Titelthema S-Bahn-Verlängerung
Land Brandenburg lässt S-Bahn-Verlängerungen unter suchen
8. Mai 2016
Das Land Brandenburg hat ehrgeizige Ziele: Die Verkehrsplanung insgesamt und die für den Schienenpersonennahverkehr sollen auf soliden Grundlagen und mit breiter Beteiligung entwickelt werden und der Politik einen verlässlichen Handlungsrahmen bis zum Jahr 2030 liefern.
Aktueller Anlass für den Blick in die Zukunft ist die Notwendigkeit, bis Ende 2017 einen neuen Landesnahverkehrsplan für die Jahre 2018 bis 2022 zu erarbeiten. Und hierbei will das Land offensichtlich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen (siehe u. a. SIGNAL 4/2013). Denn für die Landesnahverkehrspläne 2008 bis 2012 und 2013 bis 2017 gab es fast überhaupt keine bzw. eine noch verbesserungsfähige Beteiligung. Vor allem aber zeichneten sich beide Pläne durch fehlende Zukunftsperspektiven aus.
Anders als bei der Straßenplanung wurde nicht die Frage gestellt, wieviel Schienenverkehr das Land Brandenburg hinsichtlich seiner Landesentwicklung sowie unter verkehrs- und umweltpolitischen Gesichtspunkten braucht, sondern es wurde lediglich ermittelt, wie viel es sich aufgrund der
Regionalisierungsmittel des Bundes leisten kann. Der Gedanke, bei Bedarf zusätzlich Landesmittel einzusetzen, war tabu – ebenso Netzerweiterungen. Auch das Thema „Trassenfreihaltungen“ wurde ausgeklammert.
Nicht zuletzt als Ergebnis des Koalitionsvertrags 2014 von SPD und LINKE soll das nun besser werden. Deshalb wurde für 2016 ein umfangreiches Untersuchungspaket geschnürt. Gesteuert, teils auch bearbeitet werden die Untersuchungen vom VBB. Dabei sollen auch die neuen Bevölkerungsprognosen für die Länder Berlin und Brandenburg aus dem Jahr 2015 einfließen.
Einer von drei Untersuchungsschwerpunkten, die Korridoruntersuchungen für den Stadtumlandverkehr Berlin/Brandenburg, wurde im März 2016 den brandenburgischen Gemeinden im Umland von Berlin vorgestellt und anschließend veröffentlicht. Präsentiert wurden allerdings nur die vier Korridore, bei denen S-Bahn-Verlängerungen in das bzw. im Umland als Variante vorgesehen sind.
Insgesamt wurden 18 Stadtumlandkorridore definiert (siehe Abbildung). Für diese wurden bzw. werden verschiedene Angebots- und Betriebskonzepte entwickelt, dann die jeweils zu erwartenden Fahrgastzahlen errechnet und diese dem sogenannten Nullfall (keine zusätzlichen Investitionen als ohnehin geplant oder bereits in Umsetzung) gegenübergestellt.
Bei den Stadtumlandverkehren muss man sich keine Gedanken machen hinsichtlich der Fahrgastzahlen. Diese werden hoch sein, da der Verkehr zwischen Berlin und seinem brandenburgischen Umland wächst und weiter wachsen wird. Dennoch könnte das Nutzen-Kosten-Verhältnis in den meisten Fällen zu schlecht sein. Denn dem hohen Nutzen stehen hohe Kosten gegenüber. Hintergrund ist, dass im Berliner bzw. Berlin-nahen Siedlungsraum besonders viele Brücken zu bauen sind und dass durch die Dichte Besiedlung fast überall mit aufwändigen und teuren Schallschutzmaßnahmen zu rechnen ist.
Wenn es nicht gelingt, die Kosten für den Schallschutz beim Schienenverkehr anders einzurechnen oder – besser noch – aus den Nutzen-Kosten-Untersuchungen herauszulassen, ist zu befürchten, dass viele Stadtumlandstrecken trotz prognostizierter hoher Fahrgastzahlen aufgrund der hohen Investitionskosten für den Schallschutz nur einen Nutzen-Kosten-Faktor unter 1 erreichen und damit als volkswirtschaftlich nicht sinnvoll eingestuft werden.
Beim Korridor Berlin—Falkensee—Nauen wird neben den Varianten „S-Bahn nach Finkenkrug“ und „Verbesserung Regionalverkehr“ auch die Variante „S-Bahn nach Nauen“ untersucht. Nach Aussage des Ministeriums wird hier auch die Idee einer Express-S-Bahn betrachtet.
Auch für den Korridor Berlin—Blankenfelde—Rangsdorf werden zwei Varianten für eine eigentlich längst verworfene S-Bahn-Verlängerung untersucht: von Blankenfelde bis zu einem neuen Bahnhof Dahlewitz Rolls-Royce oder eine Station weiter bis Rangsdorf.
Beim Korridor Berlin—Hennigsdorf—Velten gibt es nur eine S-Bahn-Variante: Verlängerung von Hennigsdorf nach Velten. Alternativ wird die Durchbindung des RE 6 auf der Kremmener Bahn von Hennigsdorf nach Berlin-Gesundbrunnen untersucht.
Sehr viel komplexer sind die Untersuchungen beim Korridor Berlin—Teltow/Kleinmachnow/Stahnsdorf. Hier werden eine S-Bahn-Verlängerung von Teltow Stadt nach Stahnsdorf (Sputendorfer Straße), eine von Teltow Stadt bis Berlin-Wannsee (Ringschluss), eine von Zehlendorf bis Dreilinden und eine von Zehlendorf über Dreilinden bis Potsdam untersucht. Für die Stammbahn werden außerdem noch zwei Regionalverkehrsvarianten betrachtet: von Berlin nach Potsdam über Dreilinden oder über Wannsee.
Unverständlich ist, dass hier die zwei Varianten einer Verlängerung der S 25 über Teltow hinaus den vier Varianten einer Wiederinbetriebnahme der Stammbahn gegenübergestellt werden. Angesichts der dynamischen Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung im Raum Berlin/Potsdam müssten auch Varianten mit einer S 25-Verlängerung UND einem Regionalzugverkehr auf der Stammbahn untersucht werden.
Es ist ein großer Gewinn, dass das Land Brandenburg seine im letzten Landesnahverkehrsplan noch einmal dokumentierte grundsätzliche „Anti-S-Bahn-Haltung“ aufgegeben hat und S-Bahn-Verlängerungen nicht länger tabu sind. Damit ist allerdings noch völlig offen, ob es im Ergebnis der Korridoruntersuchungen tatsächlich zu S-Bahn-Verlängerungen kommen wird. Denn bekanntermaßen kann man die Nutzen-Kosten-Untersuchungen (NKU) durch Drehen an den richtigen Stellschrauben in die gewünschte Richtung lenken. Das haben die NKU zur Stammbahn, zur S-Bahn-Verlängerung über Spandau hinaus und zur U5-Verlängerung in Berlin-Mitte gezeigt.
Positiv ist, dass das Land Brandenburg (im Gegensatz zu Berlin) seine Untersuchungsergebnisse stets veröffentlich hat. In der Erwartung, dass das auch bei den Korridoruntersuchungen geschieht, besteht dann zumindest die Möglichkeit, die Ergebnisse differenziert zu diskutieren. Dabei ist der Blick insbesondere auf Trassenfreihaltungen zu legen. Denn wenn einst vorhandene oder geplante Schienentrassen aufgegeben und bei künftigen Bauvorhaben aller Art nicht berücksichtigt werden, ist das in der Regel unumkehrbar, auch wenn vielleicht schon in einigen Jahren immer mehr Menschen auf den Schienenverkehr umsteigen wollten.
Informationen zur Mobilitätsstrategie und zu den Korridoruntersuchungen gibt es auf der Internetseite des Ministeriums für Infrastruktur und Landesentwicklung: www.mil.brandenburg.de
IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
aus SIGNAL 2/2016 (Mai 2016), Seite 11-12