Nahverkehr

Ringschluß mit bösen Folgen S-Bahn-Ärger aus Fahrgastsicht

Durch den Verzicht auf die S45 in den Abendstunden ergeben sich übermäßig lange Wartezeitverluste zwischen Südring und Görlitzer Bahn. Der Fahrgastverband IGEB fordert für den Abendverkehr eine S-Bahn-Zuggruppe zwischen Schöneweide und Hermannstraße.


IGEB
Abteilung Fahrgastbelange

1. Mär 1998

Der 18. Dezember 1997 war ein wichtiger Tag für die Benutzer der Berliner S-Bahn. 36 Jahre und 4 Monate nach der durch den Mauerbau verursachten Unterbrechung der Strecke Treptower Park-Neukölln rollten hier wieder die Züge. Anlaß zur Kritik bot allenfalls die unnötigerweise um fünf Jahre verzögerte Wiederinbetriebnahme, insgesamt überwog aber die Freude über den erfolgten Lückenschluß. Durch diese Verbindung geht erstens der Ring seiner Komplettierung entgegen (was besonders die Verkehrshistoriker freuen dürfte); ganz praktische Auswirkungen ergeben sich täglich für tausende Fahrgäste, die zwischen den südlichen und östlichen Bezirken Berlins unterwegs sind. Entfällt für sie doch das zeitraubende und umständliche Umsteigen in Baumschulenweg.

Bus 265 - Abends schlechte Anschlüsse am S-Bf Treptower Park. Foto: Marc Heller

Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Die Betriebsaufnahme auf dem Ringabschnitt erforderte umfangreiche Veränderungen im S-Bahnnetz, insbesondere auf dem Süd- und Ostring sowie auf der Görlitzer Bahn. Und besonders die Veränderungen auf letztgenannter Strecke, an der die wichtigen Bahnhöfe Baumschulenweg, Schöneweide, Grünau (und indirekt Schönefeld) liegen, führten zu inzwischen deutlicher Kritik.

Während die Zurückziehung der Linien S45 und S46 von Jungfernheide nach Westend zugunsten der S4 nicht tragisch ist und die Reduzierung des Taktes dieser beiden Linien in der Hauptverkehrszeit von fünf auf zehn Minuten durch Wegfall der Verstärkergruppe Baumschulenweg-Westend durchaus nachvollziehbar ist, ist die Angebotsverschlechterung ab 21 Uhr unverständlich. Denn ab diesem Zeitpunkt gibt es von der Görlitzer Bahn nur alle 20 Minuten eine Verbindung zum Südring: die S45 wird ganz eingestellt, allein die S46 verkehrt bis Westend.

Nachdem durch die Baumaßnahmen auf der Stadtbahn schon seit Jahren eine direkte Verbindung nach Schöneweide fehlte (nur alle 20 Minuten und ab Warschauer Straße mit der S9), wurde der Südring mit seinen zahlreichen Umsteigepunkten zum U-Bahn-Netz insbesondere in den Abendstunden als Alternative zur Stadtbahn genutzt. Diese Alternative ist jetzt keine mehr, da im Extremfall 16 Minuten Wartezeit anfallen können. Auch die für ortskundige Fahrgäste durchaus realistische Variante mit einem Zug der S4 bis Treptower Park zu fahren und von dort einen Zug der S8, S9 oder S10 Richtung Schöneweide zu benutzen, scheitert; vor Einfahrt der S4 in den Bahnhof Treptower Park kann der Fahrgast die Ausfahrt des Zuges Richtung Schöneweide miterleben. In diesen Zeitraum fällt auch die Taktlücke der S9; es ergeben sich erneut acht Minuten Wartezeit bis zum Eintreffen der nächsten S8 oder S10.

Durch den Wegfall der S45 in den Abendstunden werden auch Anschlüsse zur Regionalbahn in Schöneweide zerstört. Ebenso sind die vom Ostring kommenden Züge der S8/S10 nicht mehr ab Baumschulenweg nutzbar.

Die Taktreduzierung ist nicht gerechtfertigt und sollte zurückgenommen werden, denn Köllnische Heide liegt nur eine Station vom Ring entfernt und sollte wie Plänterwald, Bornholmer Straße, Priesterweg oder Nöldnerplatz im Zehn-Minuten-Takt bedient werden.

Die seit 16. Februar erfolgte Wiederausdehnung der S46 in den Abendstunden bis Westend (vorher war sie bis Papestraße zurückgezogen) geht am Kern des Problems vorbei und stellt daher keine optimale Lösung dar. Um ein Überangebot auf dem Südring zu vermeiden, gleichzeitig aber den notwendigen Zehn-Minuten-Takt auf dem Südringabzweig über Köllnische Heide wiederherzustellen, schlägt die IGEB eine Zuggruppe S45 Schöneweide-Hermannstraße vor (akzeptabel wäre notfalls auch Baumschulenweg - Hermannstraße). Wir schätzen ein, daß auch nach 21 Uhr ein entsprechender Bedarf vorhanden ist.

Ein weiteres Problem ist die zu beobachtende Priorisierung der Züge der S4 gegenüber den anderen Linien in Treptower Park. Es kommt häufig zu langen Wartezeiten der S8/S10 Richtung Nord vor dem Bahnhof Treptower Park. Unverständlicherweise wird in diesen Fällen nicht von der Möglichkeit der wahlfreien Gleisbenutzung für nordwärts fahrende Züge Gebrauch gemacht, die die gleichzeitige Einfahrt von zwei Zügen erlaubt. Die Folge: konnten Fahrgäste aus Spindlersfeld bisher in den Abendstunden am S-Bf Treptower Park den Bus der Linie 265 Richtung U-Bf Märkisches Museum erreichen, so ist dies neuerdings dann nicht möglich, wenn die S4 verspätet einfährt.

Einfädelung S45/S46 in die S4 am S-Bahnhof Neukölln. Foto: Marc Heller

Unmut und Ärger bei den Fahrgästen führt enfalls, sämtliche Züge in Richtung Schönefeld (das betrifft sowohl die S45 wie die S9) auf verspätete Züge der Linien S8/S10 (in Treptower Park) bzw. S6 oder S46 (in Baumschulenweg) warten zu lassen. So begrüßenswert der Versuch der Anschlußsicherung ist - zumindest tagsüber sind die sich ergebenden Fahrzeitverlängerungen nicht akzeptabel. Besonders betroffen sind die Fahrgäste der S9, da sie im ungünstigen Fall erst in Treptower Park der S8/S10 und dann auch noch in Baumschulenweg der S46 den Vortritt lassen müssen.

Die S-Bahn ist durch den Bonus sinnvoller Streckeneröffnungen weitgehend vom Fahrgastschwund verschont geblieben. Die BVG kann davon ein ganz anderes (Klage-)Lied singen. Jüngste Zahlen beweisen aber, daß dies nicht immer so bleiben muß. Vor allem sind stabile oder steigende Benutzerzahlen nicht im Selbstlauf zu erreichen. Daher sollte sich die S-Bahn GmbH hüten, Fahrgäste durch unnötige Angebotsverschlechterungen zu vergraulen.

IGEB
Abteilung Fahrgastbelange

aus SIGNAL 2/1998 (März 1998), Seite 6-7