Nahverkehr

Liebe BVG!


Jan Gympel

1. Apr 1997

Übel wird Dir wieder einmal mitgespielt, allerorten schlägt Dir Mißgunst und Unverständnis entgegen, und dabei hast Du es so gut mit uns gemeint: Gerecht sollten Deine Fahrpreise endlich werden und dabei auch nur nebenbei ein klitzekleines bißchen teurer. Doch der "Tagesspiegel" macht sich zum 1. April über Dich lustig, indem er von Plänen berichtet, daß man Fahrscheine, deren zweistündige Geltungsdauer man nicht voll ausgenutzt habe, bei Dir zur teilweisen Erstattung einreichen kann - zwecks Krönung der Fairness, sozusagen. Und die Grünen rufen sogar allen Ernstes dazu auf, noch gültige Tickets, am Ziel angekommen, an Zusteiger weiterzugeben.

Klar protestierst Du dagegen und drohst mit Sanktionen für den Fall, daß Du herausbekommst, was Du gar nicht herausbekommen kannst. Aber mal unter uns: Wozu die Aufregung? Per Einzelfahrschein ist doch sowieso kaum jemand mit Dir unterwegs. Jedenfalls hast Du das in den letzten Jahren immer gesagt, wenn es galt, den rasanten Preisanstieg für die Einzelfahrscheine zu rechtfertigen. Und außerdem könntest Du theoretisch bis zu 75 Prozent aller Fahrscheinweitergaben sofort und selbständig vermeiden: Du bräuchtest nur die Sammelkarten wiedereinzuführen.

Doch statt dieser Fahrscheinart, die es seit 1930, nur kurz von der allerersten Nachkriegszeit unterbrochen, gegeben hat, läßt Du lieber wieder die Zugangskontrolle bei den Bussen aufleben, wenigstens nach 20 Uhr. Dein Personalrat, der das schon länger gefordert hat, wird begeistert sein, und um eine stimmungshebende Maßnahme für Deine Busfahrer handelt es sich ja wohl auch. Endlich wieder: "Jetz komm Se ma nochma nach hier vorne und zeijen mir ordentlich Ihren Fahrschein, sonst stelle ick den Motor aus!" Es war ja auch kaum noch mitanzusehen, wie sich die für Ihren besonderen Charme stadtbekannten Busfahrer von der groben Ignoranz der Fahrgäste erniedrigen lassen mußten, die sie bei der Einreise in ihr kleines Königreich oft keines Blickes würdigten. Noch deutlich ist uns in Erinnerung, liebe BVG, wie mißmutig und schließlich still verzweifelt Deine Fahrer hinter ihren Steuern saßen, als Du anno '89 schon einmal den Mitteleinstieg eingeführt und die Fahrscheinkontrolle abgeschafft hattest. Und wie sie dann wieder aufblühten, als sie nach wenigen Monaten ihre alte Macht zurückerhielten.

Ja, liebe BVG, Du solltest nicht nur abends zu den alten Sitten zurückkehren. Dem stehen Deine duften neuen Busse entgegen, die von hinten wie Möbelwagen aussehen, unglaublich ungeschickt hineingefummelte Treppen und drei Türen haben? Ach, was! Mit Maßnahmen, die zur allgemeinen Erheiterung beitragen, hast Du doch Übung. Wie ulkig etwa, daß Du mit Deinem (neuen Tarifkonzept selbst nicht klarkommst. Da zeigst Du uns in der April-Ausgabe Deiner Kundenzeitschrift "BVG plus" beispielsweise auf mehreren Karten, wo denn die Grenzen zwischen den Tarif bereichen verlaufen. Doch auf der Darstellung des Tramstreckennetzes überschreitet die Linie 87 gleich zwischen ihrem Endpunkt am S-Bahnhof Rahnsdorf und dem nächsten Halt an der Goethestraße die Grenze zwischen "B" und "C", und die 88 tritt zwischen Goethepark und Rahnsdorfer Straße in den C-Sektor ein. Die Karte auf der nächsten Doppelseite zeigt uns aber, daß beide Linien auf voller Länge zum Bereich "B" gehören. (Gute Idee übrigens, auf diesen auch in den Bussen und Bahnhöfen ausgehängten Karten die Wiedereröffnung des S-Bfs Jungfernheide und die daraus folgenden Änderungen bei den Bussen nicht zu berücksichtigen - so können die Pläne schon nach sechs Wochen ausgewechselt werden.) Vielleicht solltest Du, damit Du Deine "Fairpreise" begreifst, Dich mal an die "BVG plus"-Rubrik "Fragen und Antworten zum neuen Tarif" wenden. Kostprobe aus dem letzten Heft: Bei der neuen Tarifstruktur handle es sich "um eine transparante und übersichtliche".

Dein Jan Gympel

Jan Gympel

aus SIGNAL 3/1997 (April 1997), Seite 16