Fernverkehr
Obwohl das Empfangsgebäude von Berlin-Lichtenberg modernisiert wird, wurde dieser Bahnhof zum Fahrplanwechsel am 24. Mai 1998 vom Fernverkehr weitgehend abgehängt. Wenn es nach dem Willen der DB AG-Spitze geht, soll das auch in Zukunft so bleiben, denn in den Planungen zum „Pilzkonzept” ist er nicht enthalten. Daß diese Entscheidung nicht sonderlich weitsichtig ist, zeigte sich schon am Tage des letzten Fahrplanwechsels. Langwierige und umfangreiche Störungen auf der wiedereröffneten Fernbahntrasse der Berliner Stadtbahn und ihrer Zulaufstrecken machten die provisorische Verlegung zahlreicher Fernzüge nach Lichtenberg erforderlich, wo sie auch weiterhin mindestens bis zum kleinen Fahrplanwechsel im September 1998 verkehren werden.
1. Sep 1998
Leider hat der "Standort Lichtenberg" in seiner heutigen Form einen entscheidenden Nachteil: er läßt sich mit Fernzügen von der Stadtbahnstrecke aus nur auf Umwegen erreichen; auf direktem Wege dagegen nur vom Innen- und Außenring. Zur Überwindung dieser Lücke müßte eine Unterführung zwischen den Bahnhöfen Ostkreuz und Warschauer Straße die S-Bahn kreuzen. Im Rahmen der geplanten Bauarbeiten an der S-Bahn im Bereich Ostkreuz werden die Gleisanlagen weiträumig umgestaltet, so daß sich die Chance ergibt, auch diese Baumaßnahme durchzuführen.
Notwendig ist dazu einmal mehr der entsprechende Wille der zuständigen Entscheidungsträger und Planer in der Politik bzw. bei der DB AG, da rechtzeitiges Handeln gefragt ist, um diese Verbindungsstrecke in die Planfeststellungsunterlagen einzuarbeiten. Zu berücksichtigen ist dabei, daß der vorgesehene Umbau des Bahnhofs Ostkreuz für viele Jahrzehnte die letzte Möglichkeit ist, diese Direktverbindung zu realisieren. Eine derartige Einbindung des Bahnhofs Lichtenberg in das Regional- und Fernbahnnetz von Berlin hätte Vorteile.
Die Stadtteile, für die der Bahnhof Lichtenberg der nächstgelegene Bahnhof ist, haben zusammen etwa 600.000 Einwohner! Ein nicht zu unterschätzendes Reisendenpotential. Obwohl einerseits von offizieller Seite regelmäßig beteuert wird, sich um die Attraktivität der Bahn zu sorgen, werden andererseits - zumindest nach den bisherigen Planungen - verlängerte Systemzugangszeiten (zum Beispiel zum Fernverkehrszug - für dieses Fahrgastpotential als zumutbar angesehen. Die Anzahl derer, die man auf diese Weise von der Bahn "vergraulen" kann, sollte dabei nicht unterschätzt werden.
Häufig wird auch die geringe Entfernung zwischen Lichtenberg und Ostbahnhof als Argument gegen eine derartige Direktverbindung angeführt. Relativiert wird diese räumliche Nähe unserer Einschätzung nach allerdings dadurch, daß die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln beider Standorte nicht identisch und deshalb auch das Reisendenpotential unterschiedlich ist. Auch in Hamburg sind die Entfernungen zwischen den Fernbahnhalten Hauptbahnhof - Dammtor - Altona (2 bzw. 5 km) gering, ohne daß einer dieser Halte infrage gestellt wird.
Ein Betriebskonzept der DB AG, das für jederzeit mögliche Störungen gerüstet sein sollte, braucht Ausweichrouten. Die Stadtbahn hat beispielsweise am westlichen Ende zwei Zulaufstrecken (Wannsee, Spandau). Am östlichen Ende aber nicht. Von dort geht es nur Richtung Rummelsburg. Und genau dort lag auch eine der wesentlichen Ursachen für die Störungen in den ersten Betriebswochen. Es ist auch nicht auszuschließen, daß ähnliches auf der neuen Nord-Süd-Fernbahn passiert. Da die Stadtbahn wegen der starken Zugbelegung als Alternative nicht in Frage kommt, bietet sich eine Führung der Züge über Bf Lichtenberg an. Als Ersatz für Umsteiger zwischen den Nord-Süd- und Ost-West-Zügen (mit dieser Umsteigemöglichkeit wurde der Bau des Zentralbahnhofs begründet), kann Lichtenberg aber nur gerecht werden, wenn eine direkte leistungsfähige Anbindung an die Stadtbahnstrecke vorhanden ist.
Die Direktverbindung für den Fern- und Regionalverkehr Ostbahnhof — Lichtenberg bzw. die Erstellung des notwendigen Verbindungstunnels sind vom Bauablauf beim Umbau des Bf Ostkreuz abhängig. Angesichts des hohen Investitionsbedarfs der laufenden Bauvorhaben sollten die Baumaßnahmen für die Streckenausrüstung, verbunden mit der Ein- und Ausfädelung Ostbahnhof/Lichtenberg, nach Inbetriebnahme des neuen Nord-Süd-Fernbahntunnels und des Lehrter Zentralbahnhofs terminiert werden.
IGEB
aus SIGNAL 7/1998 (September 1998), Seite 12