Stammbahn oder Radweg?
Lange war es ruhig um die Stammbahn. Nun ist sie zurück auf der Tagesordnung, wenn auch nicht mit der überfälligen Ankündigung zum ersten Spatenstich. Nein, 25 Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit wurde der Schlussakt aufgerufen. Ein Innovationszentrum und eine moderne Großstadtpartei haben den ungenutzten Schienenstrang als Ziel ihrer Begierde ausgemacht. Ein Radschnellweg soll her, am besten von der Berliner Innenstadt über Zehlendorf und Kleinmachnow bis Potsdam.
12. Nov 2015
Die 1838 als erste preußische Eisenbahn gebaute und seit 1945 größtenteils ungenutzte Bahnstrecke verbindet die fünf „Großstädte“ Berlin, Schöneberg, Steglitz, Zehlendorf und Potsdam. In jedem anderen Bundesland gäbe es zwischen diesen Städten einen schnellen Regionalzug, dessen Notwendigkeit niemand bezweifeln würde. In Berlin und Brandenburg hingegen scheitert die attraktive Bahnverbindung an der politischen Mauer zwischen den beiden Ländern. Berlin investiert nur im Stadtzentrum und fühlt sich für Brandenburger Pendler nicht zuständig. Brandenburg fördert den ländlichen Raum, um den „Speckgürtel“ um Berlin nicht zu bevorzugen. Das Ergebnis:
Massen von Autos, die sich mangels echter Alternative tagein, tagaus aus dem Südwesten nach Berlin schieben. Die Bahnstrecke mit einem „Fahrrad-Schnellweg“ zu überbauen, wäre das Gegenteil von moderner Verkehrspolitik. Volle Busse und Bahnen zeigen, dass Berlin und Brandenburg mehr davon brauchen!
Fünf gute Gründe für die Stammbahn Die Wiederinbetriebnahme der Potsdamer Stammbahn ist verkehrspolitisch nach wie vor sinnvoll:
Die verkehrsplanerischen Voraussetzungen für die Wiederinbetriebnahme der Stammbahn sind erfüllt. Die Trasse ist seit den 1990er Jahren Bestandteil des Berliner Stadtentwicklungsplans (StEP) Verkehr. Daher wurde beim Bau des Nord-Süd-Tunnels die Einfädelung durch einen Tunnelstutzen für 25 Mio. Euro bereits baulich vorbereitet. Die Trasse ist weiterhin Bahnfläche und auch in den Flächennutzungsplänen des Landes Berlin, der Landeshauptstadt Potsdam und der Gemeinde Kleinmachnow als Bahnstrecke dargestellt. Der auf Grundlage eines Staatsvertrages zwischen Berlin und Brandenburg erstellte „Gemeinsame Landesentwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum“ weist Kleinmachnow als „Potenziellen Siedlungsschwerpunkt“ aus, der an das Schienennetz anzubinden ist.
Ermutigend ist die Tatsache, dass auf Ebene der Länder etwas passiert. Brandenburg entwickelt (endlich) eine Mobilitätsstrategie als Grundlage für den neuen Landesnahverkehrsplan 2018-2022, Berlin überprüft seine überholte Bevölkerungsprognose, und die Deutsche Bahn AG hat sich zuletzt mit der Netzkonzeption 2030 zum Ausbau des Schienennetzes bekannt.
Die derzeit diskutierte Fremdnutzung oder Bebauung der Trasse als „Fahrrad-Schnellweg“ oder „Multifunktionsweg“ würde die Option auf eine Wiederinbetriebnahme der Potsdamer Stammbahn auf Dauer zunichtemachen. Auch eine vorerst temporäre Nutzung würde schnell dauerhaft. Es wäre ein geradezu verantwortungsloser Umgang mit öffentlichen Geldern, wenn ein im zweistelligen Millionenbereich liegender Wegausbau nach 10 Jahren wieder zurückgebaut würde. Allein dies spricht gegen die Fahrrad-Autobahn in der geplanten Trassenführung. Was aber besonders befremdet: Fahrrad und Schiene sind Teil des Umweltverbundes aus Bus & Bahn, Fuß & Rad. In den letzten Jahren gab es viele Erfolge bei dem gemeinsame Bemühen, das Monopol des Autos auf den Straßenraum zu brechen: Mit der Initiative jetzt werden Rad und Schiene gegeneinander ausgespielt, und auf der Straße bleibt alles wie gehabt.
Die Bürgerinitiative Stammbahn fordert die Reaktivierung einer leistungsfähigen Bahnverbindung und lehnt eine temporäre oder dauerhafte Fremdnutzung der Trasse ab. Voraussetzung dazu ist die Instandhaltung der Bahndämme und Brückenpfeiler zwischen Berlin und Griebnitzsee, des Bahnsteigs in Zehlendorf sowie des Tunnelstutzens an der Einfahrt zum Nord-Süd-Fernbahntunnel durch den Infrastrukturbetreiber DB Netz AG. Und wir wollen, dass die Länder Berlin und Brandenburg kurzfristig eine Nutzen- Kosten-Untersuchung durchführen, die die neuen Rahmenbedingungen „Wachsende Stadt und wachsende Region“ berücksichtigt.
Udo Dittfurth, Simon Heller, Jens Klocksin
info@stammbahn.de
www.stammbahn.de
Bürgerinitiative Stammbahn
aus SIGNAL 5/2015 (November 2015), Seite 22