Aktuell

Vom Stresow zum Rathaus
Bahnhof Berlin-Spandau wechselt bald die Havelseite

Endlich bekommen die Spandauer einen Bahnhof in verkehrsgünstiger Lage. Bald erreichen sie die Fern- und Regionalzüge mit kurzen, wenn auch noch nicht optimalen Umsteigewegen von Bus oder U-Bahn am Rathaus. Mit Eröffnung der Station zwischen Klosterstraße und Stadtbücherei erfüllt sich ein fast hundertjähriger Wunschtraum. Bereits die Preußische Staatsbahn wollte 1902 ihren Personenbahnhof von der östlichen auf die westliche Havelseite verlegen. Doch erst mit dem Bau der Schnellfahrstrecke Berlin - Hannover wird das uralte Projekt, nun natürlich den Bedürfnissen des ICE-Zeitalters angepaßt, realisiert.


IGEB

1. Apr 1997

Schon im September 1996 ließ die Deutsche Bahn AG es die Käufer der Winterausgabe ihres Kursbuches wissen: "Ab 4. Mai 1997 ist der Zugang zum Bahnhof Berlin-Spandau von der Grenadierstraße in die Klosterstraße verlegt". Ortskundige mögen sich verwundert die Augen gerieben haben, denn bloß um ein neues Zugangsbauwerk konnte es sich nicht handeln. Der noch genutzte Bahnhof im Ortsteil Stresow liegt ja weit abseits der Klosterstraße, und von einem Neubau war im Herbst kaum etwas zu sehen. Dieser nimmt erst seit Februar, nach dem Ende der Frostperiode, Gestalt an. Trotzdem ist Bauleiter Werner Kunis von der DB Projekt Knoten Berlin GmbH zuversichtlich, daß der neue Bahnhof - genauer: dessen mittlerer Bahnsteig - termingerecht dem Betrieb übergeben wird.

Die Bushaltestelle in der Straße „Freiheit“ muß bald umbenannt werden, nach letzten Meldungen allerdings nicht am 4. Mai, sondern erst zum Fahrplanwechsel am 1. Juni. Foto: Marc Heller

Ganz präzise informiert die Anmerkung unter den Kursbuchtabellen die Fahrgäste jedoch nicht. Vorerst dient nämlich nur ein Fußgängertunnel zwischen Seegefelder Straße und Brunsbütteler Damm als Zugang. Wie zu Zeiten des früheren S-Bahnhofs Spandau West befindet er sich etwa 150 Meter westlich der Klosterstraße. Die Umsteigestituation von der U-Bahn oder den Bushaltestellen am Rathaus bleibt also noch unbefriedigend, zumal mindestens die Seegefelder Straße überquert werden muß (und der bereits auf der Straßensüdseite vorhandene U-Bahn-Ausgang eben wegen der Eisenbahnbaumaßnahmen wieder geschlossen ist!). Lediglich die Busse der Linien 130 und 237 halten an der Seegefelder/Galenstraße unmittelbar vor dem Bahnhofseingang. In direkter Verlängerung der Galenstraße gibt es außerdem noch einen bis unter die Bahnanlagen reichenden Tunnelstummel, der später einmal als Straßendurchstich bis zum Brunsbütteler Damm ausgebaut werden soll. Zunächst erfüllt er die Funktion des bauaufsichtlich vorgeschriebenen zweiten Bahnsteigzugangs und wird nur im Notfall geöffnet.

Foto: Marc Heller (3/97)
Bahnhof Berlin-Spandau, obender alte Bahnhof mit IC nach Hamburg, rechts der neue, noch im Bau befindliche. Foto: Marc Heller (3/97)

Die künftige Haupteingangshalle mit Fußgängerpassage an der Klosterstraße wird ebenso wie die direkten Übergangsmöglichkeiten zur U-Bahn erst 1998/99 fertiggestellt. Jetzt reicht der Bahnsteig auch noch gar nicht ganz bis zur Klosterstraße heran, denn auf volle Länge von 420 Metern (für ICE mit 14 Mittel wagen bzw. zwei zusammengekuppelte ICE 2-Halbzüge) muß er erst noch gebracht werden. Immerhin können aber ab 4. Mai schon bis zu zwölf Wagen führende InterCity-Züge den neuen Bahnhof nutzen. Im Endzustand dient der nun als erstes gebaute Bahnsteig dem Fern- und Regionalverkehr Richtung Stendal - Hannover bzw. Wittenberge - Hamburg. Südlich davon entsteht noch der Fern- und Regionalbahnsteig für die Gegenrichtung, auf der Nordseite bis Ende 1998 der S-Bahnsteig. Letzterer wird auch von einem Zugang Stabholzgarten/Rathaus aus erreichbar sein.

Die auf dem Mittelbahnsteig errichteten Dachstützen lassen die Konturen der künftigen Bahnhofshalle schon erahnen. Mit vier Wölbungen soll die vom Architektenbüro von Gerkan, Marg und Partner entworfene filigrane Stahl-Glas-Konstruktion einmal alle sechs Bahnsteiggleise überspannen. Hinzukommen wellenförmige Vordächer. Ebenfalls in Wellenform wird sich Ende 1997 die neue siebengleisige Eisenbahnbrücke über die Havel präsentieren. Ab 4. Mai überqueren die Züge auf dem für zwei Gleise bereits fertiggestellten Bauwerk den Fluß, die letzte noch vorhandene alte Brücke wird dann abgebrochen.

(Der Turm im Hintergrund gehört zum Rathaus Spandau.) Foto: Marc Heller
Alte und neue Streckengleise zwischen dem alten und dem neuen Bahnhof Berlin-Spandau. Aber trotz intensiver Arbeiten ist der 4. Mai als Inbetriebnahmetermin nach letzten Meldungen nicht mehr zu schaffen. Foto: Marc Heller

Der bisherige, von 1911 bis 1936 als Spandau Hbf und seither als Berlin-Spandau bezeichnst Bahnhof im Ortsteil Stresow hat nach 150 Jahren für den Fern- und Regionalverkehr ausgedient. Die Gleisanlagen wurden vor und nach der Jahrhundertwende zwar mehrfach umgestaltet, der Empfangsbau der einstigen Berlin-Hamburger Eisenbahn stammt im Kern aber noch von 1946. Er steht unter Denkmalschutz und wird anderen Zwecken zugeführt. Ganz abgeschlossen ist das Kapitel der Bahnhofsgeschichte am traditionellen Ort aber noch nicht, denn vor dem ehrwürdigen Gebäude soll Ende 1998 an einem neuen Bahnsteig wieder die S-Bahn halten.

Die Fern- und Regionalzüge der Relation Berlin - Wittenberge - Hamburg fahren übrigens auch auf neuen Gleisen im Spandauer Bereich noch bis zum 31. Mai mit Diesel. Der elektrische Betrieb wird am 1. Juni aufgenommen. Von diesem Zeitpunkt an verkehren die RB-Linien 12 und 18 wieder auf der angestammten Trasse über Eichkamp und beginnen bzw. enden auf dem Bahnhof Charlottenburg. Der Behelfsbahnsteig in Westkreuz wird dann aufgelassen. Auch das werden viele Spandauer, die per Regionalbahn in die Berliner Innenstadt fahren, begrüßen. Auf die S-Bahn müssen sie aber noch mindestens bis Ende 1998 warten.

Letzte Meldung

Aufgrund von Problemen mit der Zugsicherungstechnik kann der neue Bahnhof nicht zum 4. Mai, sondern erst zum Fahrplanwechsel am 1. Juni in Betrieb genommen werden. Die Verzögerung von einem Monat ist sicher kein großes Unglück und wegen des Fahrplanwechsels sogar von Vorteil, doch damit bestätigt sich leider zum wiederholten Male, daß beim Bahnbau in Berlin kein einziger Termin gehalten werden kann. Warum ist es denn nicht möglich, die Fertigstellungstermine so zu planen, daß ein wenig Spielraum für Unvorhergesehenes bleibt?

IGEB

aus SIGNAL 3/1997 (April 1997), Seite 8-9