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Zwei Jahre Bauzeit für zwei Kilometer Einzige S-Bahn-Wiederinbetriebnahme 1997?
1. Dez 1996
Eigentlich sollte die S-Bahn schon jetzt zwischen Westend und Jungfernheide fahren. Beim Baubeginn im Sommer 1995 war es jedenfalls so geplant. Doch nun verzögert sich die Eröffnung der nur 2,1 Kilometer langen Strecke voraussichtlich bis zum Fahrplanwechsel am 1. Juni 1997. Zudem ist zu fürchten, daß das kurze Nordring-Teilstück im kommenden Jahr die einzige Wiederinbetriebnahme ist. Denn alle anderen angekündigten, aber bereits mehrfach verschobenen Termine - das gilt für die Verlängerungen bis Hennigsdorf, Pichelsberg und Lichterfelde Süd ebenso wie für den Lückenschluß zwischen Neukölln und Treptower Park - sind fragwürdig. Zwar gibt es Hinweise, daß der überfällige Südring-Lückenschluß ebenso wie die Anbindung nach Lichterfelde Süd doch noch "Ende 1997" gelingen, doch bekanntlich erwarten die Meteorologen erneut einen strengen Winter...
Fast zwei Jahre für zwei Kilometer - wieder so ein Beispiel für das Schneckentempo beim Berliner S-Bahn-Bau, sind wir versucht zu sagen. Jedoch gilt auch hier: Zum sogenannten Baubeginn rückten erst einmal die Abbautrupps an. Gleise und Bahnsteige samt Dächern wurden abgetragen, mehrere alte Stahlbrücken beseitigt. Verschwunden ist auch die markante Fachwerkbrücke am ebenfalls abgebrochenen Stellwerk "Chag" nördlich des Charlottenburger Güterbahnhofs. An dieser Stelle zeigt sich das Ausmaß der geleisteten Arbeiten heute besonders deutlich: Die Nordring-Gütergleise unterqueren die auf einem Dammkörper verlaufende S-Bahn-Trasse jetzt im Tunnel.
Die stählernen Ringbahn-Brücken über den Tegeler Weg und die Spree ersetzte man durch eine Stahlbeton-Verbundkonstruktion. Die Fachwerkbrücke über die "Hamburg und Lehrter Bahn" brauchte dagegen nur saniert zu werden. Hier rauscht irgendwann nach der Jahrtausendwende der ICE zum Lehrter Bahnhof unter S-Bahn-Gleisen durch.
Wie Christian Morgenroth, Baubetriebsmanager der S-Bahn Berlin GmbH erläutert, wird der Abschnitt Westend - Jungfernheide als zwei eingleisige Strecken eröffnet. Im Grunde handelt es sich bloß um je zwei Kilometer lange "vorgestreckte Bahnhofsgleise". Vom rechten aufs linke Gleis und umgekehrt wechseln die Züge auf einem in Westend eingebauten Weichentrapez, in Jungfernheide wenden sie generell direkt am Bahnsteig. Der Einbau einer Kehranlage ist dort nur vorsorglich berücksichtigt, um nach Weiterführung der Strecke beispielsweise Verstärkerzüge ein- und aussetzen zu können. In Westend dagegen entsteht schon jetzt eine östlich der Streckengleise angeordnete zweigleisige Kehr- und Abstellanlage.
Die Option für die Einfädelung der Siemensbahn am Bahnhof Jungfernheide wird offengehalten. Ein zweiter Bahnsteig wäre dafür nicht unbedingt nötig. Erinnert sei daran, daß hier schon 1976 bis 1980 die Züge von und nach Gartenfeld gemeinsam mit den Ringbahnzügen nur noch einen Bahnsteig nutzen konnten und mangels einer Kehrmöglichkeit erst in Beusselstraße wendeten. Zuvor allerdings gab es in Jungfernheide eine geradezu raffiniert ausgeklügelte Betriebssituation: Die von Gartenfeld kommenden Züge hielten zunächst am Bahnsteig B und ermöglichten optimalen Anschluß an die ebenfalls hier haltenden Züge nach Gesundbrunnen. Dann fuhren sie zum Kehren an den Bahnsteig C, an dem auch die Züge nach Sonnenallee und Köllnische Heide stoppten. Umsteiger zur Ringbahn in beiden Richtungen mußten somit keine Treppen steigen.
Der südliche Bahnsteig A diente im übrigen den Zügen von und nach Spandau West bzw. Staaken. Etwa in seiner Lage gibt es künftig einen Regionalbahnsteig. S-Bahn-seitig ist - so Christian Morgenroth - bereits 1997 der Endzustand erreicht.
Der grunderneuerte Ringbahnsteig in Jungfernheide wird west- und ostseitig sowohl von der Max-Dohm- wie der Olbersstraße erschlossen, ostseitig außerdem von der U-Bahn-Linie 7. In beiden Zugängen werden Fahrtreppen installiert, auf der Ostseite außerdem ein Aufzug bis zur Nullebene und ein zweiter hinunter zum U-Bahnsteig. Provisorische Interimszustände, also unfertige Treppen- und Aufzugsanlagen wie jetzt in den Stadtbahnhöfen, will die S-Bahn GmbH vermeiden.
Daß gerade die für ältere oder körperlich behinderte Fahrgäste so wichtigen Aufzüge höchste Priorität genießen, hat S-Bahn-Geschäftsführer Günter Ruppert in einem Gespräch mit der IGEB erst jüngst wieder betont. Allerdings gehören die S-Bahn-Stationen zum Geschäftsbereich Personenbahnhöfe der DB AG, und deshalb ist die S- Bahn GmbH hier für viele Unzulänglichkeiten gar nicht verantwortlich. Den Fahrgast freilich interessiert das wenig. Bleibt zu hoffen, daß die Muttergesellschaft Deutsche Bahn AG bzw. die Projektgesellschaft "Knoten Berlin" als Bauherr für die Einhaltung der Terminzusagen sorgen und der Bahnhof Jungfernheide schon am Eröffnungstag kundenffeundlich ausgestattet ist. Eines ist jedenfalls versprochen: S-Bahn-Personal wird ständig präsent sein, die Züge werden von Bahnsteigaufsichten abgefertigt.
Die jeweils alle 20 Minuten verkehrenden Züge der S 45 nach/von Flughafen Schönefeld und S 46 nach/von Königs Wusterhausen werden die neue Endstation Jungfernheide alle zehn Minuten bedienen. Wegen der kurzen Kehrzeit am Bahnsteig ist das sogar ohne zusätzlichen Fahrzeugbedarf möglich. Die Verstärkerzüge während der Hauptverkehrszeit beginnen und enden wie gehabt in Westend, den Fünf-Minuten-Takt gibt es also nur bis dort. Durch eine veränderte "Verkehrtechnologie der HVZ-Gruppe" können aber die derzeitigen, ausgesprochen lästigen Standzeiten in Westkreuz generell verkürzt werden. Insofern wirkt sich die Streckenverlängerung positiv auf die gesamte Fahrplangestaltung auf dem Südring aus.
Angemerkt sei noch der direkte Fahrzeitvergleich mit der U7 zwischen den Stationen Jungfernheide und Neukölln. Während die U-Bahn hier in der werktäglichen Tagesverkehrszeit 32 Minuten benötigt, schafft es die S-Bahn, vorausgesetzt der zweiminütige Aufenthalt in Westkreuz entfällt, künftig in 27 Minuten. Dabei hält die U-Bahn unterwegs 20 mal, die S-Bahn aber nur 12 mal an. Der konsequentere Zuschnitt des Fahrplans auf Neubaufahrzeuge - gegenwärtig laufen neben der Baureihe 485 immer noch gelegentlich die betagten 477er mit - könnte den Fahrzeitvorteil der S-Bahn noch etwas ausbauen. Noch wichtiger wäre allerdings der 5-Minuten-Takt bis Jungfernheide statt Westend.
Nach den langwierigen Verzögerungen bis zum Baubeginn war während der letzten Monate und gerade auch während der Arbeit an diesem Beitrag ein beachtlicher Baufortschritt zu beobachten, so daß nicht verständlich ist, warum hier erst ab Juni 1997 Züge im Fahrgastbetrieb verkehren sollen. "Wenn die Strecke fertig ist, fahren wir auch und warten nicht bis zum Fahrplanwechsel im Sommer", hatte die S-Bahn GmbH in einem Gespräch mit dem Berliner Fahrgastverband IGEB zugesagt. Die Voraussetzungen, daß diesen Worten bereits zu Beginn des neuen Jahres Taten folgen können, scheinen baulicherseits gegeben zu sein.
Mit der Wiederinbetriebnahme der Strecke Westend - Jungfernheide ist, was die S-Bahn betrifft, ein erstes Teilstück des Projekts "Berliner Innenring - Nördlicher Abschnitt" bewältigt. Auch die weiteren Baumaßnahmen, das Nordkreuz im Bereich Gesundbrunnen/Bornholmer Straße eingeschlossen, sind so aufeinander abgestimmt, daß Teilstrecken bereits vor Abschluß des Gesamtprojekts genutzt werden können. Als nächster Zwischenschritt ist die Wiederinbetriebnahme bis Westhafen (Putlitzstraße) vorgesehen, wo dann wieder auf die U9 umgestiegen werden kann. Als Termin dafür nennt der Geschäftsbereich Netz der Deutschen Bahn AG immer noch das Jahr 1998, gegen Ende 1998 soll dann noch der Abschnitt Westhafen - Gesundbrunnen folgen und 1999 der Ring bis zur Schönhauser Allee geschlossen sein.
Was in Berlin von solchen Terminangaben zu halten ist - wir wissen's bis zum Überdruß. Freuen wir uns nichtsdestotrotz auf die bevorstehende Wiederinbetriebnahme. Möge die "Formel zwei Kilometer in zwei Jahren" kein schlechtes Omen für den weiteren Baufortschritt sein, denn dann würde es schier endlos dauern, bis der Innennng wieder eine "Strecke ohne Ende" ist...
IGEB
aus SIGNAL 9-10/1996 (Dezember 1996), Seite 4-7