Nahverkehr
1. Jan 1997
[IGEB] Dieses Interview entnahmen wir der Ausgabe 10 von "punkt 3", erschienen am 21.11.1996. "punkt 3" ist eine kostenlose Kundenzeitschrift mit dem Untertitel "Bahn-Informationen für Berlin/Brandenburg". Im Mittelpunkt steht die Information über S-Bahn und Regionalverkehr. Während die Gestaltung von "punkt 3" jedem Grafiker und auch jedem Menschen mit etwas Gespür für Grafik Tränen in die Augen treibt, sind die Informationen, Berichte und Interviews fast immer sehr lesenswert. (Damit ist "punkt 3" genau das Gegenteil von "BVG Plus", dieser grafisch gut gestalteten, aber inhaltlich uninteressanten, zuweilen peinlich schlechten und fehlerhaften Kundenzeitschrift.)
Das vorstehend abgedruckte Interview ist ein gutes Beispiel für die Qualitäten von "punkt 3“. Was war der Anlaß? Vom Freitag, dem 18. Oktober 1996 (ab ca. 19 Uhr) bis zum Betriebsbeginn am Montagmorgen wurde die S-Bahn zwischen Lehrter Stadtbahnhof und Hauptbahnhof von den Ferngleisen auf die erneuerten S-Bahn-Gleise zurückverlegt. Folglich konnten an diesem Wochenende auf diesem Abschnitt keine Züge verkehren. Allerdings gelang es, zwischen Hauptbahnhof und Alexanderplatz dennoch einen 10-Minuten-Pendel zu fahren, so daß nur der Abschnitt Alexanderplatz - Lehrter Stadtbahnhof mit Bussen im SEV überbrückt werden mußte. Zur Entlastung der Stadtbahn wurden von der BVG bei der U2 auf Kosten der S-Bahn GmbH zusätzliche Züge eingesetzt. Erschwert wurde das weiträumige Umfahren der Stadtbahn allerdings dadurch, daß die BVG in unverantwortlicher Weise stur an den Wochenend-Bauarbeiten auf der U1-Hochbahnstrecke festhielt, so daß ihre Züge nicht zum Bf Warschauer Straße fahren konnten.
Entsprechend kompliziert war an diesem Wochenende die Situation für die Fahrgäste. Hinzu kam, daß in diesen Tagen noch die Verkehrsmesse InnoTrans stattfand, so daß den vielen auswärtigen Experten ein für Berlin typisches, aber nicht besonders positives Bild von der derzeitigen Verkehrssituation geboten wurde. Deshalb war die S-Bahn GmbH mit großem Personaleinsatz bemüht, den Fahrgästen auf den Bahnhöfen zu helfen und sie individuell zu beraten. Denn so umfangreiche Betriebsänderungen und -einschränkungen wie an diesem Wochenende sind nicht durch Plakate, Faltblätter oder Computerinformationen zu bewältigen, sondern nur durch das "Uraltmedium Mensch". Einer Bitte der S-Bahn GmbH an den Berliner Fahrgastverband IGEB, sie am 19./20.10. bei der Beratung auf den Stadtbahnhöfen durch Vereinsmitglieder zu unterstützen, sind wirdeshalb gerne nachgekommen.
Nachdem also dieses Wochenende mit vielen Schwierigkeiten, aber ohne schwerwiegende Einbrüche bewältigt worden war und der Betrieb am Montagmorgen tatsächlich durchgehend und auf allen Bahnhöfen aufgenommen werden konnte (zwei Tage vorher war das noch keineswegs sicher), kam es tagsüber dann zu den befürchteten Zusammenbrüchen. Diese setzten sich, manchmal nur für Minuten, manchmal stundenlang, in den Folgetagen fort und halten - mit deutlich abnehmender Tendenz - bis heute an.
Entsprechend hatten die Verantwortlichen der S-Bahn GmbH anstrengende Tage und zuweilen schlaflose Nächte. Dabei waren eigentlich gar nicht verantwortlich. Daß die Bahnhöfe nicht den Zustand erreicht hatten, der vereinbart worden war, hat der DB-Geschäftsbereich Personenbahnhöfe zu verantworten. Und für den Zusammenbruch der Zugsicherungstechnik waren der DB-Geschäftsbereich Netz, die von ihm mit den Stadtbahnbauarbeiten beauftragte Eisenbahnknoten Berlin GmbH und die von dieser GmbH beauftragte ausführende Firma Siemens verantwortlich. Doch das interessiert die Fahrgäste, die zu spät zur Arbeit kommen oder ihren Fernzug verpassen, natürlich überhaupt nicht. Deshalb war es richtig, in dem punkt 3-Interview die Probleme so offen anzusprechen und sich als Betreiber bei seinen Fahrgästen zu entschuldigen. Die deutlichen Worte waren innerhalb der S-Bahn Berlin GmbH allerdings nicht ununmstritten.
Deshalb möchten wir die Verantwortlichen an dieser Stelle auffordern: Weiter so! Nur wenn die Fahrgäste erkennen, daß die S-Bahn GmbH ihre Probleme versteht und um Abhilfe bemüht ist, nur dann werden viele Fahrgäste bereit sein, Verständnis für solche außergewöhnlichen Probleme des Betreibers zu entwicklen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist aber auch, das für den leider allzu häufigen Fall von Signalstörungen - nicht nur auf der Stadtbahn - endlich eine Rückfallebene gefunden wird. Es ist nicht hinnehmbar, daß die Modernisierung der Zugsicherungstechnik das S-Bahn-Fahren zu einem "Alles-oder-Nichts-Spiel" verkommen läßt, bei dem schon kleine Störungen ausreichen, daß in großen Bereichen alle Räder still stehen.
IGEB
aus SIGNAL 1/1997 (Januar 1997), Seite 13-14