autofahrerinnen. Wenn schon eine solche Kombination, dann müssen Mietfahrräder und Mietfahrradanhänger ebenso angeboten werden, ggf. verbunden mit der Nutzungsmöglichkeit von Bike & Ride-Stationen (Aufbewahrung, Reparatur, ...)!
Abschließend möchten wir anregen, die betrieblichen Sparmöglichkeiten wie Busspuren und Vorrangschaltungen konsequent umzusetzen. Dort, wo die fast schon berüchtigte Verkehrsverwaltung dies dem privaten Pkw-Verkehr zuliebe verhindern will, empfehlen wir den Kontakt zu verkehrspolitischen Initiativen und Vereinen zu nutzen (wie z.T. schon mit dem Fahrgastbeirat geschehen), um so die Lobby für den ÖPNV weiter aufzubauen, z.B. mit konkreten Zahlenbeispielen. Dies würde dann letztendlich nicht nur der BVG, sondern auch den Fahrgästen und der Umwelt dienen.
****Berliner Verkehrsbetriebe Qualitätsmanagement Kundendienst Herr Grunwald
(10.5.1996) Sehr geehrte Damen und Herren, bei den kürzlich in der Presse erwähnten zukünftigen möglichen Tarifmodellen handelt es sich um grundsätzliche Überlegungen für die Gestaltung eines Nahverkehrstarifs der Region Berlin-Brandenburg. Im Rahmen von Marktuntersuchungen wurden diese Konzepte einem Teil unserer Kunden zur Beurteilung vorgelegt. Insbesondere die veröffentlichten Preise sind fiktiv und in dieser Form keinesfalls beschlossene Sache.
Die Einteilung in unterschiedliche Tarifgebiete ist in allen größeren Verkehrsverbünden Deutschlands Realität. Die Verkehrsgemeinschaft Berlin-Brandenburg (VBB) nimmt mit dem hier gültigen Einheitstarif derzeit eine Sonderstellung ein. Der Einheitstarif wird zunehmend von denjenigen Fahrgästen kritisiert, die nur kurze Strecken zurücklegen und daher unseren Tarif als ungerecht empfinden. Daher wird unsererseits nach Wegen gesucht, das Tarifsystem leistungsgerechter zu gestalten, so daß sich der Preis stärker an der tatsächlichen Inanspruchnahme orientiert. Lange Wege wären demnach teurer als kurze Wege.
Daß dies für den von einer eventuellen Preissteigerung betroffenen Fahrgast unbefriedigend ist, ist uns bewußt. Wir bitten Sie jedoch zu bedenken. daß das Preisniveau des Öffentlichen Nahverkehrs in Berlin im Vergleich zu anderen Verkehrsverbünden relativ niedrig ist.
Über den möglichen Zusatznutzen von Fahrausweisen wird im Zusammenhang mit der generellen Tarifgestaltung ebenfalls noch nachzudenken sein. Ihre diesbezüglichen Hinweise werden wir in unsere Überlegung einbeziehen. Das betrifft auch Ihre Anregungen zur Fahrrad- und Anhängermiete zu günstigeren Konditionen.
Eine starke Erweiterung des Busspurnetzes und Vorrangschaltungen für ÖPNV-Fahrzeuge an Lichtsignalanlagen sind auch für uns ein sehr wichtiges Thema. Wir stehen seit Jahren und in letzter Zeit sehr intensiv in Verhandlungen mit der zuständigen Senatsverwaltung und dem Polizeipräsidenten. Nach heutigem Erkenntnisstand haben wir gute Aussichten, noch in diesem Jahr eine tragfähige und für alle Seiten akzeptable Lösung, insbesondere der Vorrangschaltungen für Straßenbahnen, erreichen zu können.
****Fahrgastbeirat Tiergarten
aus SIGNAL 5/1996 (Juli 1996), Seite 25-26