Regionalverkehr
Unter dem Motto „Spaß haben + Bahnhof retten“ organisierte die „Große Koalition für den kleinen Bahnhof Dannenwalde“ eine kurze Sommersaison lang kulturelle Programme und Wanderangebote. Mit Erfolg, denn der Bahnhof Dannenwalde, am 2. Juni 1996 zunächst auf vier Monate befristet wiedereröffnet (s. SIGNAL 2/96), wird weiterhin am Netz bleiben und ist seit dem 29. September sogar direkt mit Berlin verbunden.
1. Nov 1996
Der kleine Bahnhof und die Region rund um die beiden Wentowseen sind eine Verbindung eingegangen, die längst über Brandenburg hinaus Beachtung findet. Der Kreis der beteiligten Aktiven aus der Region und aus Berlin wähnt sich aber noch nicht am Ziel seiner Vorstellungen, den Bahnhof langfristig zu sichern und gleichzeitig Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung zu geben. Wichtig ist die Förderung des Bahn-Tourismus, denn ohne die Erholungssuchenden ist in der Tat ein solcher Bahnhof nicht zu retten. In diesem Sinne war die Eröffnung eines kleinen Rundwanderweges Ende September ein weiteres Zeichen, die Verbindung zwischen Bahnfahren und Wandern positiv zu besetzen.
Über die Hintergründe berichten Heidi Wamke von ÖKOSOLAR e.V. in Dannenwalde und Bernd Herzog-Schlagk vom Fußgängerschutzverein FUSS e.V.: Ein zunehmender Anteil der Waldschädigungen ist darauf zurückzuführen, daß wir den Wald zu Erholungszwecken erreichen wollen. Ein immer größerer Anteil am Klimaproblem, dem Ozon und überhaupt an der Luftverschmutzung in Deutschland hängt damit zusammen, daß wir gerade zu Freizeit- und Erholungszwecken meinen, auf das Auto nicht verzichten zu können. Immer mehr Menschen leiden unter dem Lärm, den sie selbst oder andere erzeugen, um mal einen Moment der Ruhe zu genießen. Immer mehr Menschen leiden an verkehrsbedingten Krankheiten, werden bei Straßenverkehrsunfällen verletzt oder gar tot gefahren, damit wir möglichst schnell und bequem das Ziel erreichen, an dem wir etwas für unsere Gesundheit und das seelische Gleichgewicht tun wollen.
Umdenken ist angesagt - oder deutlicher: "Umhandeln"! Denn am Denken liegt es oft schon nicht mehr. Wer aber handelt so umweltbewußt, wie es im Kopf bereits längst als richtig erkannt ist, wenn das nichtumweltbewußte Handeln belohnt wird?
Seit der Vereinigung mußten z.B. die West-Berliner feststellen, daß die lang ersehnte Freiheit, die wunderschöne Umgegend der Stadt zu erkunden, mehr oder weniger nur mit dem Auto nutzbar ist. Die Ost-Berliner dagegen mußten feststellen, wie gut doch dieser "schreckliche Nahverkehr" zu DDR-Zeiten funktionierte und wie flott die Gegend vom Öffentlichen Verkehr abgehängt wurde und weiterhin wird. Es waren gerade die kleinen Bahnhöfe im Land Brandenburg, die touristische Bedeutung hatten. Dort, wo mensch im wahrsten Sinne des Wortes mit Sack und Pack ausstieg, mit Faltbooten, Zelten, Rädern mit Anhängern und was es noch so für beschwerliche Gepäckstücke gab, die wirklich urige Erholungstage erlaubten. Mit Mindestfahrgastzahlen, Kostenangaben für jeden Bahnhalt und anderen fiskalischen Argumenten wurde Schluß gemacht mit dieser altmodischen Art der Erholung. Wer seinen Steg, seinen Zeltplatz oder auch nur den Ausgangspunkt für eine Fuß-, Rad- oder Bootswanderung erreichen wollte, muß sich schon ein Auto anschaffen.
Obwohl die in Deutschland üblichen Mindestwerte für Ein- und Aussteiger zum Erhalt des Bahnbetriebes im Land Brandenburg durchaus zugunsten der Bahn herabgesetzt wurden, fand in keinem anderen Bundesland ein derart massiver Bahnhofsschließungs-Prozeß statt. Geschlossen wurden dabei hauptsächlich gerade die Bahnhöfe, die den Tourismus betreffen. Dagegen ging der Straßenbau selbst in entlegendere Gegenden flott voran und signaliserte dem Erholungssuchenden eindeutig, daß das Auto die bequemere und schnellere Art darstellt, das Erholungsziel zu erreichen. So und mit anderen verkehrspolitischen Weichenstellungen katapultierte sich das dünn besiedelte Flächenland Brandenburg an die bundesdeutsche Spitze der Verkehrsunfälle auf den Straßen.
In Deutschland dient mittlerweile mehr als die Hälfte des Autoverkehrs Freizeit- oder Urlaubszwecken. Auch im Land Brandenburg hat dieser Verkehrszweck die höchsten Steigerungswerte. So wundert es nicht, daß das wirtschaftlich angeschlagene Bundesland eine seiner Chancen überhaupt im Tourismus und der "Naherholung" der Berliner Großstädter sieht. Aber auch die Tourismusbranche ist stark angeschlagen, und die teilweise noch vorhandenen Fragmente reichen oft nicht aus, um auf die Erholungssuchenden einladend zu wirken.
Ohne Finanzspritzen ist der Abgang Ost nicht aufzuhalten, doch blieb die Gegend zwischen Gransee und Fürstenberg im Kreis Oberhavel, was Tourismusforderung betrifft, bisher ein weißer Fleck auf der Landkarte. Das zu DDR-Zeiten hochgradig touristisch genutzte Gebiet rund um die beiden Wentowseen erlebte dann am 28. Mai des Jahres 1995 einen letzten Tiefschlag durch die Schließung des Bahnhofes Dannenwalde. Die Deutsche Bahn AG begleitete die damalige Schließung von 92 (!) Haltepunkten in ihrer Glanzbroschüre sprachlich unter dem Stichwort: "Praktizierter Umweltschutz: Insgesamt erhofft sich das Land Brandenburg... eine spürbare Steigerung des Schienenanteils im Tourismus- und Pendlerbereich. Schließlich sollen die reizvollen Landschaften des Landes Brandenburg in ihrer Ursprünglichkeit erhalten bleiben."
Die gerade aus dieser Sicht nicht vertretbare Schließungsentscheidung als politischer Akt der bewußten Nichtforderung hatte auch ihre gute Seite, es konnte nur noch aufwärts gehen: So formierte sich recht schnell eine "Große Koalition für den kleinen Bahnhof Dannenwalde", die sich erst für den Erhalt, dann für die Wiedereröffnung einsetzte und sich nun um die langfristige Sicherung des Bahnhofes kümmert. Unter dem Motto "Spaß haben + Bahnhof retten!" wurden in der Sommersaison die Städter aufgefordert, "Dannenwalde, dem kleinen Tor zum großen Wald- und Seengebiet im Norden Berlins" einen Besuch abzustatten. Was mit dem "Jubelzug" und dem anschließenden Bahnhofsfest zur Wiedereröffnung begann, entwickelte sich zu einem recht umfangreichen Sommer-Programm mit verschiedenen Wander- und Kulturangeboten.
Und es ging tatsächlich aufwärts: Der Bahnhof wurde trotz der wettermäßig nicht überragenden und nur vier Monate währenden Bahn-Sommersaison deutlich stärker genutzt als vor der Schließung, und die Region profitierte davon wirtschaftlich. So bestätigt die Tourismusbranche dort einen merkbaren Anstieg von Gästen seit der Bahnhofswiedereröffnung. In der Folge davon wurden Angebote reaktiviert, die zu DDR-Zeiten das Erholungsgebiet geprägt hatten, z.B. die vielfältigen Boots- und Rad-Mietangebote, Kutschenfahrten, Reiten, Angeln usw.
Eine touristische Weichenstellung dürfte die Eröffnung des Rundwanderweges um den Kleinen Wentowsee gegen Ende der Sommersaison darstellen. Bisher war eine Wanderung um diesen See nicht möglich, da es militärisches Gelände war. Erst mit dem Abzug der GUS-Truppen konnte nach mehr als 50 Jahren das nördliche Gebiet des Wentowsees überhaupt betreten werden. Folgende Punkte machen den Wanderweg überregional bemerkenswert:
Der bei gemächlicher Gangart etwa 2-3 Stunden dauernde Rundweg ist auch gerade im Spätherbst oder Winter sehr zu empfehlen, weil die Restaurants geöffnet sind und die An- und Rückreise im Zug mit Sicherheit einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Erholung darstellt. Seit dem Winterfahrplan, und dies dürfte ein besonderer Bonbon sein, ist Dannenwalde im Zweistundentakt direkt mit Berlin verbunden. Ein und eine dreiviertel Stunde dauert es ohne Umsteigen ab Berlin-Westkreuz, ab Oranienburg ist es eine knappe halbe Stunde.
Wo ein Wille ist, ist auch ein schöner Wandertag.
FUSS e.V.
aus SIGNAL 8/1996 (November 1996), Seite 16-18