Regionalverkehr
Der jahrelange Streit um die Regionalisierungsmittel
ist beendet – vorerst
Bund und Länder haben sich über die Höhe der Regionalisierungsmittel – jener
Gelder,
die die Finanzierungsgrundlage der Bundesländer für die Bestellung des
Regionalzugverkehrs
darstellen – geeinigt. Eine gute Nachricht, aber kein Anlass zum
Jubel.
12. Nov 2015
Das Bangen begann Ende 2014, als im Entwurf für den Bundeshaushalt 2015 zu lesen war, dass die Regionalisierungsmittel nicht, wie in den Vorjahren, steigen würden, sondern unverändert bei 7,3 Milliarden Euro liegen werden. Wie kam es? Das Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz – RegG) stand Ende 2014 zur Revision an. Obwohl die Thematik lange bekannt war, konnten sich die Länder lange Zeit nicht auf eine gemeinsame Verhandlungsposition mit dem Bund einigen, da sich die bevölkerungsreichen Bundesländer wie Nordrhein- Westfalen und Baden-Württemberg bei der Aufteilung der Mittel benachteiligt sahen und alle gemeinsam höhere Steigerungsraten als die bisherigen jährlichen 1,5 Prozent forderten. Mit dem Einfrieren der Regionalisierungsmittel wollte der Bund den Druck zur Einigung zwischen Bund und Ländern erhöhen.
Dabei war der Unmut der Länder über den Bund gut nachvollziehbar. Die stark gestiegenen Infrastrukturkosten (DB-Trassen- und Stationsentgelte) und die Belastungen durch die Energiekosten (z.B. EEG-Umlage) verringern seit Jahren die Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesländer bei der Bestellung der Regionalzugverkehre. Deshalb hatten die Länder sich auf der Verkehrsministerkonferenz im Oktober 2014, gestützt
auf Gutachten, auf eine Gesamtforderung in Höhe von 8,5 Milliarden Euro für das Jahr 2015 geeinigt. So viel müsse der Bund den Ländern zahlen, damit diese einen angemessenen Regionalzugverkehr überall in Deutschland anbieten können. Und damit das auch künftig so bleibt, forderten die Verkehrsminister der Länder eine jährliche Steigerung der Regionalisierungsmittel um 2,8 statt der 1,5 Prozent.
Am 24. September 2015 fand eine Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik statt. Ganz nebenbei verständigte man sich überraschend auch zu den Regionalisierungsmitteln. Im Protokoll wurde festgehalten: „Die Regionalisierungsmittel werden in 2016 auf acht Milliarden Euro erhöht und in den Folgejahren jährlich mit einer Rate von 1,8 Prozent dynamisiert. […] Die Regionalisierungsmittel werden entsprechend des Vorschlages der Länder zeitlich verlängert und nach ihrem Vorschlag (Kieler Schlüssel) auf die Länder verteilt. Bund und Länder werden die Dynamik des Anstiegs der Trassenpreise begrenzen.“
Im Klartext heißt das: Bund und Länder haben sich endlich über die Erhöhung der Regionalisierungsmittel als Basis der Finanzierung der Regionalzugverkehre geeinigt. Aber klar ist auch, dass den Ländern 500 Millionen Euro weniger zugestanden werden, als benötigt und gefordert. Damit war der Verständigung der Bundesländer auf eine Neuaufteilung zwischen den Ländern, vereinbart im „Kieler Schlüssel“, die Grundlage entzogen. Denn diese Einigung basierte darauf, dass die bevölkerungsreichen Länder zwar einen höheren Anteil der Regionalisierungsmittel bekommen, aber durch die Aufstockung auf 8,5 Milliarden keines der Bundesländer reale Mittelkürzungen erleidet. Verschärft wurde das Problem dadurch, dass die Dynamisierung mit 1,8 Prozent deutlich unter den von den Ländern geforderten 2,8 Prozent liegt. Das ist gravierend, da die Zusicherung, den Anstieg der Trassenpreise zu begrenzen, eine unverbindliche Aussage ist, die sich in den nächsten Jahre als wertlos erweisen wird.
Betrachtet man die mit 8 Milliarden Euro niedrigere Ausgangsbasis und die niedrigere Dynamisierung, so werden den Ländern im Zeitraum 2016 bis 2030 insgesamt etwa 19,4 Milliarden Euro für die Bestellung von Regionalzugfahrten fehlen! Wer wird diese Finanzierungslücke schließen? Die Länder aus ihren Haushaltsmitteln? Wohl kaum, wurde in der Vergangenheit doch gern der eine oder andere Euro abgezweigt. Das wird sich in Zukunft rächen, denn neben der Bevölkerungszahl zählen bei der Mittelverteilung die bestellten Regionalzugleistungen.
Da nun die Gesamtforderung von 8,5 Milliarden Euro nicht realisiert werden konnte, wurde auch die im Kieler Schlüssel erzielte Einigung über die Aufteilung der Mittel von den bevölkerungsarmen Bundesländern aufgekündigt.
Für Berlin und Brandenburg hätte der Kieler Schlüssel bedeutet, dass sie von der steigenden Gesamtsumme der Mittel anteilig weniger bekommen werden. Demzufolge hätten 2016 von den 8 Mrd. Euro Berlin 5,3559 Prozent (428,472 Mio. Euro) und Brandenburg 5,4274 Prozent (434,192 Mio. Euro) erhalten. Im Jahre 2030, wenn die Übergangs- und Anpassungsphase abgeschlossen ist, bekäme Berlin dann nur noch 4,9394 Prozent und Brandenburg 4,2970 Prozent. Nur der Dynamisierungsrate wäre es zu verdanken, dass trotz sinkenden Anteils die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel rechnerisch nicht weniger werden. Aber, unter Berücksichtigung der Kostensteigerungen schrumpfen sie dennoch und zwingen zu Einsparungen oder Ersatzfinanzierungen.
Da insbesondere die ostdeutschen Länder unter der geringeren Mittelverfügbarkeit leiden werden, haben die betroffenen Minister auf der Verkehrsministerkonferenz am 9. Oktober 2015 in Worms interveniert und die Problematik nochmals diskutiert, jedoch noch ohne konkretes Ergebnis. Aber im Vermittlungsausschuss von Bund und Länder wurde dann am 14. Oktober eine Beschlussempfehlung zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes (DS 18/6370 Vorabfassung) vereinbart. In diesem Gesetzentwurf werden die acht Milliarden Euro ab 2016 sowie die Dynamisierung von 1,8 Prozent bis einschließlich 2031 akzeptiert und festgeschrieben. Ferner wird die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates eine Rechtsverordnung über die Mittelverteilung zu erlassen. Berechnungsgrundlage für die Veränderungen beim Verteilungsschlüssel soll nicht mehr, wie beim Kieler Schlüssel, ein bestimmter Zeitpunkt sein, sondern die Entwicklung der Verkehrsleistung sowie die Bevölkerungsentwicklung sollen berücksichtigt werden. Man darf gespannt sein, wie der neue Kompromiss am Ende aussehen wird.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB begrüßt, dass mit der grundsätzlichen Einigung zwischen Bund und Ländern mehr Planungssicherheit für die kommenden Jahre geschaffen wurde. Er sieht jedoch mit Sorge, dass dem steigenden Verkehrsbedarf in der Region mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Geldern nur unzureichend Rechnung getragen werden kann. Die Lösung darf aber nicht darin bestehen, die Finanzierungslücken durch stärkere Fahrpreiserhöhungen zu schließen. Statt dessen müssen Berlin und Brandenburg alle Regionalisierungsmittel vollständig für Regionalzug- und S-Bahn-Verkehr einsetzen und die faktische Zweckentfremdung der Mittel beenden. Beispielsweise muss Brandenburg die Zuschüsse für den Busverkehr in den Landkreisen künftig aus dem Landeshaushalt finanzieren und nicht länger aus den für den Schienenverkehr bestimmten Bundesgeldern. (BfVst)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 5/2015 (November 2015), Seite 23