Stammbahn oder Radweg?

Der schwarz-grüne Senat feiert den Berlin.bikeHIGHway

Das Projekt eines Fahrradschnellwegs auf der Trasse der Stammbahn stellte kürzlich der von Berlins Justizsenator Thomas Heilmann geführte CDU-Kreisverband Steglitz-Zehlendorf vor. Neben einigen kritischen Stimmen gab es viel Lob und Zustimmung für das Vorhaben. Werfen wir einen kleinen Blick in die Zukunft.


Jan Gympel

12. Nov 2015

Ein guter Tag für Berlin und seinen Verkehr ist dieser 15. August 2030: Noch vor dem Ende des Sommers (und vier Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl) wird heute durch die Regierende Bürgermeisterin der erste Fahrradschnellweg der Hauptstadt eröffnet. Er verbindet, ohne niveaugleiche Kreuzung mit anderen Verkehrswegen, die Benschallee in Düppel mit der Yorckstraße in Schöneberg und verläuft zwischen den S-Bahn-Stationen Zehlendorf und Yorckstraße (Großgörschenstraße) direkt neben den Gleisen der S 1.

Entwickelt wurde das Projekt im Jahre 2015, als sich eine zunächst kleine Gruppe der – wie damals betont wurde – seit langem ungenutzten und verwilderten Trasse der Stammbahn annahm. Nach mehrjährigem Vorlauf, der unter anderem benötigt wurde, um den Güterverkehr, der auf der Stammbahn noch zwischen Zehlendorf und Lichterfelde West stattfand, auf die Straße zu verlagern, begannen 2020 die Rodungs- und Abbrucharbeiten sowie die Demontage der Gleise. Im selben Jahr konnte das zweite Planfeststellungsverfahren abgeschlossen werden, nachdem das erste

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wegen schwerwiegender Mängel hatte abgebrochen werden müssen. Neben dem Bau einiger Fahrradbrücken erwies sich die Errichtung des mehr als zehn Kilometer langen Zauns zu den S-Bahn-Gleisen als besonders aufwendig: Nach einer neuen EU-Richtlinie, die die Bürgerinnen und Bürger besser vor dem versehentlichen Überklettern der Absperrung schützen soll, musste der Zaun durchgängig drei Meter hoch ausgeführt werden.

Anschlussstrecken mit Kopfsteinpflaster

Blick von der Friedenauer Brücke auf den S-Bahnhof Friedenau. Zwischen Steglitz und Schöneberg, wo heute zwischen den S-Bahn-Gleisen und der Stadtautobahn der Fahrradschnellweg verläuft, war dessen Trasse 2015 noch überwuchert. Foto: Jan Gympel

Der „Berlin.bikeHIGHway“, wie der Radschnellweg offiziell heißt, ist faktisch vierspurig – wenn sich die Radfahrer entsprechend weit an den Rändern der jeweiligen Richtungsfahrbahn halten. Bei der Eröffnung zeigte sich der Stadtentwicklungssenator aber zuversichtlich, dass es diesbezüglich keine Probleme geben werde, ebensowenig wie etwa zwischen sportlich ambitionierten Hochgeschwindigkeitsradlern und eher gemächlichen Pedaltretern: „Gerade die Berliner Radfahrer zeichnen sich bekanntlich aus durch ein hohes Maß an Verkehrsdisziplin und rücksichtsvollem Verhalten.“

So werde es auch kaum zu Konflikten kommen an den diversen Straßenüber- und -unterführungen, wo die ursprünglich für ein Gleis vorgesehenen Durchlässe oder Brücken nur einen einspurigen Verkehr zulassen. Gleiches gelte für viele Verbindungen zwischen dem Radschnellweg und den Hauptverkehrsstraßen, die ihn kreuzen: Um die Kosten zu begrenzen, wurde – wo immer möglich – darauf verzichtet, mit viel Aufwand an den Kreuzungen Rampen zu bauen. Statt dessen stellte man den Anschluss an den Radschnellweg über Nebenstraßen her, die zu Stellen führen, an denen sich das Bahngelände auf dem gleichen Niveau wie seine Umgebung befindet. Zwar sind viele dieser Straßen nicht asphaltiert, doch der Senator sieht auch hierin kein Problem: „Die Radler werden in diesen Straßen einfach dort fahren, wo sie es auch in asphaltierten Nebenstraßen ohne nennenswerten Autoverkehr in der Regel tun: auf dem Gehweg.“

Wie aus den bezirklichen Ordnungsämtern verlautet, will man ein wachsames Auge haben auf störende Fußgänger, wann immer die Bediensteten mal kurz Pause machen von ihrer Hauptaufgabe: dem kostenpflichtigen Erfassen von Parksündern.

Citytoiletten und Metropolisduschen

Rund um den Bahnhof Lichterfelde West fand 2015 noch Güterverkehr statt. Von hier aus wurde regelmäßig das Ford-Werk in Köln beliefert. Foto: Jan Gympel

Um das Projekt nach vielen Verzögerungen endlich zum Abschluss zu bringen, musste ferner auf die Überquerung der Yorckstraße, die sich ebenfalls als komplizierter erwiesen hatte denn ursprünglich erwartet, verzichtet werden. Der Radschnellweg endet daher bereits hier. „Aber mit nur einem kleinen Umweg über die Yorck-, Möckern- und Stresemannstraße oder über die Bülow-, Dennewitz- und Flottwellstraße erreicht man auch jetzt den Potsdamer Platz“, erklärte der Senator. Der Potsdamer Platz war eigentlich als Endpunkt des Berlin. bikeHIGHways vorgesehen gewesen.

Ebenfalls nicht wie geplant ließen sich die Servicestationen realisieren, die von privater Seite errichtet und in die Toiletten, Umkleidekabinen und Duschen integriert werden sollten. Bei zwei europaweiten Ausschreibungen blieb am Ende die Firma WallDecauxUrbanis als einziger Bewerber übrig, der nun an den S-Bahnhöfen Zehlendorf, Rathaus Steglitz und Schöneberg je einen Kiosk, eine seiner bekannten Citytoiletten und eine der neuentwickelten Metropolisduschen errichtet hat. Im Gegenzug für dieses Engagement wurde dem Unternehmen erlaubt, entlang des Fahrradschnellwegs Reklametafeln zu errichten, wobei jedoch zwischen zwei Werbeflächen ein Mindestabstand von drei Metern gewahrt bleiben muss.

Außerdem entstanden zwei Ladestationen für Elektrofahrräder, die sich seit vielen Jahren wachsender Beliebtheit erfreuen. Experten nennen als einen Grund dafür, dass E-Bike-Batterien deutlich zuverlässiger sind als die Akkus jener Fahrzeuge, mit denen die BVG jüngst ihren seit 2015 fünften Elektrobusversuch durchführte.

Dass die Ladestationen von der öffentlichen Hand betrieben werden, verbuchen die Grünen als ihren Erfolg, wie ein Vertreter der Partei erklärte: „Grün wirkt! Die Errichtung dieser zwei öffentlich betriebenen Ladestationen zeigt ebenso wie die in den vergangenen fünf Jahren fertiggestellten 700 Meter neue Straßenbahnstrecke, dass es richtig war, mit der CDU eine Koalition einzugehen, auch wenn wir dafür dem Weiterbau der Stadtautobahn A 100 bis zur Bornholmer Straße zustimmen mussten.“

Gegenüber der Kalkulation zu Baubeginn vervierfachten sich die Kosten für den Fahrradschnellweg zwar, derweil sich die Bauzeit lediglich verdreifachte. CDU wie Grüne betonen jedoch einmütig, durch derartige „Erbsenzählerei“ dürfe die Bedeutung des Fahrradschnellwegs als Pilotprojekt nicht kleingeredet werden. Der Senator: „Mit dem Berlin.bikeHIGHway wird unsere Metropole noch mehr zu einem Verkehrskompetenzzentrum mit echtem Weltniveau.“ Dementsprechend sei es auch vollkommen richtig gewesen, in dieses Vorhaben fast die gesamten Mittel zu stecken, die in den letzten Jahren für Sanierung, Verbesserung und Ausbau des Radwegenetzes zur Verfügung standen.

Zweiter Radschnellweg kommt bald – eventuell

Im November soll der Radschnellweg übrigens kurz wieder geschlossen werden: Kleine Nacharbeiten und dringend notwendige Reparaturen, die nicht zuletzt durch die jüngste, zehnwöchige Hitzewelle verursacht wurden, müssen dringend ausgeführt werden. Doch bereits im März oder April 2031 soll die Strecke wieder zur Verfügung stehen: „Spätestens im Mai!“ versprach der Senator mit Verweis auf das gerade bei Verkehrsbauten seit langem bekannte Berliner Tempo.

Die Rubensstraße im Jahr 2015. Um sie überqueren zu können, wurde für den Radschnellweg neben der S-Bahn-Brücke eine Radfahrer-Brücke gebaut – eine von vielen. Foto: Jan Gympel

Der Betrieb des „Berlin.bikeHIGHways“ ist für die kommenden fünf Jahre gesichert: Die Deutsche Bahn AG hat zugesagt, ihre Pläne für den seit geraumer Zeit als notwendig erkannten Wiederaufbau der Stammbahn so lange zurückzustellen. Ein Bahnsprecher: „Angesichts des Wachstums von Potsdam auf inzwischen über 200 000 Einwohner und des Bevölkerungsanstiegs gerade im südwestlichen Speckgürtel ist eine zweite Regionalbahnverbindung ins Berliner Zentrum dringend erforderlich. Vor 2035 können wir den Wiederaufbau der Stammbahn aber ohnehin nicht angehen, da dafür die Planungskapazitäten der DB nicht ausreichen.“

Fragen von Journalisten, ob die im Jahre 2015 getroffene Entscheidung für den Bau eines Radweges auf einer Bahnstrecke ein Fehler gewesen sei, beantwortete der DB-Sprecher ausweichend: „Da müssen Sie den damaligen Regierenden Bürgermeister Müller fragen.“ Heute jedenfalls würde die Bahn nirgends mehr auf Trassen verzichten: „Die Trassen unserer Urväter sind das wichtigste Kapital der Bahn“.

Für Berlins zweiten Radschnellweg auf bisherigen Fahrspuren der Bundestraße 5 soll demnächst mit der Planung begonnen werden. Angestrebt wird, ihn schon in fünf Jahren eröffnen zu können. Die Regierende Bürgermeisterin zeigte sich zuversichtlich, dass dies in jedem Falle noch vor der Inbetriebnahme des Großflughafens BER gelingt.

Jan Gympel

aus SIGNAL 5/2015 (November 2015), Seite 20-21