Stadtverkehr
Anhaltender Fahrermangel bei der BVG-Straßenbahn
Schon mehrfach hat die IGEB das Problem
fehlender Fahrer bei der Straßenbahn der
BVG thematisiert (siehe u.a. SIGNAL 3/2015).
Doch nachdem die BVG das zunächst bestritten
oder zumindest kleingeredet hat,
musste sie inzwischen zugeben: Ja, es fehlen
Fahrer.
12. Nov 2015
Eine falsche Personalpolitik bestreitet die BVG aber weiterhin und entschuldigt den Mangel mit der „Rente mit 63“, hohem Krankenstand und vielen Urlaubern. Die IGEB-Bezeichnung „Straßenbahn-Krise“ wies der Bereichsleiter Straßenbahn, Klaus-Dietrich Matschke, gegenüber dem Berliner Kurier zurück. Es gäbe zwar Probleme, aber von einer Krise würde er nicht reden wollen.
Aus Fahrgastsicht ist es aber durchaus eine Krise, denn die täglichen Auswirkungen sind seit Monaten beträchtlich und dauern an – laut Herrn Matschke noch bis in das 1. Quartal 2016.
Sicherlich hat die Sparpolitik des Wowereit-Senats, insbesondere des ehemaligen Finanzsenators Nußbaum, einen großen Anteil an der jetzigen Krise. Personal wurde nicht eingestellt, Reserven wurden reduziert und auf Erweiterungen des Angebots nicht reagiert. Hinzu kam das Ziel einer „Schwarzen Null“ in der BVG-Bilanz, weshalb die BVG (auch) bei der Straßenbahn massiv gespart hat. Leidtragende dieser falsch verstandenen Sparpolitik sind nun die Fahrgäste.
Dass die oft zitierte „Rente mit 63“ als Hauptursache dargestellt wird, ist nur eine Ablenkung vom Missmanagement. Sicherlich, einige Fahrer haben die kurzfristig eingeführten Neuregelungen genutzt und sich in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet, doch das erklärt nicht den lang anhaltenden Personalmangel von nach IGEB-Kenntnis derzeit 80 bis 100 Fahrern.
Das Hauptproblem ist nicht von heute auf Morgen zu lösen, da stimmen wir der BVG zu. Personale müssen erst einmal gefunden, ausgebildet und dann auch noch zum Bleiben angeregt werden. Genau hier liegt aber das Problem bei der BVG. Neubewerber bekommen einen auf 2 Jahre befristeten Vertrag – bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 2093 Euro brutto als Anfangsgehalt. Durch die Wechselschicht kommen Zuschläge von ca. 120 bis 150 Euro netto hinzu.
Geht man von der Lohnsteuerklasse 1 aus, ergibt das ein Netto von ca. 1500 Euro im Monat – bei einer 39-Stunden-Woche in Wechselschicht nicht gerade ansprechend. Vergleicht man das mit dem Gehalt einer Verkäuferin, die nach Tarif bezahlt wird, so ist der Unterschied gering. Bei einem Bruttogehalt von ca. 1680 Euro kommt diese auf ein Netto von ca. 1195 Euro, also gerade mal 200 Euro weniger als ein Straßenbahnfahrer mit Zuschlägen.
Die Folgen spürt die BVG auch sehr deutlich, denn ca. 10 Prozent der Neueinsteiger hören nach kurzer Zeit wieder auf, weil sie entweder einen besser bezahlten Job gefunden haben oder weil sie einfach mit dem Stress, den der Fahrerberuf mit sich bringt, nicht klar kommen.
Deshalb ist es notwendig, für diesen Beruf entsprechende Anreize zu schaffen und vor allem sichere Arbeitsplätze anzubieten. Dazu gehören unbefristete Arbeitsverträge und höhere Löhne.
Da es offensichtlich schwer ist, ausreichend Fahrerinnen oder Fahrer zu finden, leiht sich die BVG derzeit Fahrer aus Mainz aus. Ob auch aus anderen Städten Personale ausgeliehen werden können, ist derzeit nicht sicher.
Nach anfänglichen unkontrollierten Ausfällen wurde zum Anfang der Sommerferien damit begonnen, gezielt den Fahrplan der Straßenbahn auszudünnen. Ziel war es, diese Ausfälle zu reduzieren oder gar abzustellen. Leider wurden einige Ausfälle von der BVG durchgeführt, ohne sie zu kommunizieren. Die Ausdünnungen im Überblick:
Bei dieser Linie fanden einige Änderungen statt, die Fahrgäste besonders an Wochenenden deutlich zu spüren bekommen. Der wochentags geltende 3-bis-4-Minuten-Takt wurde auf einen 4-Minuten-Takt ausgeweitet. Dafür werden aber längere Züge in Form von GT6-Doppeltraktionen eingesetzt. Sonnabends ist der bisherige 5-Minuten-Takt durch einen 7-/7-/6-Minuten-Takt ersetzt worden. Ab Prerower Platz fährt nun nur noch alle 20 Minuten eine Bahn nach Falkenberg. Alle anderen Bahnen fahren im 7/13-Minuten-Takt zur Zingster Straße. Leider funktioniert der Anschluss M4/M17 am Prerower Platz nicht, so dass der Fahrgast also entweder den Bus nehmen oder warten muss.
Sonntags gibt es eine besonders gravierende Ausdünnung: Die Linie M 4 verkehrt nun auf dem Abschnitt S-Bf Hackescher Markt—Prerower Platz nur noch alle 10 Minuten. Somit werden nun beide Äste nur noch im 20-Minuten-Takt befahren.
Diese Linie fährt seit 31. August nur noch alle 20 Minuten zum Hauptbahnhof. Alle anderen Kurse enden am S-Bahnhof Hackescher Markt. Durch die Bauarbeiten in der Konrad-Wolf-Straße verkehrten die Verstärkerfahrten zwischen Landsberger Allee/Petersburger Straße und Zingster Straße schon seit Baubeginn am 6. Juli nicht mehr. Sie wurden mit Ende der Bauarbeiten am 19. Oktober wieder eingesetzt.
Leider fallen abends die Fahrten zwischen Landsberger Allee/Petersburger Straße und Zingster Straße ebenfalls aus, so dass diese Linie abends nur noch im 20-Minuten-Takt verkehrt.
Auf dieser Linie werden seit der Verlängerung zum Hauptbahnhof am 31. August überwiegend lange Flexitys eingesetzt, aber auch hier wurden die abendlichen Fahrten zwischen Landsberger Allee/Petersburger Straße und Ahrensfelde/Stadtgrenze eingestellt.
Die Verstärkerfahrten dieser Linie sind nun mit der Linie 18 gekoppelt und verkehren als Linie M 8 von Landsberger Allee/Petersburger Straße bis Alt-Marzahn und ab da weiter als Linie 18 nach Riesaer Straße.
Diese umfangreichen Angebotsreduzierungen wurden in den BVG-Pressemeldungen allerdings nicht vollständig kommuniziert. So wurden die abendlichen Kürzungen der Linien M 5, M 6 und M 8 nicht erwähnt, ebenso die Ausdünnung der Linie M 2. Auf der Linie 4 wurde eine Taktausdünnung von 30 bis 90 Sekunden angekündigt, aber mit keinem Wort die massive und nicht tragbare Kürzung am Wochenende erwähnt.
Offensichtlich scheinen Bauarbeiten gut geeignet zu sein, längere Einstellungen ganzer Linien zu begründen. So wurde die Linie M 2 ein ganzes Wochenende (17. bis 19. Oktober 2015) und die Linie 68 sogar für mehrere Wochen (26. Oktober bis 7. Dezember 2015) eingestellt. Andere Bauarbeiten führen zu den üblichen Linienkürzungen.
Die IGEB hatte angesichts des Fahrermangels wiederholt einen verlässlichen Notfahrplan für die Straßenbahn gefordert. Doch die von der BVG vorgenommenen Ausdünnungen sind vor allem an betrieblichen und weniger an Fahrgastbelangen orientiert. Es wurde gekürzt, ohne darauf zu achten, ob es Alternativen gibt. Dieser Zustand muss schnellstmöglich beendet werden. (md)
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 5/2015 (November 2015), Seite 14-15