Planung und Bauten
An den Vorsitzenden des Ausschusses für Verkehr und Betriebe, Herrn Müller-Schoenau, Abgeordnetenhaus von Berlin. In der 19. Sitzung des Ausschusses für Verkehr und Betriebe am 05.02.1997, TOP 6 Mitteilung zur Kenntnisnahme über Straßenbahnbaumaßnahmen (Drs 13/1112) wurde dem Vertreter meines Hauses von Herrn Staatssekretär Schmitt keine Redegenehmigung erteilt, um Ihnen meine z.T. konträre Auffassung zu den Straßenbahnbaumaßnahmen zur Kenntnis geben zu können. Im Gegensatz zu den Ausführungen des Fachvertreters der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr, Herr Dr. Kalender, besteht z.T. erheblicher Dissens zur Ausführung einzelner Planungsvorhaben. Ich sehe mich daher veranlaßt, Sie auf diesem Wege über die Auffassung zu den Straßenbahnbauvorhaben aus der Sicht der Stadtentwicklung und des Städtebaus zu informieren. Ich bitte, meinen Vorbehalt dem Protokoll der o.g. Ausschußsitzung beizufügen.
1. Apr 1997
Die Verkehrsverwaltung sieht vor, aus Kostengründen in der Karl-Liebknecht-Straße auf die Tramallee zu verzichten. Die Tramallee ist Bestandteil des städtebaulichen Konzepts zur Umgestaltung der Karl-Liebknecht-Straße und stellt das aus stadtgestalterischen Gründen unverzichtbare Rückgrat dieses Straßenraumes dar. Die Straßenbahn soll nunmehr in einer Sparversion in die Fahrbahn eingebaut werden. Damit können ca. 10 Mio DM entsprechend der Aussage von SenBauWohnV Abt1. XII [Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr, Abteilung XII - Verkehrsplanung] eingespart werden.
Die Tramallee jedoch verursacht diese Kosten nicht, sondern die nach Auffassung der Verkehrsverwaltung erforderlichen parallelen Straßenbaumaßnahmen mit Versetzen der Borde zum Einbau zusätzlicher Fahrspuren. Gefordert wird daher die Integration der Tramallee in den bestehenden Fahrbahnraum. Im Falle einer verbesserten Haushaltssituation können zu einem späteren Zeitpunkt die Maßnahmen im Fahrbahnbereich durchgeführt werden. Der schlichte Einbau als langfristiges Provisorium wird an diesem zentralen Ort der Stadt nicht hingenommen.
Sollte die erläuterte Sparvariante zum Tragen kommen, ist ein neues Planfeststellungsverfahren einschließlich einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) erforderlich.
Der landschaftspflegerische Begleitplan (LBP) war im Rahmen des laufenden Planfeststellungsverfahrens nicht erforderlich, da eine Tramallee mit der Pflanzung von ca. 50 - 60 Bäumen und der Entsiegelung von 3000 - 4000 m2 asphaltierter Fläche alle weiteren Eingriffe in den Naturhaushalt im Zuge der Baumaßnahmen kompensiert.
Darüber hinaus ist die Tramallee mit Rasengleis eine effektive Maßnahme zum Lärmschutz.
Sollte also das Planfeststellungsverfahren erneut begonnen werden, ist eine Zeitverzögerung von mindestens 15 Monaten zu erwarten. Diese Zeitverzögerung ist für die kurzfristig dringend erforderliche Verbesserung des ÖPNV in der Mitte Berlins nicht hinnehmbar.
Aus Gründen des Städtebaus und der Stadtgestaltung wird weiterhin die bereits auf Fachebene abgestimmte Querschnittsgestaltung der Mühlenstraße im bestehenden Profil ohne zusätzlichen Flächenbedarf favorisiert, für die viele fachliche Gesichtspunkte der Verkehrsplanung sprechen. In diesem Profil ist die Einrichtung einer Fußgängerzone mit Straßenbahn vorgesehen. Eine zusätzlich zum bestehenden Profil angefügte Fahrbahn verhindert das städtebauliche Konzept des Navarra-Platzes am Westende der Mühlenstraße im Übergangsbereich zum Rosenthaler Weg/Triftstraße. Das Gestaltungskonzept sieht drei miteinander verbundene Teilflächen vor, die durch die zusätzliche Fahrbahn voneinander getrennt und zu nicht mehr nutzbaren Restflächen degradiert werden. Die erwartete Urbanität mit Markt und ähnlichen Nutzungsfomien in diesem zentralen Raum zwischen Neubaugebiet und historischem Ortskern Buchholz wird verhindert und die Identifikation der Bewohner des Neubaugebietes mit ihrem Wohnort erheblich erschwert.
Um die Arbeit der letzten Jahre am städtebaulichen Konzept für Buchholz nicht zur Makulatur werden zu lassen, muß die Konzeption Fußgängerzone mit Tram weiterhin Bestand haben.
Für diese Neubaumaßnahme ist von SenStadtUmTech die Integration der Trasse in das bestehende Profil des Straßenzuges vorgesehen. Eine Verbreiterung des Straßenraumes für einen eigenen Straßenbahnkörper ist nur auf einer Länge von ca. 800 m möglich. Da der Straßenzug in der westlichen Fortführung (Bernauer Straße ab Strelitzer Straße/Invalidenstraße) und auch im östlichen anschließenden Abschnitt der Eberswalder Straße zwischen Lychener Straße und Sportstadion im vorhandenen Straßenraum nur eine fahrbahnbündige Einordnung der Tram zuläßt, wäre dererweiterte Abschnitt isoliert und ohne Bezug zum weiteren östlichen Innenring mit Danziger Straße und Petersburger Straße.
Der Verzicht auf Verbreiterung der Eberswalder/Bernauer Straße läßt die dringend erforderliche städtebauliche Neuordnung an der Bernauer Straße ohne zeitliche Verzögerung zu.
Eine Verbreiterung würde aufgrund der zu erwartenden langen Rechtsstreitigkeiten mit den Eigentümern der restitutionsbefangenen Grundstücke sowohl den Umbau der Straße und damit den Bau der Straßenbahn als auch die Wiederbebauung der Blockkanten auf lange Sicht verhindern.
Bei einer Inanspruchnahme der Mauergrundstücke in einer Tiefe von 12 - 15m müßte das Land Berlin für den Umbau der Straße ca. 10.000 m2 Wohnbaufläche erwerben. Schon diese Tatsache ist unter finanzpolitischen Gesichtspunkten inakzeptabel.
Für die Straßenbahn bedeutet die fahrbahnbündige Trassierung keine Nachteile, da sie mit Hilfe intelligenter Schaltungen (Vorrang- und Schleusenschaltungen) beschleunigt dem Kfz-Verkehr voranfahren kann.
Im Stadtraum der dicht bebauten Innenstadt fügt sich die Straßenbahn in die vorhandenen Straßenprofile ein und ordnet sich den städtebaulichen Bedingungen unter. Sie hat dort die vorrangige Aufgabe einer kleinräumigen Erschließung im Gegensatz zu ihrer Funktion als schneller Zubringer auf den Radialen.
[IGEB] Na endlich! Daß die Straßenbahnausbauplanung in Berlin von Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt und einigen Mitstreitern immer wieder durch das Errichten unüberwindbarer Hürden sabotiert wird, war im SIGNAL schon vielfach kritisiert worden. Nun aber hat endlich auch ein Senator den Mut gehabt, in einem öffentlichen Schreiben darzulegen, wie diese Sabotage abläuft. Im übrigen ist mit den einleitenden Ausführungen von Senator Peter Strieder anschaulich dokumentiert worden, wie Herr Ingo Schmitt Politik gestaltet: Macht statt Argumente - dem Mitarbeiter der anderen Verwaltung, der andere Argumente hat, wird einfach das Wort verboten. Ein weiteres Dokument über den undemokratischen Politikstil im "Hause Ingo Schmitt" dokumentieren wir in SIGNAL 4-5/97.
Peter Strieder
Senator für Stadtentwicklung,
Umweltschutz und Technologie
aus SIGNAL 3/1997 (April 1997), Seite 18-19