Schienenverkehrswochen 2015

Premiere für die BVG-Chefin
Frau Nikutta erstmals beim Fahrgast-Sprechtag

Am 16.September 2015 fand im Rahmen der Schienenverkehrs-Wochen der Fahrgastsprechtag für BVG-Kunden statt. Dabei stand erstmals die Vorsitzende des BVGVorstands, Dr. Sigrid Evelyn Nikutta, selbst Rede und Antwort, während es in den Vorjahren stets drei BVG-Sprechtage gab (je einen für U-Bahn, Straßenbahn und Bus), die von den jeweiligen Unternehmensbereichsleitern bestritten wurden.


IGEB Stadtverkehr

12. Nov 2015

Um es gleich vorweg zu sagen: Die neuen Rahmenbedingungen boten Licht und Schatten. So konnte die BVG-Chefin erstmals direkt erfahren, welche Themen den Sprechtagbesuchern wichtig sind, und dadurch Anregungen bekommen, wo und wie die BVG besser werden kann oder muss. Auch das Publikum wurde mit einigen neuen Sichtweisen auf Angebot und Nachfrage des größten deutschen Stadtverkehrsbetriebes aus dem sonst eher technisch-organisatorisch geprägten Alltag herausgehoben. Andererseits lassen sich die sonst üblichen dreimal zwei Stunden der bisher einzelnen Sprechtage nicht ohne Abstriche in nur einmal zwei Stunden pressen, zumal wenn wegen anderer Termine bei Frau Nikutta nicht eine Minute Reserve vorhanden war. Hier bestehen noch organisatorische Reserven für das nächste Mal. Der größte Verlust waren die traditionellen Vorschauen der drei Betriebsbereiche für die Groß-(Bau-) Vorhaben des kommenden Jahres.

Dieser Sprechtag fand wieder auf dem Straßenbahnhof Lichtenberg statt, und die Chefin der BVG hatte einige Zahlen zu diesem Ort parat, auch aus der Geschichte. Sie erinnerte unter anderem daran, dass hier

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über 20 Jahre lang die O-Busse der Ost-BVG stationiert waren; angesichts des Medienhypes über die doch leider noch nicht so zuverlässigen neuen E-Busse ein wichtiger Hinweis.

M 4 mit reduziertem Angebot. Durch Fahrermangel musste die BVG auf mehreren Straßenbahnlinien den Fahrplan ausdünnen. Die Besucher des Fahrgastsprechtages kritisierten neben diesem Missstand vor allem die unzureichende Information der BVG über die Fahrplanänderungen. Foto: Angelo Januschew

Ebenso aufschlussreich waren die Akzente, die Frau Nikutta bei der Präsentation der BVG als Ganzes setzte. Einerseits die zu erwartenden Erfolgsmeldungen über steigende Nachfrage, Verkehrsleistung und Angebotsdichte, andererseits eine Aufschlüsselung der BVG-Kundschaft nach Alter und Geschlecht, die deutlich zeigte, dass Gender-Mainstreaming für die Verkehrsbetriebe ein schon länger bearbeitetes Feld ist. Die aktuelle Diskussion über die Personalpolitik der BVG angesichts des Fahrermangels bei der Straßenbahn wollte sie schon im Vorfeld parieren mit der Mitarbeiterzahl, die 2014 um 1000 höher lag als noch 2010 (jetzt bei 13 500).

2015 voraussichtlich 1 Milliarde BVG-Fahrgäste

Auch mit den ökonomischen Daten der gerade fertiggestellten Jahresbilanz 2014 konnte Frau Nikutta glänzen: Die Fahrgastzahlen nähern sich weiter der Milliardengrenze (978 Millionen), für 2015 wird deren Überschreitung prognostiziert. Und das operative Geschäft schreibt nun schwarze Zahlen, lediglich die Altschulden und die Investitionen müssen noch vom Eigentümer (Land Berlin) getragen werden.

Im Ausblick hat sie zwei Vorhaben angesprochen: den barrierefreien Ausbau des U-Bahn-Netzes und die großzügige Umgestaltung des Bahnhofs Neue Grottkauer Straße bis zur Internationalen Gartenbauausstellung 2017 und die damit verbundene Umbenennung in „Kienberg – Gärten der Welt“. Des Weiteren wurden für den Bereich U-Bahn die Betriebsaufnahme der neuen Leitstelle auf dem Gelände der Werkstatt Friedrichsfelde sowie die Inbetriebnahme des ersten Zuges der neuen Kleinprofilbaureihe IK samt Taufe durch den Berliner Bürgermeister auf den Namen „Icke“ hervorgehoben.

Für den Bereich Straßenbahn stand der Rückblick auf das 150-Jahre-Jubiläum im Mittelpunkt. Angesichts der knappen Zeit wäre beim Nikutta-Vortrag der Verzicht auf fast 10 Minuten Videomaterial der BVG sinnvoll gewesen, während die BVG-Chefin danach mit schnellen Antworten vielen Fahrgästen Fragen ermöglichte. Das größte Problem dieses Betriebsbereichs wurde von ihr im einleitenden Vortrag nur kurz mit der Bemerkung gestreift, dass es grundsätzlich kein Problem sei, für den Bedarf an Fahrern genügend Bewerber zu finden. Dabei erinnerten sich die Stammgäste der Sprechtage sofort, dass ihnen in den Vorjahren ähnliches berichtet wurde, aber der Fahrermangel bei der Straßenbahn dennoch nicht ab-, sondern zugenommen hat (siehe auch Artikel auf Seite 14).

Für den Unternehmensbereich Omnibus war die Einführung der ersten elektrischen Linie (204) ohne Oberleitung das Hauptthema. Selbstverständlich konnte sie angesichts der beim Sprechtag noch sehr kurzen Betriebszeit seit 31. August keine Bewertungen oder statistischen Daten vorlegen. Das Durchschnittsalter der fossilen Busgeneration beträgt bei der BVG sieben Jahre. Frau Nikutta strebt eine Senkung an, von der sie sich eine Verringerung der Wartungskosten verspricht.

Eher nebenbei ließ sie in Sachen Doppeldecker die Katze aus dem Sack, als sie die kleinen zweiachsigen Testwagen als Vorboten der nächsten Generation dieser Bauart benannte. Die heute verwendeten und auch grundsätzlich bewährten DL-Wagen seien vielfach zu groß – sowohl was die Manövrierfähigkeit im teilweise engen Straßenraum als auch was die Wirtschaftlichkeit auf schwächer nachgefragten Abschnitten angeht. Darum hat Frau Nikutta auch bei dieser Veranstaltung ihre vielleicht bekannteste Zahl wieder vorgetragen: Die durchschnittliche Auslastung aller Fahrzeuge der BVG (inklusive Stehplätze) beträgt 17 Prozent, gerechnet über den gesamten Tag einschließlich der Nachtstunden. Sie war aber so fair zuzugeben, dass das keine aussagekräftige Größe ist angesichts der Nachfrageverteilung.

Besucher kritisieren Fahrermangel und Fahrplanausdünnung bei der Straßenbahn

Bei der anschließenden Frage-Antwort-Stunde waren neben der Fahrerkrise bei der Straßenbahn und deren Folgen drei Themenschwerpunkte erkennbar: Erstens die Qualität des Verkehrsangebots, zweitens die Information darüber sowie die sonstigen Serviceleistungen und drittens der Rückhalt der BVG beim Eigentümer und Aufgabenträger, dem Land Berlin.

Bei der Qualität ging es sowohl um die Sauberkeit und Sicherheit in Fahrzeugen und Stationen (Verschmutzungen allgemein, Drogenhandel in der U-Bahn, defekte Fahrkartenautomaten und Aufzüge/Rolltreppen) als auch um Aspekte einer vorausschauenden Angebotsplanung, z.B. Bus-Sonderverkehre zum Olympiastadion bei Veranstaltungen. Bei Qualität wird auch das leidige Thema „Fahrscheinautomat in Straßenbahnen“ regelmäßig angesprochen, das die BVG und uns (siehe SIGNAL 6/2012 und 4/2014) nun schon mehrere Jahre (!) beschäftigt. In ihrer Antwort entschuldigte die Chefin die Mängel wie bisher schon Straßenbahn-Direktor Matschke mit den europarechtlichen Vorgaben bei der Ausschreibung neuer Geräte, die einer zügigen Beschaffung entgegen stehen. Angesichts der Tatsache, dass auch andere europäische Verkehrsbetriebe dieses Recht anwenden müssen und damit schon erfolgreich neue Ticketautomaten beschafften, kann diese Erklärung nicht befriedigen.

Ebenfalls in die Kategorie Qualität gehören die häufigen Ausfälle der Klimaanlagen in Bussen. Zwar wurden weder Zahlen genannt noch das Ausmaß des Problems anerkannt, aber die BVG hat hier offenbar selbst ein ähnlich getrübtes Bild von der Zuverlässigkeit der Technik, so dass im Gegensatz zu den letzten Sprechtagen nun wirksame Abhilfe bei Neubeschaffungen zugesagt wurde. Außerdem sollen wieder vermehrt Klappfenster in die Busse gebaut werden, die im Regelfall verschlossen sind und bei technischen Störungen vom Fahrer an den Endstellen aufgeschlossen werden. Die IGEB unterstützt in diesem Zusammenhang die Haltung des Verkehrsbetriebs, auch in Zukunft keine klimatisierten U-Bahnen zu beschaffen.

Themenschwerpunkt Kundeninformation

Die BVG hat immer mehr Fahrgäste. Deshalb hat das Land Berlin auf zahlreichen Linien zusätzliche Fahrten bestellt. So fährt der M 41 seit Ende August auf der Sonnenallee zeitweise im 4-Minuten-Takt. Weil der Senat aber zu wenig für den Vorrang von Bus und Tram auf den Straßen tut, steht der M 41 oft im Stau oder fährt im Pulk, so dass die Fahrgäste trotz Taktverdichtung zum Teil lange warten müssen. Foto: IGEB

Frau Nikutta bekannte sich zum längst vollzogenen Abschied der BVG von gedruckten Informationsmedien wie Fahrplanbüchern. Angesichts der somit vollständigen Abhängigkeit der Kunden von den Internet-Diensten verblüffte ihre Aussage, dass die BVG mit facebook und twitter erst am Anfang steht, womit sie natürlich in erster Linie einzelne beim Sprechtag vorgetragene Fehler ihrer Mitarbeiter entschuldigen wollte. Selbstverständlich ist auch dieses Aufgabenfeld abhängig vom Geld, was zur Verfügung steht. Das trifft auch auf das neue Angebot WLAN in U-Bahnhöfen zu, denn die BVG muss dies ja einem Anbieter bezahlen, der dafür eine nicht ganz einfache Infrastruktur in den Stationen unterhalten muss. Dazu kommen technische Herausforderungen, die mit den Mitteln einfacher Haushaltskommunikation nicht mehr zu bewältigen sind. Beispielsweise ist es eher Norm als Ausnahme, dass auf einem Umsteigebahnhof wie der Probestation Osloer Straße zwei Züge mit zusammen 800 Fahrgästen gleichzeitig ankommen. Diese Spitzenlast muss das Netz dort alle paar Minuten schaffen.

Mehr noch als den Ausfall von Straßenbahnfahrten als Folge des Fahrermangels kritisierten die Sprechtagsbesucher die vollkommen unzureichenden bzw. verspäteten Informationen der BVG über die ausgedünnten Fahrpläne. Anhand zahlreich angesprochener konkreter Beispiele müsste Frau Nikutta von diesem Abend mitgenommen haben, dass hier noch erheblicher Verbesserungsbedarf bei der BVG-Öffentlichkeitsarbeit besteht.

Wachsendes Angebot für die wachsende Stadt

Schon im Vortrag hatte Frau Nikutta auf die erweiterte Bestellung des Landes Berlin im Programm „wachsende Stadt“ verwiesen, das bei der BVG bis Oktober 2015 zu einem Mehrleistungspaket mit 70 Maßnahmen auf 54 Linien führte. Zum Fahrplanwechsel im Dezember kommen noch weitere 17 Maßnahmen dazu (s. SIGNAL 4/2015). Außerdem hat sie mit der für April 2016 geplanten Einführung der neuen Buslinie 310 (U Wilmersdorfer Str—Rathaus Schmargendorf— U Blissestr) schon die erste Maßnahme des Folgejahres vorgestellt. Diese Linie soll stark genutzte Abschnitte vom 110er und 249er Bus im Berufsverkehr entlasten und zu mehr umsteigefreien Fahrtmöglichkeiten führen.

Frau Nikutta legte dar, dass Berlin stärker wächst als erwartet, so dass es trotz der Mehrleistungen in Zukunft zu volleren Bussen und Bahnen kommen wird. In diesem Zusammenhang gab es mehrere Publikumsfragen nach erweiterten Fahrzeugbestellungen für U- und Straßenbahn sowie Vorschläge, noch mehr ältere Wagen als bisher geplant länger laufen zu lassen, um eben diese Spitzenbelastungen abzufangen. Hier legte sich die Vorstandsvorsitzende nicht fest und verwies auf laufende Verhandlungen mit dem Senat zur Finanzierung neuer und auch (im Falle der Straßenbahn) größerer Fahrzeuge. Ihre Antwort ließ aber erkennen, dass auch die BVG den Bedarf für mehr und größere Fahrzeuge inzwischen nicht mehr leugnet, sondern offensiv formuliert.

Aber nicht für alle Problemlösungen ist Geld erforderlich. Manchmal würde eine sachgerechte Zusammenarbeit von BVG und Senat schon viel Gutes bewirken. Ein Negativbeispiel war der Berlin-Marathon 2015, der völlig unnötig zu einer beispiellos großflächigen Ausschaltung des öffentlichen Verkehrs führte, und das über zwei Tage. Der Fahrgastverband schließt sich hier gerne dem Appell der BVG an die zuständigen Senatsstellen an, die Verkehrsbelange schon in der Planung der Laufstrecke und der benötigten Nebenflächen ausreichend zu berücksichtigen. So ein Großereignis dürfte nicht ohne die Mitarbeit der BVG in der Vorbereitung möglich sein. (af)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 5/2015 (November 2015), Seite 11-12