Regionalverkehr
Lange war es angekündigt, und von vielen wurde es mit Interesse erwartet, jetzt ist es soweit: Das Land Brandenburg schreibt erstmals EU-weit auf vorerst zwei Teilnetzen Eisenbahnverkehrsleistungen aus, verkündet am 4. Dezember 1996 im Ausschreibungsblatt des Landes Brandenburg. Freude und Skepsis halten sich jedoch die Waage.
2. Jan 1997
Wer schon jetzt ausführliche und konkrete Erläuterungen erwartet hatte, sah sich jedoch getäuscht. Im Amtsblatt vom 4. Dezember wurden nur kurze und grundsätzliche Ausführungen zu Leistungsumfang und Teilnahmebedingungen gemacht, denn es handelt sich hier um ein "Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb". Bis 16. Januar 1997 konnten interessierte Verkehrsunternehmen bei der Landesentwicklungsgsellschaft (LEG) die Teilnahme beantragen, um anschließend die Ausschreibungsunterlagen zu erhalten. Die einzelnen Leistungsangebote der Teilnehmer sollen daraufhin nach einer angemessenen Frist eingereicht und individuell verhandelt werden.
Inhalt der Ausschreibungen sind Leistungen im SPNV (Schienenpersonennahverkehr) auf zwei Teilnetzen im Osten und Westen Brandenburgs (Umfang und Ausgangsbedingungen siehe Tabellen). Interessant ist die Forderung, daß nur Angebote der Wettbewerbsteilnehmer für jeweils ein komplettes Netz zugelassen sind. Der Streckenumfang und diese grundsätzliche Bedingung gehen vor allem auf Forderungen des Bahnkunden-Verbandes Brandenburg e.V. im Rahmen der Konzeption "Regionalnetze im Land Brandenburg" von Anfang 1996 zurück.
Sinnvoll ist die Ausweisung von sogenannten "Ergänzungsangeboten ohne direkte Vergabeverpflichtung für die Eisenbahnlinien" bei Strecken, die derzeit eine Reaktivierung geprüft wird (Königs Wusterhausen - Mittenwalde, Belzig - Treuenbrietzen). Hier kann das Land im Zuge der Ausschreibung das Interesse und die Kostenangebote der Verkehrsuntemehmen auf schon lange im Personenverkehr nicht mehr bedienten Strecken überprüfen, ohne sich für deren Bestellung zu verpflichten.
Probleme dürfte jedoch die optionale Einbeziehung von Verkehrsleistungen auf jeweils einer Hauptstrecke (Erkner - Frankfurt/Oder, Wusterwitz - Potsdam Stadt) bringen. Bis auf diese sind sämtliche andere Leistungen Nebenbahnverkehre, die spezifische betriebstechnologische, unternehmenstrukturelle und kostenseitige Strukturen erfordern - im krassen Gegensatz zum Hauptbahnverkehr. Zu befürchten ist, daß interessierten und auf Nebenbahnbetrieb spezialisierten Unternehmen aufgrund der Verpflichtung, Angebotspakete inklusive der Hauptbahnleistungen abzugeben, die Teilnahme erschwert oder unmöglich gemacht wird.
Es ist also zu erkennen, daß bei Umsetzung des gesamten SPNV-Nahverkehrsplanes der Bestellumfang in den nächsten Jahren nochmals erhöht wird. Inklusive der Optionsstrecken bedeutet dies eine Steigerung der SPNV-Leistungen im östlichen Netz um etwa 17 % auf 2,39 Mio. Zugkilometer und im westlichen Netz um etwa 25% auf 2,13 Mio Zug-Kilometer.
Nun soll im Interesse des Landes - und genau dies ist ja der Sinn einer Ausschreibung - der Zuschußbedarf für diese Streckennetze gesenkt bzw. sollen die geplanten Mehrleistungen bei gleichem jährlichen Zuschußbedarf durchgeführt werden. Dies bedeutet, daß die Teilnehmer an der Ausschreibung ihren Zuschußbedarf pro Zugkilometer im östlichen Netz nicht höher als 14,90 DM und im westlichen Netz nicht höher als 15,58 DM ausweisen dürfen. Im Verhältnis zum 1997 zwischen dem Land Brandenburg und der DB AG vereinbarten Zuschußbedarf von 17,37 DM pro Zugkilometer müssen die potentiellen SPNV- Anbieter also 14% bzw. 11% unter den heutigen DB-Kosten liegen.
Der Zeitplan für die Leistungsvergabe ist eng gesteckt, denn zum Fahrplanwechsel am 24. Mai 1998 soll der Verkehr aufgenommen werden. Dieser Zeitpunkt ist insofern gut gewählt, da dann gleichzeitig die Leistungsvereinbarung zwischen dem Land und der DB AG ausläuft und eine Folgevereinbarung geschlossen werden muß. Der knappe Zeitraum zur Vorbereitung der Betriebsaufnahme (16 Monate) bedingt jedoch auch die schnelle Ausschreibungsentscheidung - also noch weit vor der diesjährigen Sommerpause. Schwierigkeiten bei neuen oder kleinen auf dem Markt agierenden Bahngesellschaften werden sich auch durch die Vergabe der Leistungen auf 6 Jahre ergeben, da die Abschreibungszeiträume für neuanzuschaffende Fahrzeuge deutlich länger sind. Wenn das Land im Interesse der Flexibilität bei der Leistungsbestellung also auf kurzen Vergabezeiträumen besteht, ist auch die im SPNV-Plan aufgeführte Einführung eines Fahrzeug-Pools in Landesträgerschaft einzufordern, wo regionale Bahngesellschaften z.B. moderne Triebwagen leasen können.
Daß an den Ausschreibungen mehrere regionale Bahngesellschaften - einheimische oder auswärtige - neben der DB AG teilnehmen werden und somit Bewegung in den dringend nötigen Wettbewerb auf der Schiene kommt, gilt als gesichert. Behindert werden könnte diese positive Entwicklung eher durch interne Probleme des Leistungsbestellers. Bis Mitte 1997 nimmt noch die LEG Brandenburg die Aufgaben der SPNV-Regieebene im Auftrag des Landes Brandenburg wahr. Die Ausschreibungsentscheidungen müßten, wenn sie nicht unnötig verzögert werden sollen, noch in diesem Zeitraum erfolgen. In der zweiten Jahreshälfte 1997 sollen sämtliche SPNV-Aufgaben auf den vor kurzem gegründeten Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg übertragen werden - mit neuen Ansprechpartnem und höchstwahrscheinlich geänderten Zielvorstellungen. Wie diese aussehen, wurde vor kurzem von der DB AG treffend - und wohl auch mit Genugtuung - Umrissen: Die "Schonfrist" für weitere 13 Nebenbahnen endet, sobald der Verbund seine Arbeit aufgenommen hat.
Der Bahnkunden-Verband Brandenburg fordert deshalb von den politischen Aufgabenträgem, baldmöglichst auch Ausschreibungen für weitere regionale Streckennetze - vor allem in der Prignitz und der Uckermark - durchzuführen, um mit deutlich verbesserten Betreiber- und Kostenstrukturen die Bahn in den strukturschwachen Regionen Brandenburgs zu erhalten.
Deutscher Bahnkunden-Verband Brandenburg e.V.
aus SIGNAL 1/1997 (Januar 1997), Seite 19-20