Aktuell

Riesen-Chaos bei der Bahn

Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert eine Kulanzregelung für alle Berlin-Reisenden und eine sofortige Fahrplanüberarbeitung.


IGEB

1. Jun 1998

Wir hätten uns gern geirrt und unbeschwert gefeiert, aber am ersten Tag nach Wiederinbetriebnahme der Stadtbahn für den Eisenbahn- Fern- und Regionalverkehr trat das ein, was der Berliner Fahrgastverband befürchtet hatte: Die Bahn hat sich mit dem neuen Fahrplan, der ab dem ersten Betriebstag eine extreme Zugdichte vorsah, hoffnungslos übernommen. Schon kleinste Störungen reichen aus, um durch den Dominoeffekt den gesamten Fern- und Regionalverkehr von und nach Berlin zum Zusammenbrechen zu bringen. Betroffen waren am ersten Tag alle Verbindungen, auch diejenigen, die gar nicht über die Stadtbahn führen. Zehntausende Reisende wurden durch verspätete Züge, verpaßte Anschlüsse, kurzfristige ersatzlose Zugstreichungen, schlechte, falsche und unterlassene Informationen verärgert.

Was ist zu tun?

Vier Tage vor dem Fahrplanwechsel schien die Welt noch in Ordnung. Eröffnungszug für geladene Gäste und die Presse am 20. Mai 1998 im Bahnhof Zoologischer Garten. Foto: Marc Heller

  1. Die Bahn muß sich bei allen Reisenden nicht nur pauschal entschuldigen, sondern sie auf dem Kulanzweg ohne Einzelfallprüfung entschädigen. Unser Vorschlag: Alle, die einen Fahrausweis von oder nach Berlin mit Datum 24. Mai 1998 abgeben, bekommen die Hälfte des Fahrpreises erstattet.
  2. Die Bahn muß sofort ihren Fahrplan überarbeiten. Der Berliner Fahrgastverband IGEB hatte frühzeitig vor zu vielen Zügen auf der Stadtbahn gewarnt und den Eindruck gewonnen, daß mit der Vielzahl von Regionalzügen auf der Berliner Stadtbahn von dem unverantwortlichen Regionalverkehrs-Abbestellungen und -Stillegungen im Land Brandenburg abgelenkt werden soll. Dieses Konzept ist nun gescheitert. So schmerzlich es für einzelne Reisende ist, so unvermeidlich ist es, daß die Bahn einige Regionalverkehrsangebote von der Stadtbahn streicht. Einige Fahrgäste müssen dann auf die S-Bahn umsteigen, damit die Mehrheit wieder pünktlich Bahn fahren kann.
  3. Die Bahn muß ihr Krisenmanagement verbessern. Es gibt keine Entschuldigung dafür, daß derartig hilflos und chaotisch auf eine grundsätzlich einzukalkulierende Ausnahmesituation reagiert wird, wie geschehen.

IGEB-Anmerkung:

Der Pressedienst, der hier wiedergegeben ist, stammt vom 24. Mai 1998. Inzwischen hat die DB AG den Forderungen 1 und 2 teilweise entsprochen.

"Normaler" geworden ist die Situation auf der Stadtbahn allerdings in der ersten Woche nach dem Fahrplanwechsel nicht. Zugverspätungen unter 5 Minuten kommen sehr selten vor... meist sind es 30 und mehr. "Pünktlich wie die Eisenbahn" kann im Moment an nie kaum noch überboten werden: jede Eisenbahnfahrt, ob im Nah- oder Fernverkehr, wird derzeit zu einem risikoreichen Unterfangen.

Fernbahnhalle Bahnhof Zoologischer Garten am 24. Mai 1998. Foto: Thomas Billik

Besonders ärgerlich ist das Chaos, weil es absehbar war. In der DB AG gab es kompetente Stimmen, die vor diesem ehrgeizigen Betriebsprogramm warnten. Auf sie wurde nicht gehört. Der maßlose Ehrgeiz Einzelner und sicherlich auch der politische Druck waren größer als Vernunft und Verstand.

Die DB AG hat versprochen, allen, denen durch Zuverspätungen und -ausfälle Mehrkosten für Taxi und ggf. Hotelübernachtungen entstanden sind, diese kulant zu ersetzen. Das ist eine Selbstverständlichkeit! Wichtiger ist es, in Zukunft durch eine realistische Fahrplangestaltung solche peinlichen und vermeidbaren Tage, ja Wochen, auszuschließen.

IGEB

aus SIGNAL 4-05/1998 (Juni 1998), Seite 4