Fernverkehr

Ungewisse Zukunft des InterRegio-Verkehrs


IGEB

1. Dez 1996

1. Entwicklung und Bedeutung des IR-Verkehrs im Fernverkehrsangebot der DB AG

Ende 1995 umfaßte das IR-Netz der DB AG insgesamt 24 Linien. Täglich werden bis zu 424 Zugverbindungen angeboten, die 324 Bahnhöfe bedienen. Aufgrund dieser Kennzahlen kann man von einem attraktiven Schienenfernverkehrsangebot sprechen, das aus der Sicht der Reisenden als nahezu flächendeckend bezeichnet werden kann. Für die Reisenden von Vorteil sind insbesondere die umsteigeffeien IR-Zugverbindungen aus Norddeutschland, die die in den südlichen Bundesländern gelegenen beliebten Urlaubsgebiete optimal anbinden. Eine weitere Attraktivitätssteigerung hat die Einführung der Interregio-Züge auch in den neuen Bundesländern gebracht.

Der InterRegio-Verkehr bietet u.a. attraktive Züge für den „Nord-Süd-Tourismus“, hier IR 2217 im Bf Schluchsee (Schwarzwald) auf der Direktverbindung Norddeich - Seebrugg. Foto: Christian Schultz

Beide Faktoren haben wesentlich dazu beigetragen, daß der IR-Verkehr im Geschäftsjahr 1995 gegenüber dem Vorjahr einen Umsatzzuwachs von ca. 9% verzeichnen konnte. Durch diese Umsatzsteigerung hat der InterRegio-Verkehr mittlerweile die Milliarden-DM-Grenze erreicht. Dadurch konnte sich der IR einen Anteil von ca. 19% am Gesamtumsatz des Fernverkehrs der DB AG sichern. Außerdem ist festzustellen, daß die Verkehrsleistung (hier: Personenkilometer) gegenüber dem Voijahr erneut um 2% angestiegen ist und damit einen neuen Rekord von insgesamt 7,3 Milliarden Personenkilometer ermöglichte. Durch diese Verkehrsleistung hat der IR-Verkehr im Geschäftsjahr 1995 einen prozentualen Anteil von 23,5% am gesamten Personenfemverkehr der DB AG erzielen können.

Diese hervorstechende Kennziffernentwicklung dokumentiert eindeutig, daß der IR-Verkehr sich einen Stammplatz bei der Kundschaft der DB AG erobert hat und natürlich aus der Sicht der Reisenden nicht mehr wegzudenken ist.

2. Probleme bei der Produktgestaltung und -fortentwicklung

Derzeit ergibt sich allerdings in einigen Relationen, speziell in den neuen Bundesländern, eine direkte Konkurrenz zum RegionalExpress-Angebot (RE), da von beiden Produkten überwiegend dieselben Verkehrshalte bei fast gleichen Fahrzeiten bedient werden. Als Beispiel sei die Relation Berlin - Stralsund genannt, wo sich InterRegio- und RE-Züge praktisch zu einem 1-Stunden-Takt ergänzen. Problematisch ist dies insofern, weil der RE-Verkehr als Bestandteil des Nahverkehrs von den einzelnen Bundesländern bestellt und bezahlt wird, der IR-Verkehr dagegen muß sich als Produkt des Schienenpersonenfernverkehrs wirtschaftlich selbst tragen.

Überlegungen seitens der DB AG sehen daher Einschränkungen des IR-Verkehrs in einigen Relationen zur Reduzierung des wirtschaftlichen Risikos vor. Mittelfristig ist gar mit der Einstellung des IR-Verkehrs zu rechnen. In einigen stark nachgefragten Relationen ist eine Umwandlung in IC-Züge vorgesehen, was in Einzelfällen bereits vollzogen wurde. Beispielhaft sei hier die Relation Berlin - Hamburg genannt. Auf der weitgehend fertig ausgebauten bzw. sanierten Strecke wird im IC-Verkehr seit dem 29.9.1996 ein 1- bis 2-Stunden-Takt (allerdings mit Taktverschiebungen) angeboten, wobei die seinerzeit eingeführte IR-Linie Berlin - Schwerin vollkommen entfallen ist bzw. nun ein entsprechenden Umsteigen erfolgen muß.

Der Wegfall des IR-Angebots dürfte für die Bahnkunden vor allem folgende Nachteile zur Folge haben:

Im Gegensatz zum IC-Verkehr können die Züge des IR-Verkehrs zuschlagfrei benutzt werden. Im Falle der Umwandlung von IR- in IC-Züge sind daher auch finanzielle Nachteile für den Bahnkunden zu verzeichnen, insbesondere da mit dieser Änderung keine durchgreifende Qualitätsverbesserung verbunden ist.

Nicht zuletzt hat der IR-Verkehr bedingt durch die überregionalen Verbindungen auch Bedeutung im Zusammenwachsen zwischen alten und neuen Bundesländern - und zwar hinsichtlich der Anzahl der Linien mehr als vergleichsweise der IC-Verkehr.

3. Maßnahmen zur weiteren Attraktivitätssteigerung des IR-Verkehrs

Im Gegensatz zum RegionalExpress gibt es beim IR die Möglichkeit zum Essen und Trinken, wenn man einmal von den IR-Zügen absieht, die den zum Produkt gehörenden Bistro-Wagen dennoch nicht mitführen. Foto: Christian Schultz

Unserer Einschätzung nach sind die seitens der DB AG derzeit angestellten Überlegungen zur Einstellung des IR-Verkehrs als Qualitätsprodukt des Fernverkehrs allein aufgrund der in Kapitel dargestellten Kennziffernentwicklung nicht nachvollziehbar. Insgesamt wurde das IR-Angebot hervorragend angenommen, was auch Meinungsumfragen belegen. Vielmehr sollte die Weiterentwicklung des IR-Angebotes eine weitere Attraktivitätssteigerung zum Ziel haben.

Auf betrieblicher Seite wäre unseres Erachtens zu prüfen, ob zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit eine bessere Regulierung der Zugstärke möglich ist, da in einigen Fällen, gemessen am Fahrgastaufkommen, ein zu hohes Platzangebot beobachtet wurde. Aus Sicht der Bahnkunden wäre die konsequente Einhaltung der seitens der DB AG vorgegebenen Qualitätsmerkmale zu fordern, insbesondere der Einsatz von Bistro-Wagen. Weiterhin müßten auch die Möglichkeiten zur Beschleunigung des IR-Verkehrs durch Anhebung der Streckenhöchstgeschwindigkeit speziell in den neuen Bundesländern geprüft werden, da bei der Sanierung der Infrastruktur - abgesehen von den Verkehrsprojekten "Deutsche Einheit" - bereits gute Fortschritte erzielt worden sind. Stellvertretend sei an dieser Stelle wiederum die Strecke Berlin - Pasewalk - Stralsund genannt.

Weiterhin ist zu fragen, weshalb im Regionalverkehr Sonderaktionen wie das "Schönes Wochenende-Ticket" möglich sind, vergleichbare Angebote im Fernverkehr dagegen nicht. Denkbar wäre z.B. eine Variante, wonach gegen Zahlung eines Zuschlages auch IR-Züge mit dem "Schönes Wochenende-Ticket" benutzt werden können (Staffelung z.B. 35 DM ohne IR-Benutzung, 50 DM mit IR-Benutzung).

Klassische IR-Sitzgruppe mit Kindersitz. Aber trotz Fahrgastzuwächsen ist das zwischen IC- und Regionalverkehr angesiedelte Produkt InterRegio akut gefährdet. Foto: Christian Schultz

Auch verstärkte Werbemaßnahmen sind unseres Erachtens für den IR-Verkehr unerläßlich. So ist der InterRegio z.B. in der Relation Berlin - Stralsund von der Fahrzeit her eine sehr günstige Alternative zur Autobenutzung auf überlasteten, stauanfälligen Bundesstraßen - und das streßfrei.

Das Problem, daß der IR-Verkehr zum Teil auch regionale Aufgaben wahmimmt, kann unserer Einschätzung nach nur durch entsprechende Regelungen mit den betroffenen Bundesländern bezüglich eines finanziellen Teilausgleichs gelöst werden.

Es ist sehr zu hoffen, daß sich die Entscheidung des DB AG-Vorstandes bezüglich der weiteren Entwicklung des IR-Verkehrs an den Wünschen der Bahnkunden orientiert und so die uneingeschränkte Beibehaltung mindestens des heutigen Umfangs des IR-Netzes zum Ziel hat.

IGEB

aus SIGNAL 9-10/1996 (Dezember 1996), Seite 27-28