Titelthema Social Media im ÖPNV

Was ist Social Media?
Und wozu braucht man das?

Mit Social Media existiert eine Art der Kundenkommunikation, die alle bisherigen Möglichkeiten in den Schatten stellt. Sie bietet damit aber auch bisher ungeahnte Möglichkeiten des Scheiterns.


Berliner Fahrgastverband IGEB

13. Apr 2015

Immer mehr Verkehrsunternehmen nutzen Social Media zur Kundenbindung und zur Kundeninformation. Bringt das was, und wie geht es richtig? Foto: Holger Mertens

Am Anfang war das Wort. Die Kommunikation zwischen den Verkehrsunternehmen und ihren Kunden erfolgte früher ausschließlich persönlich – und zwar dort, wo man sich begegnete, also zu dem Zeitpunkt, zu dem die Transportleistung stattfand. Denn zunächst war das Personal vor Ort, zum Beispiel Fahrer, Schaffner, Zugabfertiger oder Fahrkartenverkäufer, für die Kunden erster und einziger Ansprechpartner, wenn es um Informationen oder Beschwerden ging.

Wächst das Verkehrsunternehmen, wachsen auch Strukturen. Professionalisierungen wurden erforderlich. Plötzlich hatte nicht mehr jeder Mitarbeiter Kundenkontakt. Die Rückmeldung des Kunden blieb aber wichtig für das Unternehmen. Es entstanden je nach technischer Möglichkeit andere Formen der Kommunikation, um sich nicht allzuweit voneinander zu entfernen, zum Beispiel öffentliche Büros – Kundenzentren, um die Nähe zum Kunden wieder zu gewinnen.

Foto und Grafik: Holger Mertens

Der Brief als direktes Medium, das strukturbedingte Entfernungen vom Kunden zu den Unternehmensentscheidern überwindet, ist das älteste. Hinzu kam das Telefon und mit der Digitalisierug dann die E-Mail. All diese Mittel werden genutzt und gebraucht, um den störanfälligen Weg vom Kunden über den Fahrer, seinen Schichtleiter, dessen Vorgesetzten und Abteilungsleiter hin zur Unternehmensführung abzukürzen – und damit erst möglich zu machen.

Dies alles ist nötig, um den Stille-Post-Weg durch die Strukturen des Unternehmens zu überwinden, damit überhaupt noch Informationen durchdringen. Das ist der Zweck,

ANZEIGE

weswegen man Postanschriften hat, Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Und weil das so viele Möglichkeiten sind, begann man auch hier Strukturen aufzubauen. Es wurden Call-Center eingerichtet, Kundendienstmitarbeiter fingen Briefe und E-Mails ab, um sie zu beantworten oder strukturiert weiterzugeben.

Doch halt, ist jetzt nicht wieder die gleiche Barriere entstanden, die man mit den neuen Kommunikationswegen eigentlich überwinden wollte? Ein klassisches Dilemma. Doch mit Social Media wird alles anders!

Neues Zeitalter der Kommunikation

Mit Social Media werden Internetplattformen bezeichnet, auf denen die Nutzer untereinander Informationen austauschen können. Das würde eigentlich sogar jedes Internetforum mit einschließen. Jedoch kommen hier die Komponenten „Sozial“ und „Netzwerk“ hinzu, was nur bedeutet, dass sich Nutzer untereinander bekanntmachen. Das soziale Netzwerk bildet also im Gegensatz zum klassischen Internetforum soziale Beziehungen der Nutzer untereinander ab, ist ein digitaler Freundes- oder Bekanntenkreis. Es ist damit dichter an der Realität, in der Menschen andere Menschen kennen, mit ihnen verwandt, bekannt oder befreundet sind. Somit können Benutzer für sie relevante Informationen mit kleineren, ihnen verbundenen Gruppen austauschen.

Diese Tatsache macht soziale Medien interessant für Werbetreibende. Wenn man es schafft, sich als Unternehmen in den Bekanntenkreis einer Person einzuschmuggeln, ist man plötzlich nicht mehr ein anonymes Unternehmen, sondern für den Kunden ein Bekannter, oder besser noch, ein Freund. Somit stecken viele Unternehmen sehr viel Geld und Mühe in ihre Präsenz in den sozialen Netzwerken mit dem einzigen Ziel, dadurch mehr zu verkaufen.

Doch was wollen öffentliche Verkehrsunternehmen in sozialen Netzwerken? Verkehrsunternehmen in Deutschland verkaufen schließlich keine Waren oder Dienstleistungen im klassischen Sinn. Sie gehören zur Grundversorgung und stehen zumindest beim Endkunden nicht in Konkurrenz zu anderen ÖPNV-Unternehmen, allerdings zu anderen Mobilitätsarten wie dem Auto, dem Fahrrad oder dem Zu-Fuß-Gehen. Dennoch: Welches Ziel, welchen Zweck verfolgt man dort mit dem Engagement bei Social Media?

Nun, zum einen kann man da ganz klassische Fahrgastinformation bieten. Die Nutzergruppen formieren sich anhand ihrer Interessen selbst und verfolgen somit nur die Informationen, die sie interessieren. Bietet man Störungsmeldungen beispielsweise für eine U-Bahn-Linie an, gelangen diese Informationen direkt zu den Interessenten.

Zum anderen kann man die Unternehmenstruktur überwinden und wieder direkt mit dem Fahrgast in Dialog treten und eine Kundenbeziehung aufbauen.

Neue Chancen, neue Gefahren

Doch Vorsicht! Im Gegensatz zur linearen Kommunikation von Mensch zu Mensch über Brief, Telefon, E-Mail oder im persönlichen Kontakt tritt man hier nie mit nur einer einzigen Person in Kontakt, sondern immer mit einem gesamten Netzwerk. Es ist öffentlich, jeder hat so und so viele Bekannte, von denen wiederum jeder weitere Bekannte hat und so weiter. Daher ist Kommunikation in Sozialen Netzwerken wie Schneebälle werfen auf einem Berg bei Neuschnee. Einerseit kann man mit diesem Schneeballsystem sehr viele Menschen erreichen, doch wenn man sich nur ein wenig verrechnet, schlägt die Lawine schnell die falsche Richtung ein und begräbt das eigene Dorf unter den Schnee- (Sturm-)Massen.

Kommunikation in sozialen Medien will also gekonnt sein. Bin ich in der herkömmlichen Kommunikation, also persönlich, per Brief, Telefon oder E-Mail, zu einem Kunden patzig, dann habe ich eine Person verärgert, die das vielleicht in ihrem direkten Bekanntenkreis weitergibt. Das ist träge und der Schaden ist vergleichsweise überschaubar, denn die Zeit arbeitet da für einen und der Ärger kann sich noch rechtzeitig abkühlen. Mache ich das aber in einem sozialen Netzwerk, kann sich das innerhalb von Sekunden wie ein Lauffeuer verbreiten und Gegenreaktionen von tausenden verursachen.

Social Media,
auch „soziale Medien“, sind Internetseiten oder Programme, bei denen Nutzer sich anmelden und Informationen austauschen. Im engeren Sinn sind sie dabei ähnlich wie im richtigen Leben mit einem Freundes- und Bekanntenkreis verbunden. Bekannte Plattformen sind Twitter, Facebook, Youtube und viele weitere.

#Hashtag,
ein Begriff, der mit dem Doppelkreuz-Zeichen # (auch Raute genannt) eingeleitet wird. Nutzer können mit diesen Schlüsselworten Beiträge zu einem bestimmten Thema markieren. Damit sind diese dann für die Allgemeinheit leichter auffindbar. Hashtags werden nicht kontrolliert und können von jedem vergeben werden.

Shitstorm,
ein Sturm der Entrüstung als Reaktion auf ein Ereignis. Dabei gehen in kürzester Zeit sehr viele negative Beiträge ein, die sich zum Teil von der Sache lösen und häufig beleidigend sind.

Tweet,
der, Substantiv. Ein Tweet ist ein Beitrag im Sozialen Netzwerk Twitter. Dort sind als Besonderheit sämtliche Beiträge auf 140 Zeichen begrenzt. Wer solche Beiträge verfasst, der „twittert”.

Like, etwas liken,
Verb. Stammt aus dem sozialen Netzwerk Facebook, bei dem der Klick auf die „gefällt mir“-Schaltfläche das Gefallen eines Beitrags ausdrückt. In der englischen Version steht „like“ auf diesem Button. Dies kann man auch mit „gefällt mir nicht mehr“ wieder zurückziehen, was man dann dislike nennt.

Social-Media-Profis, die ihre teuren, perfekten Produkte feilbieten, wissen das gut zu nutzen. Was macht aber das ÖPNV-Unternehmen? Dessen Dienstleistungen sind selten perfekt. Und damit sind sie nach dem Wetter das Top-Gesprächsthema im Alltag bei der Kaffeepause, beim Frisör oder im Aufzug. „Ganz schön stürmisch draußen und dann ist auch noch meine Bahn zu spät gekommen.“ Man ist also bereits in aller Munde, hat jedoch das Problem, dass man nicht Anbieter eines tollen neuen Mobiltelefons ist, das jeder haben will, sondern von etwas, das schon jeder hat und mit dem jeder so seine persönlichen Probleme hat. Merke: „Bist du Petrus oder der ÖPNV, mache nicht die gleiche Werbung wie Apple!“

Was will ich also als öffentliches Verkehrsunternehmen in sozialen Netzwerken? Etwas verkaufen oder bekannt machen? Nein! Naja, vielleicht eine Jahreskarte. Aber eigentlich bin ich da, um den verlorengegangenen direkten Kontakt zum Kunden zu suchen, ihn zu informieren und Rückmeldungen von ihm zu erhalten, was ich besser machen kann – also im Grunde genau das Gleiche, wie auf allen anderen klassischen Kanälen. Um das in den sozialen Medien aber auch nur ansatzweise akzeptabel hinzubekommen, ohne mit einem Tritt ins Fettnäpfchen gleich den geballten Sturm der Entrüstung herauf zu beschwören, muss ich das erst bei den einfachen klassischen, linearen Kommunikationsmitteln mindestens gut bis sehr gut beherrschen.

Stoße ich meinen eigenen Kunden bei Beschwerden per E-Mail, Telefon oder im direkten Kontakt regelmäßig vor den Kopf und mache ihm deutlich, dass mich sein Problem nicht interessiert, ich ihn mit einer Textbaustein-Antwort verhöhne und so weitermache wie bisher, wird mir diese Haltung in den sozialen Netzwerken schnell und zurecht auf die Füße fallen. Hier hilft nur noch ein offener und ehrlicher Umgang mit dem Kunden und mit seinen und meinen Problemen. Einfach nur so zu tun, als sei alles super, hipp und cool, funktioniert da nicht. (hm)

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 2/2015 (April/Mai 2015), Seite 4-5