Titelthema S-Bahn-Verlängerung
Die seit einem Jahrzehnt festgefahrene Diskussion um das beste Schienenverkehrskonzept für die Erschließung des Havellands westlich vom Bahnhof Berlin-Spandau hat einen neuen Impuls erhalten, der versöhnlich wirken könnte: die Express-S-Bahn. Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert die Länder Berlin und Brandenburg auf, diese Idee sorgfältig zu prüfen.
8. Mai 2016
Sowohl für die S-Bahn-Verlängerung als auch für die Regionalbahnstärkung gibt es verkehrsplanerische Argumente dafür und dagegen. Eine Verständigung beider Lager auf ein gemeinsames Konzept schien bisher aussichtslos. Aber nun ist die S-Bahn Berlin GmbH mit einem Kompromiss-Lösungsvorschlag an die Öffentlichkeit gegangen, für den sich S-Bahn-Chef Peter Buchner persönlich engagiert.
Das Konzept geht von einem größtenteils eingleisigen, teilweise aber auch zweigleisigen S-Bahn-Neubau mit herkömmlicher Stromschiene nördlich der vorhandenen Fern-/Regionalbahngleise von Spandau bis Nauen aus. Dadurch können die Regionalzüge der Linien RB 10/14 größtenteils
durch S-Bahnen ersetzt werden. Als Fahrzeuge kommen auf der Express-S-Bahn herkömmliche 100 km/h schnelle S-Bahn-Züge ohne spezielle Express-Ausrüstung zum Einsatz.
Das von der S-Bahn vorgeschlagene Fahrplankonzept:
Im Detail ist das sicherlich noch zu überprüfen, weil damit zum Beispiel die S-Bahnhöfe westlich vom Bahnhof Spandau bereits ab 21 Uhr im 30- statt 20-Min-Takt angefahren würden. Wünschenswert wäre innerhalb Berlins – also bis Albrechtshof – in der HVZ perspektivisch ein 10-Minuten-Takt (gem. Vorgabe im Nahverkehrsplan).
Potenzial für eine S-Bahn ins Havelland besteht zweifellos. Bisher pendeln 25 000 Personen werktags auf der Achse Havelland—Spandau – d ie meisten mit dem Auto. Die Regionalzüge sind an der Grenze der Leistungsfähigkeit, ebenso wie die Kapazität der Schienenstrecken, die durch Fern- und Güterverkehr belegt sind. Eine Taktverdichtung des Regionalverkehrs ist also nicht ohne Infrastrukturausbau möglich.
Hinzu kommt der unterdimensioniert gebaute Bahnhof Spandau, der mit seinen vier Fern-/Regional-Bahnsteiggleisen einen Engpass für die aus beiden Richtungen einmündenden je zwei doppelgleisigen Strecken darstellt (von Nauen und Wustermark sowie von Jungfernheide und Charlottenburg).
Zusätzlich zu der Express-S-Bahn sollen die Regionalexpresszüge RE 2 und RE 6 wie bisher verkehren, wobei der RE 6 unabhängig von der Falkensee-Planung perspektivisch auf der Kremmener Bahn über Tegel nach Gesundbrunnen geführt werden soll, somit also für Falkensee ohnehin nicht mehr zur Verfügung steht. Um so wichtiger ist ein verlässliches und vertaktetes Angebot Richtung Nauen.
Auch darin unterscheidet sich das Express-S-Bahn-Konzept von den vorangegangenen: Bisherige Planungen sahen den S-Bahn-Endpunkt in Falkensee oder Finkenkrug vor, mit dem Problem, dass so die Regionalzüge zur Bedienung von Nauen und Brieselang nicht eingespart werden konnten und ein Umsteigezwang in Falkensee oder Spandau entsteht. Mit der Führung der Express-S-Bahn bis Nauen wird dieser Substitutionseffekt möglich und der Umsteigezwang zur Stadtbahn entfällt. Dennoch erhöht sich der Zug-Kilometer-Aufwand für die Express-S-Bahn im 20-Min-Takt gegenüber den Regionalbahnen RB 10/RB 14 im 30-Min-Takt auf Brandenburger Gebiet um die Hälfte. Gemessen an dem heutigen völlig unzureichenden Regionalzug-Angebot ist das aber eine notwendige und sinnvolle Mehrausgabe.
Auf Berliner Gebiet bleiben die Zug-Kilometer für die Express-S-Bahn etwa konstant.
Hinzu kommt natürlich das Mehrangebot der neuen Bedienung von Spandau bis Albrechtshof durch die Lokalzüge.
Die S-Bahn bietet damit hinsichtlich Sitzplatzanzahl, Betriebszeit, Taktfahrplan (s. Tabelle Seite 7) und Pünktlichkeit ein deutlich besseres Angebot. Störungen im S-Bahn- System rühren so nur aus diesem selbst her, und nicht wie bisher im Regional-/Fernverkehr auf der Strecke aus den störanfälligen Knoten Berlin und Hamburg (!). Aufenthalte der Regionalzüge wegen planmäßiger oder verspäteter Überholungen durch den Fernverkehr sind so nicht mehr nötig.
Für einige wenige Direktverbindungen ergeben sich erwartungsgemäß mit der Express-S-Bahn Fahrzeitverlängerungen, so beim Extrembeispiel Nauen—Berlin Hbf mit RB 10 über Jungfernheide 35 Minuten, mit Express-S-Bahn 47 Minuten. Dafür besteht die S-Bahn-Verbindung alle 20 Minuten, die RB 10 verkehrt nur stündlich. Zudem ist unklar, wie lange die erst vor wenigen Jahren nach Berlin Hbf und Südkreuz verlängerte RB 10 noch in dieser Form weiterhin bestellt und gefahren wird. Mit dem RE 2 erreicht man den Hbf weiterhin stündlich in 32 Minuten via Zoo.
Für alle anderen Relationen sind die Fahrbzw. Reisezeiten der Express-S-Bahn mit denen der Regionalzüge RB 10/RB 14 vergleichbar oder sogar schneller, da der Umsteigezwang zu reinen S-Bahnhöfen entfällt. Durch die Direktverbindungen wird die Fahrt berechenbarer und bequemer, weil das Risiko des Anschlussverlustes entfällt. Deutlich macht sich der Fahrzeitgewinn zu den Zielen auf dem westlichen Südring bemerkbar, da die Express-S-Bahn in Westkreuz direkt den Anschluss zur Ringbahn herstellt, während die RB 14 erst in Charlottenburg hält.
Würde man zusätzlich die Reisezeiten von Haustür zu Haustür vergleichen, so würde das Ergebnis sicherlich für fast alle Fahrgäste eindeutig zugunsten der Express-S-Bahn ausfallen, denn – wie oben erwähnt – fährt die S-Bahn häufiger, was allen Fahrgästen nutzt, ganz besonders aber denen, die von oder zur S-Bahn noch andere Bahnen oder Busse nutzen müssen.
Eine bessere Erschließung Spandaus durch zwei neue Bahnhöfe zwischen Berlin-Spandau und Albrechtshof ist nur durch die S-Bahn möglich. Eine Regionalverkehrslösung mit diesen zusätzlichen Halten an einem „dritten Regionalbahngleis“ zwischen Falkensee und Spandau ist nicht sinnvoll, da es sich hier eindeutig um eine innerstädtische Feinverteilungsaufgabe handelt, für die die S-Bahn und nicht der Regionalverkehr geeignet ist.
Außerdem würden weitere Regionalzughalte die Fahrzeit der RB 10/14 für die Nauener und Falkenseer Fahrgäste noch mehr verlängern. Somit verschöbe sich der Fahrzeitvorteil noch weiter Richtung Express-S-Bahn. Dieser Aspekt ist in der Fahrzeitvergleichtabelle (Seite 9) nicht berücksichtigt, da für die RB 10/14 vom heutigen Stand ohne Halte in Nauener Straße und Hackbuschstraße ausgegangen wird.
Die Express-S-Bahn bietet auch in diesem Fall einen Kompromiss zwischen den Interessen der Nauener und Falkenseer (kurze Fahrzeiten) und denen der Spandauer Fahrgäste (S-Bahn-Anschluss auch westlich des Bahnhofs Spandau).
Die IGEB hält die Express-S-Bahn für eine unterstützenswerte Idee, die weiter untersucht werden sollte und die als Kompromissvorschlag taugt. Als nächster Schritt sollte eine Nutzen-Kosten-Untersuchung durchgeführt werden (auch wenn es bereits die dritte oder vierte zum Thema „S-Bahn nach Falkensee“ ist).
Das Produkt „Express-S-Bahn“ würde für die vielen Auto fahrenden Havelländer sicher ein deutlicher Anreiz sein, für Ihre Fahrt nach Berlin auf die Bahn umzusteigen. Sie wäre aber zugleich auch attraktiv für den Verkehr innerhalb des Landkreises Havelland. (fm)
Die S-Bahn Berlin GmbH zum Express-S-Bahn-Konzept:
www.s-bahn-berlin.de/unternehmen/firmenprofil/infrastruktur_umland.htm
IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
aus SIGNAL 2/2016 (Mai 2016), Seite 8-10