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Am 1. November wurde der Hamburger Bahnhof wiedereröffnet - als Museum für Gegenwartskunst Der im Berliner Stadtbezirk Tiergarten nahe dem S-Bf Lehrter Stadbahnhof gelegene Bau ist der letzte erhaltene Kopfbahnhof der Stadt. Seine „großen Brüder“, allen voran der Anhalter Bahnhof, fielen dem Krieg und dem „Wiederaufbau“ zum Opfer. Sein „Überleben“ verdankt der Hamburger Bahnhof weniger seiner Verkehrsbedeutung, als seiner sehr frühen Umwidmung.
1. Dez 1996
Der Bahnhof im Stil des eleganten Klassizismus wurde 1847 als Endpunkt der Hamburger Bahn dem Verkehr übergeben. Er hatte eine technische Besonderheit: Die Lokomotiven konnten die Bahnhofshalle durch beide Portale verlassen und wurden vor diesen auf einer Drehscheibe gewendet. Spätestens mit dem Aufstieg Berlins in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Bahnhof dem wachsenden Verkehr nicht mehr gerecht. So wurde er 1884 geschlossen. Seine Aufgaben übernahm der nahegelegene Lehrter Bahnhof. Die bahntechnischen Anlagen wurden beseitigt und das Empfangsgebäude in ein Wohn- und Verwaltungsgebäude umgebaut. Die eigentliche Bahnhofshalle fiel diesem Umbau zum Opfer.
Anfang diesen Jahrhunderts konnten langgehegte Pläne für ein Verkehrs- und Baumuseum im Hamburger Bahnhof umgesetzt werden. Dazu wurde unter anderem eine neue Bahnhofshalle errichtet, auch wenn diese niemals als solche genutzt wurde. Sie war von Anfang an als Ausstellungshalle konzipiert, Rauch und Ruß hat sie nie gesehen. Ihr Vorbild hat sie jedoch in den Bahnhofshallen des 19. Jahrhunderts, den "Kathedralen des Verkehrs". Schon wenige Jahre nach seiner Entstehung mußte das schnell wachsende Museum erweitert werden. Dazu baute man vor das Hauptgebäude östlich und westlich zwei Flügelbauten. Deren Architektur knüpft an das Vorhandene an, so daß man die Erweiterung als solche nicht erkennt.
Bis zu seiner Schließung im II. Weltkrieg war das Verkehrs- und Baumuseum eines der populärsten Berliner Museen. Im Krieg wurde es dann beschädigt: Während die Ausstellungshalle nicht ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen wurde, waren die Seitenflügel teilweise zerstört. Schlimmer waren jedoch die Schäden für die Sammlungen,denn an den Auslagerungsorten insbesondere außerhalb Berlins kam es zu unwiederbringlichen Verlusten durch Plünderungen und Beschlagnahmen.
Dennoch hätte das Museum eigentlich innerhalb relativ kurzer Zeit wieder eröffnet werden können. Statt dessen versank es in einen jahrzehntelangen Dornröschenschlaf. Dieser "Schlaf hatte seine Ursache in den ganz normalen Absurditäten als Folge des Viermächtestatutus und der Teilung Berlins. Das Museum war nach dem Krieg versehentlich (!) der Deutschen Reichsbahn zugeordnet worden. Die Deutsche Reichsbahn mit Sitz im Ostteil Berlins durfte im Westen der Stadt zwar Eisenbahnen betreiben, ein Museumsbetrieb aber war aus statusrechtlichen Gründen nicht möglich. In dieser Situation wurde 1979 ein neues Museum am Anhalter Güterbahnhof gegründet, das inzwischen sehr populäre Museum für Verkehr und Technik. Derweil schlummerten im Innern des Hamburger Bahnhofs wahre Schätze, über deren Umfang wenig bekannt war - damals ein idealer Nährboden für geheimnisvolle Geschichten, Spekulationen und Gerüchte.
1983/84 konnte im Zusammenhang mit der Überbergabe des in West-Berlin gelegenen S-Bahn-Teilnetzes an den (West-)Berliner Senat endlich auch die Situation des Hamburger Bahnhofs verändert werden. Der Senat übernahm das Museum. Ein kleiner Teil der Bestände ging an das Dresdener Verkehrsmuseum, der größere ist heute ein wesentlicher Bestandteil der Sammlung des Museums für Verkehr und Technik - inzwischen umbenannt in Deutsches Technikmuseum Berlin.
An dieser Stelle sei noch einmal den Reichsbahnern gedankt, die das Museum mit seinen Beständen, so gut es damals ging, in Schuß hielten.
Was aber sollte nach der Übernahme aus dem Bau werden? Nach einer kurzfristigen Öffnung, um den Berlinern die neuen Schätze zu zeigen, versank das Gebäude erneut in den Dornröschenschlaf. Gegen eine Wiederinbetriebnahme als Bau- und Verkehrsmuseum wehrte sich das junge Museum für Verkehr und Technik - mit Erfolg. Die alten Museumsstücke waren eine willkommene Bereicherung der eigenen Sammlung, und die Organisation eines Museum mit Außenstelle konnten bzw. wollten die Verantwortlichen sich nicht vorstellen.
Nachdem die Sammlung ausgeräumt war, begann der Senat mit der Instandsetzung und dem partiellen Wiederaufbau des Hamburger Bahnhofs. 1987 wurde der Bau erstmals für eine Ausstellung genutzt, weitere folgten. Dabei stellte sich das Gebäude als ein vielseitig nutzbares Objekt heraus, in dem auch Kunst gut präsentierbar ist. So keimte die Idee einer Umnutzung zur Zweigstelle der Berliner Nationalgalerie. Den hierfür ausgelobten Architekturwettbewerb gewann der Berliner Architekt Josef-Paul Kleihues.
Nun folgte zum einen die weitgehende Sanierung des (noch) Vorhandenen. Die alte Ausstellungshalle ist eine wahre Augenweide geworden. Desweiteren enstand östlich der alten Ausstellungshalle eine sehr imponierende und variable langgestreckte neue Ausstellungshalle, eine zweite auf der Westseite der Haupthalle soll folgen.
Mit dem neuen Museum ist die langfristige Erhaltung und künftige kulturelle Nutzung des Hamburger Bahnhofs gesichert. Bedauerlich ist aber, daß kaum noch an die alte Nutzung als Bahnhof und danach als Bau- und Verkehrsmuseum erinnert wird. Wer 1984 die Ruine gesehen hat, freut sich heute über die umfangreiche Instandsetzung und bedauert zugleich den Verlust alter Spuren, denn die Geschichte wurde weitgehend "wegmodemisiert". Wichtig ist jedoch, daß dieses Bauwerk auch zukünftigen Generationen zeigt, wie elegant und funktional ein Eisenbahngebäude sein kann. Auch an diesem "Kunstbahnhof" wird sich die zur Zeit entstehende Eisenbahnarchitektur messen lassen müssen. Dies gilt insbesondere für den unweit vom Hamburger Bahnhof entstehenden Zentralbahnhof!
Allen SIGNAL-Lesem sei empfohlen, sich das "Museum für Gegenwart" im Hamburger Bahnhof einmal selbst anzuschauen. Der Besuch des alten Gebäudes lohnt selbst dann, wenn einem die gezeigte Kunst nichts geben kann. Das Museum ist geöffnet Dienstag bis Freitag von 9-17 Uhr, Sonnabend und Sonntag von 10-17 Uhr. Der Eintritt kostet 8 DM, ermäßigt 4 DM.
IGEB
aus SIGNAL 9-10/1996 (Dezember 1996), Seite 10-11