Neue Fahrzeuge der BVG
Die Überraschung war gelungen. Eigentlich hatte die BVG die Berliner Fachpresse zur Präsentation eines bereits seit drei Jahren im Fahrgasteinsatz befindlichen und bekannten Eindecker-Busmodells des niederländischen Herstellers VDL („van der Leegte Groep“) in ihren Busbetriebshof Indira-Gandhi-Straße geladen. Die Einladung versprach wenig Neuigkeitswert. Aber dann stand neben dem angekündigten VDL-Eindecker auch das erste Prototyp-Fahrzeug eines neuen Doppeldeckers vom schwedischen Hersteller Scania, der das Hauptinteresse der Journalisten weckte.
13. Apr 2015
Die BVG hat erkannt, dass die Busflotte mit Fahrzeugen großen Fassungsvermögens erweitert werden muss, um die stetig wachsenden Fahrgastzahlen zu bewältigen. So will sie eine neue Generation Doppeldecker kaufen, die (erst einmal) keinen anderen Bustyp ablösen, sondern der Erweiterung des Fuhrparks dienen sollen.
Schon auf dem IGEB-Fahrgastsprechtag Omnibus im September 2014 gab die BVG bekannt, dass sie mit zwei Doppeldeckerherstellern in Kontakt steht, um Probefahrzeuge zu erhalten und diese vor einer Serienbestellung von den Fahrgästen und den Technikern im Alltagsbetrieb auf Herz und Nieren zu prüfen.
Nun war also der Prototyp von Scania, gefertigt im finnischen Lahti, am 30. Januar in Berlin fahrfertig. In London und Singapur fahren ähnliche Fahrzeuge bereits,
für die BVG ist dieses Modell nun angepasst worden. Das Design erinnert tatsächlich an moderne englische Doppeldecker. Ein weiterer Testwagen vom neuen Typ „Citea DLF“ des konkurrierenden Herstellers VDL soll im Sommer präsentiert werden. Er soll in Leichtbauweise konstruiert und 11,40 Meter lang sein und zwei Treppen besitzen.
Die BVG verspricht sich von dem nur 11 Meter kurzen Fahrzeug im Vergleich zu den heute üblichen NEOMAN A 39 (13,70 Meter lang mit 3 Achsen und 3 Türen, 128 Fahrgäste, davon 83 Sitzplätze) eine bessere Manövrierfähigkeit in Kurven und an zugeparkten Haltestellen sowie eine Reduzierung der Betriebskosten. Damit genügen auch zwei anstatt drei Achsen, und es gibt nur eine Treppe zum Oberdeck, um noch auf eine angemessene Sitzplatzanzahl zu kommen.
Nach ausführlicher Begutachtung im Stehen drehte der Wagen dann eine Runde über den Betriebshof, die vom Fahrverhalten angenehm in Erinnerung blieb.
Wie neuerdings bei der BVG üblich, gibt es zwischen der ersten und zweiten Tür leider kaum Sitzplätze. Lediglich zwei feste Sitze, diese auch noch entgegen der Fahrtrichtung, befinden sich dort, zusätzlich zu fünf Klappsitzen im Mehrzweck-/Rollstuhlabteil. Erst im hinteren Teil des Wagens erreicht der Fahrgast 17 weitere feste Sitze, wovon aber vier (auf den hinteren Radkästen) nur eingeschränkten Bein- und Kopfraum bieten – Personen über 1,75 Meter Körpergröße werden sich dort nicht wohlfühlen.
Hier zeigt sich wie bei den anderen neubeschafften Busmodellen deutlich die Krux, die eine konsequente Anwendung der Behindertengerechtigkeit mit sich bringt. Rollstuhlfahrer haben ihren (berechtigten) Stellplatz, aber die vielen „Omas Ilse“ ohne Behindertenausweis, die zwar noch einigermaßen laufen können, aber doch schon recht unsicher auf den Beinen sind, müssen nach dem Zwangseinstieg durch die Vordertür erst durch den ganzen Bus nach hinten wackeln, um die Chance auf einen freien Sitzplätze zu erhalten. Die raren vorderen (Klapp-)Sitze sind erfahrungsgemäß immer als erste belegt. Und diese sitzplatzaffine Fahrgast-Gruppe, die hier flapsig „Oma Ilse“ genannt wird, wird immer größer, wobei sie natürlich auch Opas, Schwangere oder sonstwie müde Fahrgäste umfasst.
Das Problem könnte die BVG ganz einfach lösen, indem sie endlich auf den unsinnigen Zwang zum Vorneeinstieg verzichtet. So könnte „Oma Ilse“ an der Mitteltür einsteigen und ihren Sitzplatz einnehmen, bevor der Bus anfährt.
Das Entree bei der Vordertür gestaltet sich hinter dem Fahrer mit seinem Zahltisch schlauchartig. Der gern genutzte Behinderten-Sitzplatz direkt neben der Vordertür auf dem Radkasten ist entfallen. Eingezwängt zwischen der Treppe und dem rechten Radkasten mit aufgesetztem Tank und darüber einer heruntergezogenen Decke kann der Fahrgast nun an einem kleinen Monitor die Zahl der freien Sitzplätze im Oberdeck ablesen. Diese Zählung wird über eine Lichtschranke an der Treppe gesteuert. Von hier kann der Fahrgast den hinteren unteren Fahrgastraum überblicken und sich entscheiden, ob er die Treppe zum Oberdeck nimmt oder unten bleibt.
Die Treppe ist in Fahrtrichtung angeordnet, bei einem plötzlichen Bremsmanöver fällt der Fahrgast also nicht in die Tiefe, sondern auf die höheren Stufen. Das Verletzungsrisiko ist so geringer als bei der bisherigen Anordnung der Vordertreppe im MAN-Wagen.
Die relativ breite Treppe mit ihren blau beleuchteten Stufen geht geradlinig nach oben. Auf ihr können sich auch zwei schlanke Personen begegnen – mit Jackenberührung. Oben erwarten den Fahrgast 45 Sitzplätze mit bester Aussicht. Die Treppe nimmt durch ihre Geradlinigkeit allerdings die Fläche für einen weiteren Doppelsitz in Anspruch. In der ersten Reihe können vier Personen Platz nehmen.
An jedem Doppelsitz befinden sich im Kopfbereich zwei USB-Anschlüsse zum Aufladen von Smartphones. Im Oberdeck gibt es eine Heckscheibe, im Unterdeck ist durch die Anordnung des Motors kein Blick nach hinten möglich.
Das Oberdeck wirkt luftig und aufgeräumt, keine unförmigen „Geschränke“ behindern den Blick, nur unter wenigen Sitzen ist der Fußboden einige Zentimeter angehoben für den Türantrieb oder die Außenanzeige. Jedes zweite Fenster ist bei Bedarf aufklappbar, bei funktionierender Klimaanlage aber verschlossen. Der vordere Dachbereich über den ersten zwei Sitzreihen ist verglast.
Über der Treppe schweben im 45-Grad-Winkel zwei Stretch-Monitore für die Fahrgastinformation. Über deren Informationsgehalt ließ sich bei der Vorführung natürlich noch kein Urteil bilden. Etwas unglücklich ist nur, dass von den acht vordersten Sitzplätzen diese Anzeige nur durch Rückwärtsgucken ins Blickfeld gerät.
Dafür ist direkt über der Frontscheibe eine kleine LED-Anzeige angebracht, die abwechselnd über die Innen- und Außentemperatur, die aktuelle Fahrgeschwindigkeit (!) und die Anmeldung des Aussteigewunsches Auskunft gibt. Eine nette Spielerei, die man aber auf die permanente „Stop“ oder „nicht Stop“-Anzeige reduzieren könnte.
Im Unterdeck ist die Fahrgastinfo-Anzeige per Stretch-Monitor ebenfalls etwas unglücklich platziert. Es gibt nur eine Anzeige an der Fahrzeugseitenwand im unteren Bereich der Treppe. Diese ist eigentlich nur aus dem Mehrzweckbereich zu lesen. Die Fahrgäste auf den hinteren Sitzplätzen werden nicht viel erkennen können. Dafür müsste eine andere Lösung gefunden werden.
Die mittlere Tür wird vom Fahrer per Spiegel überwacht und kann durch ihn „zwangsgeschlossen“ werden. Die bisher häufig nötigen flehentlichen Durchsagen „Bitte den Türraum freimachen“ sind damit nicht mehr nötig.
Die an der Front oben angebrachten Metallbügel sind keine Haltegriffe für „Extremsurfer“, sondern „Astabweiser“ für Straßenbäume. Der Verzicht auf die Scheibenwischer an der oberen Frontscheibe wird von manchen Fahrgästen sicherlich bedauert werden.
Gespannt dürfen wir auf die Funktionsweise und Effektivität der Klimaanlage sein. Im bisherigen MAN-Doppeldecker war die „Klimaanlage“ zunächst als solche angekündigt worden, entpuppte sich dann aber als funktionsgeminderte Ausführung. Vor allem im Oberdeck gibt es häufig sehr abgestandene Luft und bei feuchter Witterung auch eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit im Fahrgastraum, die vorzugsweise an der Frontscheibe kondensiert und sie damit undurchsichtig macht. Hoffen wir, dass die im Scania eingebaute Lüftung/Klimaanlage besser funktioniert.
Die Innenausstattung des Testwagens entspricht nicht genau den Vorgaben des Bestellers BVG, so kann es z. B. an der Sitz-Polsterung noch Änderungen geben.
Der Testwagen wird im Busbetriebshof Spandau stationiert und von dort für 12 Monate in den Fahrgasteinsatz gehen, beispielsweise auf den Linien M 37 und X 34.
Dass sich die BVG auch weiterhin zum stadtbildprägenden Doppeldecker bekennt, ist sehr löblich. Doppeldecker sind bei Berlinern wie bei Touristen sehr beliebt, einerseits wegen des großen Fahrterlebnisses von erhöhter Position, andererseits wegen des hohen Sitzplatzangebots in Fahrtrichtung. Erfahrungsgemäß findet man im Oberdeck meist mindestens noch einen Sitzplatz, auch bei hoher Auslastung.
Durch den Verzicht auf knapp zwei Meter Wagenlänge geht viel Platz für Fahrgastkomfort verloren, vor allem im Unterdeck. Ob die bessere Manövrierfähigkeit tatsächlich einen merkbaren Gewinn für das „lückenfreie Anlegen“ an der Bordsteinkante ermöglicht, bleibt abzuwarten.
Das Unterdeck wirkt etwas verbaut durch „Geschränke“ im Fahrgastraum, und der Standort des Fahrgast-Infomonitors ist noch zu optimieren. Die nur eine Treppe zum Oberdeck als Folge der kurzen Wagenlänge scheint vertretbar. Hundert Jahre lang, bis Ende der 1980er Jahre, waren in West-Berlin Doppeldecker mit nur einer Treppe üblich. Erst danach setzten sich zwei Treppen durch. Ob künftig chaotische Zustände durch eine verstopfte Treppe auftreten werden, wird erst der harte Fahrgasteinsatz zeigen. Die Erfahrung mit der vorzugsweise praktizierten Nutzung der Vordertreppe im MAN-Wagen stimmt positiv.
Bedauerlich ist der Fortfall aller Sitzplätze in direkter Nähe des Vordereinstiegs. Gehbehinderte ohne Rollstuhl haben so einen langen Weg durch den schwankenden Bus in den hinteren Teil zu den Sitzplätzen zurückzulegen. Das ist sehr unbequem und unfallträchtig. Durch den Verzicht auf den BVG-Vorneeinstiegszwang ließe sich dieser Mangel ohne Geldeinsatz lösen. Aber das wäre für die BVG wohl zu einfach. Gutachten, die die BVG anführt, die angeblich schnellere Fahrgastwechselzeiten durch den Vorneeinstieg bescheinigen, müssen aus eigenen Beobachtungen in Zweifel gezogen werden.
Wir sind gespannt auf den Testeinsatz im Fahrgastverkehr – und auf das angekündigte zweite Fahrzeug vom Hersteller VDL.
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 2/2015 (April/Mai 2015), Seite 14-17