Fernverkehr
Immer weniger Bahnangebote im Nachtverkehr
13. Apr 2015
Das Nachtreisezugangebot befindet sich derzeit in einer existenzgefährdenden Abwärtsspirale. So verkehrten die Nachtzug- Verbindungen Kopenhagen—Amsterdam/Basel/Prag in der Nacht vom 2. auf den 3. November 2014 das letzte Mal. Vorausgegangen war der Beschluss Dänemarks, die Bezuschussung für dieses Angebot Ende 2014 einzustellen.
Zum Fahrplanwechsel am 14. Dezember 2014 ereilte auch die Nachtzug-Verbindungen Hamburg/Berlin/München—Paris dieses Schicksal. Begründung: Die Gesamtkosten pro Zugkilometer für den Betrieb liegen in Frankreich um 70 Prozent über dem Niveau in Deutschland.
Des Weiteren erfolgte ebenfalls im Rahmen des letzten Fahrplanwechsels eine Verkürzung des Laufwegs der Nachtzug Verbindung Warschau/Prag—Amsterdam;
diese beginnt bzw. endet nunmehr in Oberhausen. Als Grund wurden seitens der Deutschen Bahn zusätzliche Kosten für den Einsatz einer ETCS-fähigen Lok angeführt.
Alle diese Maßnahmen stehen in krassem Gegensatz zur Zielsetzung eines zusammenwachsenden Europas. Der Abbau der Bahnverbindungen bewirkt vielmehr eine Spaltung.
Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2014 werden seitens der Deutschen Bahn nur noch folgende Verbindungen angeboten:
Die aus den anfangs genannten Angebotsreduzierungen frei gewordenen Wagen ersetzen insgesamt 34 seit 1. Januar 2015 abgestellte Doppelstockschlafwagen bzw. erhöhen (vorerst) die Fahrzeugverfügbarkeit auf dem verbliebenen Rumpfnetz. Die Sanierung bzw. Modernisierung der Doppelstockschlafwagen wurde somit zwar eingespart; dies zeigt jedoch bereits eines der Hauptprobleme des Nachtreisezugverkehrs: Die Fahrzeugflotte ist überaltert mit der Folge von Qualitätsdefiziten und steigenden Instandhaltungskosten.
Bereits für das Jahr 2017 ist die nächste Stilllegungswelle absehbar, wenn aus Altersgründen insgesamt 20 Wagen mit Schlafsesseln abgestellt werden müssen. Somit machen fehlende Investitionen in moderne, zeitgemäße Fahrzeuge den Nachtzugverkehr zum Auslaufbetrieb, sollte es keine Korrekturen geben! Bereits seit Jahren führten die Sparmaßnahmen im Nachtzugsegment auch zu einem empfindlichen Serviceabbau, so z. B. durch das Streichen der Speisewagen.
Die Wettbewerbsintensität hat in den letzten Jahren durch Billigflüge und den auch auf Nachtverbindungen expandierenden Fernbusverkehr erheblich zugenommen. Massiv begünstigt wird diese Entwicklung u. a. durch die seitens der Politik unverständliche Duldung der unterschiedlichen steuerlichen Belastung der einzelnen Verkehrsträger.
So beinhaltet in Deutschland der Preis für ein internationales Nachtzugticket den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent und belegt damit einen der Spitzenplätze in Europa. Ein Flugreisender beispielsweise in der Relation Berlin—Paris zahlt dagegen keinerlei Mehrwertsteuer für sein Ticket. Die Fluggesellschaften zahlen für den Treibstoff zudem auch keine Kerosinsteuer.
Für den Schienenverkehr wurde dagegen z. B. die EEG-Umlage zum 1. Januar 2015 noch deutlich angehoben. Die Mautbefreiung für Fernbusse sorgt ebenfalls für erhebliche Wettbewerbsnachteile zu Lasten der Schiene und ist damit ein zweifelhaftes „Förderprogramm“ für die straßenorientierte Verkehrspolitik der CDU-/CSU-/SPD-Koalition. Zum Vergleich: Eine einzige Nachtzugfahrt von Kopenhagen nach Basel verursacht rund 4500 Euro Trassenentgelt, zu zahlen vom Verkehrsunternehmen.
Nicht zuletzt benachteiligen nicht harmonisierte Fahrgastrechte den Verkehrsträger Schiene.
Teilweise wird das Potenzial der Nachtreisezüge
inzwischen sicherlich durch den Hochgeschwindigkeitsverkehr,
beispielsweise in
Form von ICE-Tagesrandverbindungen, abgedeckt.
Dies gilt u. a. auch für internationale
Relationen ab/bis Paris oder Amsterdam.
Dennoch wird damit den Bedürfnissen der
Reisenden nur teilweise entsprochen, wie
folgendes Beispiel für die derzeit früheste
Tagesverbindung Berlin—Paris zeigt:
Berlin Hbf ab 04.32 Uhr
Mannheim Hbf an 09.27 Uhr
Mannheim Hbf ab 09.47 Uhr
Paris Est an 12.50 Uhr
Die Nachteile einer derartigen Verbindung: Eine trotz Nutzung von ICE und TGV lange Fahrzeit mit später Ankunft am Zielort, verbunden mit Umsteigezwang, einem unsicheren Anschluss in Mannheim und frühem Aufstehen – u. a. für Familien eine kaum akzeptable Verbindung!
Auf Relationen von rund 1000 km schließt der Nachtzug damit eine wichtige Angebotslücke im Schienenverkehr, da im Gegensatz zu den Wettbewerbern der besondere Vorteil besteht, bei hohem Komfort die Reisezeit als Schlafenszeit zu nutzen bzw. gleichzeitig teure Hotelkosten zu sparen. Für eine Nachtzugverbindung Berlin—Paris gibt es also trotz Hochgeschwindigkeitszügen unverändert Bedarf!
Wie Ulrich Homburg, DB-Vorstand Personenverkehr, im Rahmen der Sitzung des Verkehrsausschusses im Bundestag am 14. Januar 2015 auch zugegeben hat, ist die Nachfrage bei den Nachtzügen stabil bzw. sind diese Züge gut gebucht.
Wenig überraschend ist in diesem Zusammenhang auch das Ergebnis einer DB-Umfrage vom April 2014 unter Nachtzugfahrgästen: Nur 25 Prozent der Nachtzugreisenden würden den Hochgeschwindigkeitsverkehr zum Beispiel in Form einer ICE-Tagesrandverbindung als Alternative nutzen, allein rund 33 Prozent aber das Flugzeug, weitere Kunden Fernbus und Pkw. Bahnkunden werden bei Einstellung des Nachtzugverkehrs somit in großem Stil vertrieben, und zwar direkt in die Arme der Konkurrenz!
Mit einem zeitgemäßen, modernen Angebot und Nutzung auch der Schnellfahrstrecken ließe sich der Radius des Nachtzugverkehrs sogar auf Relationen von rund 2000 km bei attraktiven Fahrzeiten deutlich erweitern. Dringend wird daher ein europäisches Nachtzug-Konzept benötigt, das eine Vorwärtsstrategie beinhaltet und dabei auch anstehende Finanzierungsfragen der Fahrzeuge berücksichtigt. So fehlen für Bahnkunden derzeit, abgesehen von den anfangs genannten Verbindungen, weitere verkehrlich wichtige Relationen wie z. B. Berlin—London, Berlin—Rom, Stockholm—Hamburg—Köln, Oslo—Hamburg—Köln oder Amsterdam—Rom.
Seitens der Deutschen Bahn wurde angekündigt, ab 2016 ein „zukunftsfähiges Nachtzug-Konzept“ auf verkleinerter Umsatz- und Kostenbasis zu etablieren. Angesichts einer solchen Ankündigung muss schon jetzt bezweifelt werden, dass diese Chance genutzt wird, in attraktiver Weise notwendige grenzüberschreitende europäische Verbindungen (zum Teil erst einmal wieder) herzustellen. Der konzeptionelle Ansatz des Gesundschrumpfens dürfte vielmehr weiter in die Sackgasse führen.
Zweifel an der Ernsthaftigkeit werden nicht zuletzt dadurch genährt, dass der Nachtreisezugverkehr bewusst schlecht gerechnet wurde. Nach offiziellen Angaben nutzten 2013 insgesamt 1,4 Mio. Fahrgäste das Nachtzugangebot. Unterschlagen wurden dabei 1,2 Mio. Fahrgäste, die die Sitzwagen dieser Züge als Pendler in Teilabschnitten nutzten.
Auch die Vertriebswege der europäischen Bahnen müssen für den internationalen Verkehr verbessert werden. So konnten in der Vergangenheit oft keine Plätze in Nachtzügen mehr gebucht werden, obwohl diese verfügbar waren.
Dieser Missstand hat seine Ursache letztlich in der mangelhaften Zusammenarbeit der Bahnunternehmen. So stellt die Deutsche Bahn bei grenzüberschreitenden Verbindungen den Partnerbahnen bestimmte Kontingente zur Verfügung, die dann bei der DB zur Buchung gesperrt sind. In der Praxis wurden nicht verkaufte Kontingente aber entweder zu spät, schlimmstenfalls gar nicht zurückgegeben. Die Folge: In Schlaf- und Liegewagen bleiben Plätze ungenutzt – trotz vorhandener Nachfrage! Ein Skandal, wenn man bedenkt, dass vom Bahnmanagement andererseits die Unwirtschaftlichkeit der Nachtreisezüge und „geringe, stagnierende Einnahmen“ beklagt werden.
Auch wenn der Schienenpersonenfernverkehr in Deutschland auf eigenwirtschaftlicher Basis betrieben werden muss, ist es Pflicht der Politik, verkehrsträgerübergreifend einheitliche und faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Wenn die politischen Rahmenbedingungen für den Nachtzugverkehr nicht geändert werden, dürfte sich der scheibchenweise Rückzug bis hin zur kompletten Einstellung letztlich unaufhaltsam fortsetzen.
Geänderte Rahmenbedingungen sind aber Voraussetzung, wenn derzeit bestehende Qualitätsdefizite abgebaut werden sollen. Die nachfolgend beschriebenen Probleme sind seit vielen Jahren bekannt, geschehen ist auf politischer Ebene dagegen nichts!
Derzeit ist Kerosin in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union steuerfrei – außer in den Niederlanden. Dies stellt jedoch eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Schiene dar und ist angesichts der negativen ökologischen Auswirkungen in Form von Lärm-, Treibhausgas- und Schadstoffemissionen des Luftverkehrs nicht zu rechtfertigen. Auch vor dem Hintergrund der ehrgeizigen Klimaschutzziele muss diese überflüssige Subvention beendet werden.
Eisenbahnverkehrsunternehmen müssen für die Nutzung der Schienenwege kontinuierlich steigende Trassen- und Stationsentgelte zahlen. Im europäischen Vergleich erreichen dabei die deutschen und französischen Trassenpreise für Fernverkehrszüge das höchste Niveau bzw. liegen mehr als doppelt so hoch wie im europäischen Mittel. Der Fernbus kann dagegen die Verkehrswege zumindest in Deutschland uneingeschränkt kostenlos nutzen und darauf seine Leistungen zu Dumpingpreisen anbieten.
Um diesen massiven Wettbewerbsnachteil zu beheben, muss die Lkw-Maut auf Fernbusse ausgeweitet werden. Außerdem müssen die in Deutschland und Frankreich überdurchschnittlich hohen Trassenpreise für den Personenzugverkehr gesenkt werden. In Deutschland bietet hierbei die derzeit laufende Weiterentwicklung des Trassenpreissystems (TPS 2017) die Chance, entsprechende Korrekturen vorzunehmen bzw. wirtschaftlich tragfähige Trassenpreise u. a. auch für den Nachtzugverkehr zu entwickeln.
Der Vergleich der einzelnen EU-Staaten zeigt: Nach Kroatien ist in Deutschland der Mehrwertsteuersatz mit 19 Prozent für grenzüberschreitende Bahnfahrten am höchsten. Internationale Flüge sind dagegen komplett von der Umsatzsteuer befreit. Um den deutlichen Umweltvorteil der Bahn zu nutzen, sollte es politisches Ziel sein, ihren Anteil am gesamten Verkehr zu steigern. Mit der ungleichen Belastung, u. a. auch bezüglich der Umsatzsteuer, wird jedoch genau das Gegenteil erreicht! Eine Harmonisierung der Umsatzsteuersätze ist daher überfällig.
Selbst für eine Hotelübernachtung (denn diese wird durch eine Nachtzugfahrt ja ersetzt) beträgt der Steuersatz lediglich 7 Prozent.
Die Regularien entsprechend VO (EG) 1371/2007 sehen im Schienenverkehr eine Fahrpreis-Erstattung bei einer verspäteten Ankunft ab 60 Minuten in einer Höhe von 25 Prozent vor, ab 120 Minuten sogar von 50 Prozent. Die Fahrgastrechte gemäß VO (EU) 181/2011 für den Fernbusverkehr gelten im Wesentlichen erst bei Reisen ab 250 km. Erstattungsregularien greifen bei einer verspäteten Abfahrt von 120 Minuten, dagegen nicht bei einer Ankunftsverspätung. Damit treffen die aus der Entschädigungspflicht resultierenden Kostenbelastungen einseitig den umweltschonenden Verkehrsträger Schiene.
Zweierlei Maß bei Entschädigungsregelungen darf es aber nicht geben! Auch in diesem Fall besteht somit erheblicher Harmonisierungsbedarf.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV)
IGEB Fernverkehr
aus SIGNAL 2/2015 (April/Mai 2015), Seite 26-27