Planung und Bauten

CDU/SPD fordern neuen S-Bahnhof „Reichstag/Charite“


IGEB

1. Apr 1997

Zugegeben, die Überraschung war gelungen. Verkehrsfachleute der Verwaltung, der Verkehrsbetriebe und der Fahrgastverbände waren gleichermaßen überrascht, als sie am 26. März folgende dpa-Meldung lasen: "Die Berliner CDU-Fraktion setzt sich für einen neuen S-Bahnhof am Regierungsviertel ein. Er soll den Namen "Reichstag/Charite" tragen und den Anschluß des zukünftigen Regierungsviertels an den öffentlichen Nahverkehr optimieren, teilte die Fraktion mit. Zwischen Lehrter Stadtbahnhof und Friedrichstraße sei der Haltestellenabstand derzeit überproportional groß, ein neuer Halt biete sich also an, begründete die Union ihre Initiative. Einen entsprechenden Antrag brachte sie gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD ins Abgeordnetenhaus ein. Durch den zusätzlichen Halt würden große Teile des Regierungsviertels, vor allem das Reichstagsgebäude und die Abgeordnetenbüros, unmittelbar an die Ost-West-Stammstrecke der S-Bahn angebunden, erklärte die CDU-Fraktion. Das wäre nicht nur für die künftigen Besucherund Berufsverkehrsströme zum Parlamentsviertel vorteilhaft, sondern auch für die Berliner Bürger. Das wieder entstehende Stadtquartier um die Reinhardtstraße und das weitläufige Gelände des Universitätsklinikums Charite wären endlich direkt mit der Schnellbahn erreichbar."

Auf den ersten Blick sieht die Forderung vernünftig aus, doch bei genauerem Hinsehen erweist sie sich nicht nur als unsinnig, sondern weckt Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Abgeordneten von CDU und SPD. Warum bitte haben sie gerade erst auf einen zwischen Lehrter Stadtbahnhof und Bellevue geplanten, durchaus gut zu begründenden zusätzlichen S-Bahnhof an der Werftstraße verzichtet, während sie nun einen neuen an der Luisenstraße zwischen Lehrter Stadtbahnhof und Friedrichstraße fordern? Immerhin ist der Bahnhofsabstand hier mit rund 1,3 km vergleichsweise gering, während die Station Werftstraße an einem rund 1,7 km langen Abschnitt ohne Halt geplant war.

Bedenkt man noch, daß die Stadtbahn in diesem Abschnitt gerade erst grundlegend saniert und mit einer festen Fahrbahn versehen wurde, daß es an allen Ecken und Enden an Geld fehlt und daß die Fahrgäste seit 10 Jahren auf den sehr viel wichtigeren S-Bf Kolonnenstraße an der Wannseebahn warten, so wird deutlich, wie realitätsfern die Forderung der CDU/SPD-Abgcordneten ist. Vergessen haben die Politiker der Regierungskoalition offensichtlich auch, daß der von ihnen gestellte Senat den Reichstag sehr viel direkter durch U5 und S21 erschließen will. Aber was zählen schon Sachargumente, wenn es einem gelingt, sich mit seinem Vorschlag in allen Medien zu plazieren. In dieser Hinsicht waren CDU und SPD tatsächlich erfolgreich, erst in der Tagesspresse und nun sogar im SIGNAL.

IGEB

aus SIGNAL 3/1997 (April 1997), Seite 19