Planung und Betrieb
Unverantwortliche Bahn-Pläne für „Papestraße“
1. Jun 1997
Der nach den Prognosen für die Reisendenzahlen künftig zweitwichtigste Berliner Fernbahnhof soll zugleich Berlins erster "Autofahrerbahnhof" werden. Gemeint ist der geplante Fernbahnhof "Papestraße", künftig wahrscheinlich "Südbahnhof" genannt.
Während die Parkhausplanungen für den neuen Fernbahnhof immer gigantischer werden, will die Deutsche Bahn AG die nach dem Hannoverschen Vorbild "Passerelle" genannte Fußgängerverbindung zwischen den Bezirken Schöneberg und Tempelhof unter dem Bahnhof hindurch nicht mehr realisieren, obwohl diese aus einem städtebaulichen Wettbewerb als Bedingung für den Bahnhof hervorgegangen war und für die städtebauliche Entwicklung des Bahnhofsumfeldes sehr wichtig ist.
Offenbar hat die Bahn AG den Blick für ihre Kunden und zugleich jegliches Gespür für eine zeitgemäße Verkehrs- und Umweltpolitik verloren. Während sie bereits ist, 120 Mio DM für zwei Parkhäuser mit insgesamt 2.400 Stellplätzen (also 50.000 DM je Stellplatz!) zu investieren, sind ihr 50 Mio DM für eine 70 m lange Fußgängerunterführung zur Verknüpfung von zwei Stadtteilen und damit zur besseren Erschließung des Bahnhofsumfeldes zu viel. Hinzu kommt, daß der von der Bahn genannte Preis von 50 Mio DM offensichtlich mit Absicht zu hoch angesetzt wurde, denn dafür könnten selbst im extrem teueren Berliner U-Bahn-Bau immerhin 250 m U-Bahn-Tunnelstrecke realisiert werden.
Glaubt die Bahn allen Ernstes, daß sie mit dem Angebot von 2.400 Stellplätzen auch nur einen zusätzlichen Autofahrer auf die Schiene bringt? Ist nicht diese Zahl, die aus völlig überzogenen Verkehrsprognosen von 1991 abgeleitet ist, der tatsächlichen Situation, gekennzeichnet durch Bevölkerungsstagnation, einem Beitritt Berlins zum "Netzwerk Gesunde Städte" und den Bemühungen zum Energiesparen und Schadstoffabbau, diametral entgegengesetzt? Glaubt die Bahn AG tatsächlich, daß ihre Stellplätze kostendeckend vermietet werden können, wenn die "Mantelflächen" (Büros, Hotel, Gewerbe, Einkaufszentrum u.ä.) weitgehend entfallen? Werden dann nicht die Kosten für die Stellplätze auf alle Reisenden (also auch die ohne Auto) umgelegt? Sind den Autofahrer die besseren Bahnkunden, obwohl über 50% der Berliner Haushalte über kein Auto verfügen und somit auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sind? Sind also Stadtbewohner ohne Auto für die Bahn AG jetzt Menschen zweiter Klasse, denen man künftig einen Bahnhof in einer Autolandschaft mit Nebeneingang für Menschen ohne Auto zumuten darf?
Hier werden von der Bahn AG als Investor die Ressourcen der Stadt, also die Lagegunst des Bahnhofs, hemmungslos abgeschöpft, ohne die Stadtentwicklung durch eine Infrastrukturmaßnahme, von der sie selbst profitieren würde, zu unterstützen. Im Gegenteil: Es werden durch die gigantischen Parkhäuser neue Probleme geschaffen. Die Bahn AG ist ein Dienstleistungsunternehmen. Sie lebt nicht nur von den Stadtbewohnern, sondern ist ihnen auch verpflichtet. Und der Senat sollte der DB AG deutlich zeigen, daß die städtische Planungshoheit nicht nur ein Papiertiger ist und auch für das Unternehmen Bahn gilt.
Bürgerinitiative Westtangente
aus SIGNAL 4/1997 (Juni 1997), Seite 18