Stadtverkehr
Brandenburgs SPD stellt ihre Schienenpolitik auf den Prüfstand
25. Jun 2015
Wer nur die vier Beschlusspunkte des vorher stehenden Artikels der SPD liest, wird das Papier vermutlich als übliche Ansammlung von wohl formulierten Allgemeinplätzen werten. Wer aber die Begründung liest, kann erkennen, dass die SPD im Land Brandenburg bereit ist, jahrelange verfestigte Positionen zumindest zu überprüfen.
Ein unantastbarer Grundsatz war das Gießkannenprinzip. Der Schienenverkehr im Berlin-fernen und Berlin-nahen Brandenburg wurde nahezu gleichrangig behandelt. Eine Abwägung zwischen dem Verzicht auf fast leere Züge in dünn besiedelten Gebieten und Zusatzangeboten zur Entlastung überfüllter Züge rund um Berlin und Potsdam war nicht gewünscht. Getragen wurde diese Haltung im Wesentlichen nicht von Strategien zur Stärkung des ländlichen Raumes durch Erhalt von Schienenverkehr,
sondern vor allem von der Sorge, durch Abbestellungen im Berlin-fernen Raum Wählerstimmen zu verlieren. Interessanterweise gab es beim Straßenausbau keine vergleichbare Gewichtung zu Lasten des Berliner Umlands.
Ein Garant für diese Politik war der SPD-Verkehrspolitiker Jörg Vogelsänger in seinen unterschiedlichen Funktionen, zuletzt als Verkehrsminister der Landesregierung. Besonders deutlich wurde seine Haltung in der strikten Ablehnung von S-Bahn-Verlängerungen im Land Brandenburg.
Dokumentiert wurde das unter anderem im brandenburgischen „Landesnahverkehrsplan 2013–2017“. Darin heißt es: „Erweitert wird das S-Bahn-Netz mit der Einbindung des Flughafens BER zum Zeitpunkt seiner Eröffnung. Darüber hinausgehende Netzerweiterungen sind aus Sicht des Landes Brandenburg weder verkehrlich erforderlich noch unter den gegebenen Finanzperspektiven möglich.“
Da im Land Brandenburg über S-Bahn-Verlängerungen also nicht einmal mehr nachgedacht wurde, war die Nachfolgerin von Jörg Vogelsänger, Ministerin Kathrin Schneider, überfordert, als sie gefragt wurde: „Wenn Geld genug da wäre, wo würden Sie als erstes die S-Bahn verlängern?“ Ihre Antwort: „Das kann ich Ihnen nicht beantworten.“ – nachzulesen in der Berliner Zeitung vom 23. März 2015. Und um jegliche S-Bahn-Begehrlichkeiten bereits im Ansatz zu ersticken, sagt die Ministerin am Ende des Interviews: „Und wir sind im Berliner Umland schon vergleichsweise hervorragend strukturiert. An unseren Nahverkehr kommt keine andere Region in Deutschland heran.“
Vor dem Hintergrund solcher Fehleinschätzungen ist es bemerkenswert und erfreulich, dass der SPD-Landesvorstand nun beide fundamentalistischen Positionen zur Überprüfung freigibt und damit anerkennt: Erstens gibt es beim Schienenverkehr im Berliner Umland, anders als von Verkehrsministerin Schneider behauptet, durchaus erhebliche Defizite und nicht ausgeschöpfte Verbesserungspotenziale. Zweitens darf nun auch in Brandenburg wieder über die Verlängerung von S-Bahn-Strecken nachgedacht werden.
Dieser Beschluss ist auch ein gutes Vorzeichen für den nächsten Landesnahverkehrsplan ab 2018, denn nun besteht Hoffnung, dass es eine so fundamentale Absage an S-Bahn-Verlängerungen im Land Brandenburg, wie im aktuellen Landesnahverkehrsplan, der selbst Trassenfreihaltungen ausschließt, in der Nach-Vogelsänger-Ära nicht mehr geben wird.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 3/2015 (Juli 2015), Seite 21