Titelthema Social Media im ÖPNV
Es ist gegen Mittag, also keine Hauptverkehrszeit. Seit zwei Minuten blinken die Anzeigetafeln an der Bahnsteigkante, aber der so angekündigte Zug kommt nicht. Als erfahrener BVG-Nutzer wundert man sich darüber nicht mehr. Auch nicht darüber, dass die BVG offenbar nicht einmal bei der U-Bahn verlässlich feststellen kann, wo sich ihre Fahrzeuge gerade befinden. Und dass das Ortungs- und Anzeigesystem unfähig ist, zu erkennen, ob ein Zug noch in der Kehranlage steht oder schon zweihundert Meter weiter in der Bahnsteighalle.
13. Apr 2015
Immerhin: Andere wertvolle Informationen werden einem durch die Anzeigetafeln vermittelt. Mal werden Azubis gesucht, dann ist immer mal wieder Girl´s Day, und in gefühlt achtzig Prozent der Zeit wird daran erinnert, dass das Rauchen in den Zügen und im … Da, jetzt hat es aufgehört zu blinken! Denn es ist ja nicht so, dass sich an dem seit anderthalb Jahrzehnten eher mangelhaft funktionierenden System nicht doch noch etwas ändern ließe. Erst seit relativ kurzer Zeit erscheint im Bedarfsfall die Auskunft, die nun zu lesen ist: „Zugverspätung. Bitte Geduld.“
„Klar: BVG = Bitte viel Geduld!“, könnte der versierte Hauptstädter denken. Und darüber sinnieren, wofür die BVG so alles mal Geld ausgeben sollte. Die BVG aber denkt sich, sie sollte dringend mal Geld für eine bessere Kommunikation mit ihren Kunden ausgeben. Womit nicht solche Nebensächlichkeiten wie exakt funktionierende elektronische Anzeigesysteme oder Personal auf den Bahnhöfen gemeint sind, sondern eine schöne Imagekampagne.
„#weilwirdichlieben“ heißt diese und startete im Januar. Wer im Internet nach dem titelgebenden Hashtag (wie das neudeutsch heißt) suche, so erklärt die Februarausgabe des Kundenmagazins „BVG plus“, stoße „sogleich auf die neuen Dialog-Kanäle der BVG“. Zu den Gründen für deren Eröffnung und die damit verbundene Reklame erläutert BVG-Sprecherin Petra Reetz im selben Artikel: „Seit vielen Jahrzehnten besteht zwischen der BVG und den Fahrgästen eine enge Beziehung. Und da haben sich mittlerweile viel Alltag und Routine eingeschlichen. Wir waren der Meinung, dass eine Liebe ab und an neu entfacht werden muss.“
Dabei betrachtet die BVG ihre Kunden offensichtlich als emotional leicht behindert,
denn, so Frau Reetz, nach 86 Jahren Beziehungskiste zwischen dem Verkehrsbetrieb und den Berlinern „ist es klar, dass der eine oder andere Liebgewonnene mit so viel Herz erst einmal nicht umgehen kann. Denn klar ist: Zur Liebe gehören immer auch zwei … “
Die BVG will also nicht nur einfach geliebt, sondern auch zurückgeliebt werden. Und sie möchte das ab sofort gesagt bekommen, via Facebook, You-Tube, Instagram und vor allem Twitter.
Angesichts der seelischen (und womöglich auch geistigen) Verfassung, auf die dieses Verlangen schließen lässt, ist es natürlich sehr lobenswert, dass die BVG einige zehn- oder hunderttausend Euro in die heimische Reklamewirtschaft steckt, statt sich einfach zwanzigtausend Facebook-Freunde in Vietnam zu kaufen.
Auch fährt sie nicht etwa, weil der Senat sie damit beauftragt und ihr dafür einen dicken Batzen Geld gibt, sondern aus lauter Liebe zu Berlin, den Berlinern und ihren Besuchern. Und es ist ja auch nicht so, dass die BVG ihre Kunden immer wieder spüren ließe, dass sie ganz genau weiß: Viele von denen müssen sowieso mit ihr fahren, denen bleibt in der Hartz-IV-Hauptstadt Berlin gar nichts anderes übrig. Nein, so ist das wirklich nicht.
Deshalb soll das so nachdrücklich vorgetragene Liebesbedürfnis der BVG nicht unbeantwortet bleiben: Klaro, BVG, wir lieben Dich!
Wir lieben Dich, wenn Du uns – zum Beispiel auf der U 1 oder der U 3 – in zu kurze und deshalb überfüllte Züge quetschst. Und wenn Du dieses Problem offenbar zementieren möchtest, indem Du weitere vierteilige Garnituren anschaffst, so dass sich die Frage nach Sechs-Wagen-Zügen gar nicht mehr stellt.
Wir lieben Dich, wenn Du uns den Ausblick aus Deinen Fahrzeugen versperrst, indem Du die Fenster zuklebst – entweder mit Reklame oder dem Brandenburger Tor, und in letzterem Falle uns dann noch erzählst, das wäre doch ganz toll, von wegen lokale Identität und so.
Wir lieben Dich, wenn Du dafür Geld ausgibst, dass wir in der U-Bahn statt gleichförmiger, dafür aber nicht nervtötender Stationsansagen das Gequassel von irgendwelchen ohnehin medial dauerpräsenten Prominenten hören dürfen.
Wir lieben Dich, wenn Du, wie am Rathaus Steglitz, für den Neubau eines wichtigen U-Bahn-Eingangs weit mehr als ein Jahr brauchst. Und, kaum ist der eine Zugang fertiggestellt, beim nächsten das gleiche Theater beginnst.
Wir lieben Dich, wenn Du Dich vom Senat zu der Behauptung verpflichten lässt, Du und irgendwelche anderen Leuten wollten „die Spiele“, dafür Bahnsteige und Gänge vollkleben lässt und womöglich allen Ernstes erwartest, dort würden Menschen dann wie befohlen beginnen, Kniebeugen zu machen.
Wir lieben Dich, wenn Du nach Jahrzehnten mal wieder Doppeldecker mit nur einer Treppe anschaffen möchtest, was bei den bekanntermaßen ständig überaus freundlichen und zuvorkommenden Berlinern schnell zu vielen intensiven und, äh, „eindrücklichen“ Begegnungen führen, zumindest aber die Kommunikation unter ihnen deutlich fördern dürfte.
Wir lieben Dich aber auch, weil Du überhaupt mal wieder an die Erhöhung des Doppeldecker-Anteils denkst, statt weiter einen Großteil Deiner Fahrgäste mit Gelenkbussen zu beglücken, die nicht umsonst den Spitznamen „Schlenkis“ tragen und in deren Anhängern man schön durchgeschaukelt wird – wenn man sie nach einem längeren Fußmarsch durch das Fahrzeug erreicht hat.
Ja, wir lieben Dich, weil Du uns so schön im Gänsemarsch am Busfahrer vorbeitreibst, den Medien erzählend, andernfalls gäbe es noch mehr Schwarzfahrer; als wenn Du nicht genau wüsstest, dass insbesondere an stark frequentierten Haltestellen längst alle Türen zum Einstieg benutzt werden, geduldet von den Buslenkern, die nicht noch mehr Verspätung einfahren wollen.
Wir lieben Dich beim Gedanken an die nächste Preiserhöhung, pardon: „Tarifanpassung“, die im Laufe dieses Jahres beschlossen werden dürfte, trotz allgemeinen Rückgangs der Verbraucherpreise und insbesondere der Strom- und Treibstoffkosten, und wir sind schon sehr gespannt darauf, was diesmal als Begründung wird herhalten müssen.
Ach, die Liste ließe sich schier endlos verlängern. Aber wenn wir ehrlich sind, liebe BVG, dann musst Du jetzt ganz stark sein: Die meisten Berliner, die wollen Dich gar nicht lieben. Denen ist es vermutlich auch vollkommen egal, ob die Bahn oder der Bus nun von Dir betrieben wird oder von irgendeinem anderen Unternehmen. Die wollen bloß fahren.
Jan Gympel
aus SIGNAL 2/2015 (April/Mai 2015), Seite 7