Nahverkehr

Combino & Co.

Präsentation von Niederflurfahrzeugen

Die Begeisterung über die Niederflur-Straßenbahnen der BVG vom Typ GT6N hält sich bekanntlich in engen Grenzen (siehe u.a. SIGNAL 6/95). Da ist es verständlich, daß andere Anbieter die Chance wittern, den Fahrzeugen aus Hennigsdorf trotz des Heimvorteiles von ADtranz (ehemals AEG) ernsthafte Konkurrenz zu machen. Das haben sich offensichtlich auch die Manager von Siemens gedacht und im Herbst ihre Neuentwicklung „Combino“ vorgestellt, in Berlin ebenso wie in Potsdam. Denn in beiden Städten stehen Entscheidungen zur Bestellung neuer Fahrzeuge an.


IGEB

1. Dez 1996

Berlin

Schon seit längerer Zeit war hinter vorgehaltener Hand von einer "Low-Cost-Bahn" die Rede. Im Sommer wurde sie in Düsseldorf unter dem Namen "Combino" erstmals der Fachpresse vorgestellt. Am 8.10. 1996 präsentierte sie Siemens auf BVG-Gleisen in Marzahn. Die entscheidende Frage nach dem Verkaufspreis blieb offen. Deutlich niedriger als bei bisher angebotenen Modellen wird er aber voraussichtlich nicht sein. Siemens verspricht Kostenvorteile durch billigeren Betrieb infolge geringerem Reparatur- und Wartungsaufwand sowie günstigerem Energieverbrauch durch ein vergleichsweise niedriges Fahrzeuggewicht.

Anders als bei neuen S-Bahn-BR 481 scheint es beim „Combino“ keine Beeinträchtigung der Lesbarkeit der Zugzielanzeige durch Spiegelungen zu geben. Foto: Ivo Köhler

Der Wagen besteht aus mehreren individuell kombinierbaren Modulen, mit denen sich für alle denkbaren Anwendungsfälle geeignete Fahrzeuggrößen zusammenstellen lassen, sowohl als Ein- als auch als Zweirichtungswagen. Im elektrischen wie im mechanischen Bereich wurden keine allzu großen Experimente gestartet, so daß man mit kurzen Inbetriebnahmephasen ohne böse überraschungen rechnen dürfte. Die Fahreigenschaften des Wagens beeindruckten durchaus.

Die einleitenden Worte vom Technischen Vorstand der BVG, Herrn Dr. Dubenkropp, klangen bei genauem Hinhören optimistisch. Nach der Feststellung, man habe nach "dem erfolgreichen Einsatz der GT6N" nun auch Mitbewerbern eine Chance zur Präsentation geben wollen, folgten Andeutungen über einen in naher Zukunft denkbaren Einsatz des vorgestellten Wagens in Berlin, der den jetzt erfolgenden Neuausschreibungen folgen könnte.

Der Innenraum des „Combino“ wirkt freundlich und übersichtlich und bietet Sitzenden ausreichend Beinfreiheit. Foto: Ivo Köhler

Das glücklose AEG-Fahrzeug ist nach wie vor alles andere als erfolgreich, von 60 Wagen stehen 54 als Einsatzbestand zur Verfügung, es gab erneut Probleme mit den Getrieben, mehrere Wagen mußte wegen Rissen im Dachbereich für den Personenverkehr gesperrt werden. Die wenig überzeugende Innenraumgestaltung kommt hinzu. Im Falle der "Fahrgastbefragungen", die zu einem durchweg positiven Ergebnis gekommen sein sollen, wäre es interessant zu erfahren, was konkret dort gefragt wurde. Mit Suggestivfragen ist immer ein positives Ergebnis zu erhalten.

Nüchtern betrachtet bleibt die Suche nach Alternativangeboten, die ganz einfach besser sind. Der "Combino" kann eine solche Alternative sein. In der präsentierten Form wird er niemals in Serie gefertigt, da es Siemens darum ging, alle denkbaren Komponenten vorzuführen. In der Praxis werden Kombinationen aus bis zu drei oder vier Modulbausteinen erfolgen, je nach Grad der Motorisierung des Wagens und der gewünschten Länge. Die Ausstattung kann den Bestellerwünschen angepaßt werden. Und hier sollte einiges beachtet werden. So muß die Zahl der Kinderwagenstellplätze gegenüber dem im Wageninnern hoffnungslos verbauten GT6N unbedingt erhöht werden. In einer Niederflurstraßenbahn müßten mindestens drei bis vier Stellplätze angeboten werden. Zum Vergleich: In den außer Dienst gestellten Rekowagen konnten beim Dreiwagenzug mindestens fünf Kinderwagen mitgeführt werden. Auch sollte über Windfänge im Türbereich nachgedacht werden, um ein Auskühlen des Wagens während des Fahrgastwechsels zu vermeiden.

Der „Combino“ bei der Präsentation in Berlin-Marzahn. Foto: Ivo Köhler

Die Ausstattung sollte dem bisherigen Standard entsprechen, was beim Konzept des Wagens ohne zusätzliche Kosten möglich sein dürfte. Dies betrifft unter anderem die Art der Bestuhlung und die Ausstattung mit Haltewunschtastem als auch natürlich das Farbkonzept. Lediglich bei den Außen-Türtastem sollte versucht werden, zu Betätigungselementen überzugehen, die eindeutiger sind. Beobachtungen vor Ort zeigen, daß die in Berlin verwendeten Elemente mißverständlich sind und mit Sensortasten verwechselt werden. Nur auf "Streicheln" reagieren diese Taster nicht. Ebenso muß hier ein von einem Leuchtfeld umgebener gelber Bereich betätigt werden, im Gegensatz zu U-Bahn und S-Bahn, wo auf das Leuchtfeld oder zumindest eine grüne Fläche gedrückt werden muß. Bei dieser Gelegenheit: mehr Einheitlichkeit bitte!

Potsdam

Prototyp Combino Zeichnung: Siemens Verkehrstechnik
Der modulare Aufbau ermöglicht eine große Variationsbreite innerhalb der Combino-Fahrzeugfamilie. Text und Grafik: Siemens Verkehrstechnik

Am 12. und 13. Oktober lud der Verkehrsbetrieb in Potsdam (ViP) zu einer Präsentation mehrerer Niederflurfahrzeuge. Nach einem Pressetermin am 11. Oktober hatte an den genannten beiden Tagen die Bevölkerung Gelegenheit, sich selbst ein Bild über die Angebotspalette zu machen. In die noch dieses Jahr erfolgende Bestellung sollen die Hinweise und Wünsche der Potsdamer Fahrgäste mit einfließen. Aus Berliner Sicht erscheint dieses Vorgehen als geradezu sensationell. Vorgestellt wurden der oben erwähnte Combino von Siemens-Verkehrstechnik, der von einem Konsortium unter Führung der DWA hergestellte Dresdner 65%-Niederflurwagen und der allseits bekannte GT6N von ADtranz. Ein bislang von der BVG noch nicht abgenommenes (1994 gebautes) Fahrzeug wurde eilig mit Folien in der ViP-Lackierung beklebt. Was man bei naiver Sichtweise als nette Geste abtun kann, ist genaugenommen eine dreiste Frechheit. Denn den geladenen Potsdamer "Normalverbrauchern" wurden damit Fakten suggeriert, die noch längst nicht gegeben sind. Siemens begnügte sich mit einer Postkarte des Combino in ViP-Farben.

Neun Hersteller haben sich bisher auf die EG-weite Ausschreibung gemeldet, ab 1998 plant man die Beschaffung von jährlich vier neuen Wagen. Ein Bescheid des Landes über die Erteilung von Fördermitteln liegt vor. Ab 1998 soll zugleich die Aussonderung älterer, nichtmodernisierter Tatras fortgesetzt werden. Da in Potsdam gleich zu Beginn die Fahrgäste effektiv einbezogen werden, dürfte der tatsächlichen Akzeptanz der dortigen Wagen nichts entgegenstehen.

Es bleibt nur zu hoffen, daß auch eine technische Lösung gewählt wird, die ohne allzuviel Anlaufschwierigkeiten dem Betriebseinsatz übergeben wird.

IGEB

aus SIGNAL 9-10/1996 (Dezember 1996), Seite 17-19