Nahverkehr

Lieber Senat!


Jan Gympel

1. Mär 1997

Lange habe ich es nicht glauben wollen, aber offenbar bist Du wirklich wild entschlossen, demnächst die U-Bahn in Pankow zu verlängern. Und das, obwohl man von dort aus auch mit der S-Bahn ohne Umsteigen zur Schönhauser Allee gelangt, obwohl man zur S-Bahn Richtung Bernau und Birkenwerder schon dort wechseln kann, obwohl die Tram parallel zur U-Bahn fährt. Aber halt, die Straßenbahn willst Du ja dann nicht mehr über die erst vor einigen Jahren neuverlegten Gleise direkt in die Innenstadt fahren, sondern einen Umweg über Heinersdorf machen lassen.

Nun weiß ich ja, wie sehr Du die Straßenbahn verabscheust; aber hälst Du es für klug, sie so unverhohlen zu sabotieren? Und glaubst Du wirklich, irgendjemand kaufe Dir ab, daß es wahnsinnig attraktiv sei, aus Rosenthal, Niederschönhausen oder Buchholz mit der Tram bis Pankow-Mitte zu fahren, dort dann in die U-Bahn hinunterzuklettern, bis Schönhauser Allee zu jockeln und da wieder Treppen zu überwinden, derweil man das mit dem Auto oder jetzt noch mit der Straßenbahn viel bequemer haben kann?

Wenn Du das Geld, das Du doch gar nicht hast, schon im U-Bahn-Bau versenken willst, dann mach Dich doch lieber an die U9 nach Lankwitz; auch da gibt es einen Bahndamm schön teuer und aufwendig zu unterfahren, und wer weiß, wieviel Geld sich bei der Querung des Teltowkanals verbuddeln läßt! Vor allem aber: Dies wäre, ebenso wie eine U-Bahn von Steglitz nach Lichterfelde, eine sinnvolle Querverbindung, die jetzt mit Unmengen von Bussen geschaffen werden muß. Die U2 nach Pankow ist dagegen eine überflüssige Parallelstrecke. Und so, wie es in diesem Land zugeht und wie Du wirtschaftest, wird Berlin in, sagen wir mal, acht Jahren nicht nur ziemlich pleite sein wie jetzt, sondern restlos bankrott. Ja, ich weiß, Du glaubst mir nicht, aber vor einiger Zeit hätte auch niemand geglaubt, daß wir in Deutschland mal wieder 4,6 Millionen Arbeitslose haben werden oder daß in Berlin hunderttausende Quadratmeter Büroraum leerstehen oder daß die Industrie aus Berlin nicht abwandert, sondern die Stadt fluchtartig verläßt.

Dann wirst Du, lieber Senat, in Deiner Verzweiflung der BVG den Zuschuß ganz streichen. Und die BVG wird in ihrer Verzweiflung unrentable Strecken einstellen. Zum Beispiel die U8 nördlich der Osloer Straße, die kreuz und quer durch Reinickendorf gondelt, um dann dort zu enden, wo die S-Bahn schon seit Jahrzehnten hinfährt. Weil in dieser voll besiedelten Gegend so eine wahnsinnige Nachfrage herrscht, hat die BVG den Takt, kaum war die Strecke eröffnet, tagsüber auf zehn Minuten ausgedünnt. Würden sich Deine Mitglieder mal mit dem gemeinen Volk in die U-Bahn setzen, lieber Senat, könnten sie auch auf der Trasse nach Spandau diverse Stationen erleben, auf denen so gut wie niemand ein- oder aussteigt. Was glaubst Du wohl, was auf dieser Strecke passieren wird, sobald nach Spandau wieder die S-Bahn fährt, mit der man direkt und schneller zum Zoo, zur Friedrichstraße, zum Alex kommt?

Kurzum, lieber Senat, neben der U4 oder der U15 wird die BVG zunächst jene Strecken stillegen, die sie, zum Teil aus gutem Grund, so wenig wollte wie die U2 nach Pankow und die Du für ein paar Milliarden einfach gebaut und ihr dann aufgezwängt hast. Kannst Du Dir vorstellen, wie hyperpeinlich das wird, wenn die teure neue Strecke nach Pankow, sagen wir mal ein halbes Jahr nach der doch sicher mit viel Trara begangenen Eröffnung, wieder geschlossen wird? Also, laß das lieber sein, rät Dir

Dein

Jan Gympel

aus SIGNAL 2/1997 (März 1997), Seite 12