Fernverkehr

Rahmenbedingungen für den Schienenpersonenfernverkehr endlich verbessern!

Ein Gesetz zum Schienenpersonenfernverkehr wurde entgegen der Vorgabe in Artikel 87e Grundgesetz bislang nicht erlassen. Jetzt gibt es eine neue Gesetzesinitiative, gestartet vom Bundesland Rheinland-Pfalz.


Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und IGEB Fernverkehr

8. Mai 2016

Bahnhof Görlitz. Mit einem Schienenpersonenfernverkehrsgesetz würden verbindliche Rahmenbedingungen geschaffen, so dass auch die Grenzstadt Görlitz (rund 55 000 Einwohner, zusammen mit Zgorzelec rund 87 000) eine Fernbahnanbindung erhalten würde. Foto: Christian Schultz

Durch die Bahnreform, die zum 1. Januar 1994 in Kraft trat, sollten u. a. größere Anteile des wachsenden Verkehrsaufkommens von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Tatsächlich gab es allerdings nur im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) anteilsmäßig Zugewinne, im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) in Bezug auf die Anzahl der beförderten Personen dagegen deutliche Rückgänge (siehe Tabelle).

Stagnation bei der Entwicklung des Schienenpersonenfernverkehrs in Deutschland

Die Deutsche Bahn AG konzentrierte ihr Angebot im SPFV seit 1994, entsprechend betriebswirtschaftlicher Zwänge, schrittweise auf nachfragestarke Linien. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch

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Milliarden-Investitionen in Neu- bzw. Ausbaustrecken, wie z. B. Berlin—Hannover (Inbetriebnahme 1998), Köln—Frankfurt am Main (Inbetriebnahme 2002), Nürnberg—Ingolstadt (Inbetriebnahme 2006) und zuletzt Leipzig/Halle—Erfurt (Inbetriebnahme 2015). In vielen Relationen, insbesondere in den Randlagen, wurde das Angebot dagegen reduziert bzw. komplett eingestellt. Diese Negativentwicklung gipfelte in der Einstellung des letzten InterRegios am 27. Mai 2006.

Lübeck Hbf. Auch die traditionsreiche Hansestadt (rund 215.000 Einwohner) würde von einem Schienenpersonenfernverkehrsgesetz profitieren und besser angebunden, als das heute der Fall ist. Foto: Christian Schultz

Insgesamt reduzierte sich die Länge des im Fernverkehr bedienten Streckennetzes deutlich um rund 3 700 km. Geblieben sind für den Bahnkunden in vielen Relationen unbefriedigende Angebotslücken mit der Folge von vermehrten Umsteigezwängen.

Bahnreform verfehlt Ziel

Obwohl bereits wenige Jahre nach der Bahnreform unzweifelhaft erkennbar war, dass das Ziel, im SPFV mehr Verkehr auf der Schiene abzuwickeln, nicht erreicht wird, wurde seitens der Politik nicht nachgesteuert.

Frankfurt (Oder). Die Ausschreibung von Teilnetzen als Ziel eines Schienenpersonenfernverkehrsgesetzes (bzw. der Verordnung zu diesem Gesetz) würde es anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen erleichtern, in den von der DB beherrschten deutschen Fernbahnverkehr einzusteigen. Foto: Christian Schultz

Die o. g. Angebotsreduzierungen erfolgten dabei trotz der Tatsache, dass die Gewährleistung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr auch nach der Bahnreform eine Aufgabe der Daseinsvorsorge des Staates ist! Dies ist auf höchster gesetzlicher Ebene, dem Grundgesetz (GG), geregelt. Der Artikel 87e Absatz 4 dieses Gesetzes weist hier dem Bund die Verantwortung für den SPFV zu:

„Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt“.

Entwurf eines Gesetzes zur Gestaltung des Schienenpersonenfernverkehrs (Schienenpersonenfernverkehrsgesetz – SPFVG)

Ein Vorschlag des Deutschen Bahnkunden-Verbands (DBV) und des Berliner Fahrgastverbands IGEB auf der Basis der Initiative aus Rheinland-Pfalz

Gesetz zur Gestaltung des Schienenpersonenfernverkehrs (Schienenpersonenfernverkehrsgesetz – SPFVG)
§1 Gewährleistungsauftrag
  1. Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung von Städten ab 50 000 Einwohnern mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, im Bereich des öffentlichen Schienenpersonenfernverkehrs mindestens durch ein Grundangebot Rechnung getragen wird. Zusammen mit den Angeboten des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) soll ein integriertes öffentliches Verkehrsangebot geschaffen und gesichert werden.
  2. Die Gewährleistung des Bundes für den SPFV erstreckt sich auf die öffentliche Beförderung von Personen in Eisenbahnzügen über 100 km.
  3. Soweit die Aufgabenträger des SPNV beabsichtigen, einen Verkehrsbedarf, der neben dem SPNV auch maßgeblich dem SPFV zuzuordnen ist, durch Zugangebote im SPNV abzudecken, soll sich der Bund an der Finanzierung angemessen beteiligen.
  4. Der Bund hat zur Erfüllung des Gewährleistungsauftrags – vergleichbar den SPNV-Aufgabenträgern – uf Bundesebene eine Aufgabenträgerorganisation für den SPFV einzurichten.
  5. Für die Beförderung von Personen im SPFV ist, entsprechend dem SPNV, bei Fahrausweisen der ermäßigte Steuersatz anzuwenden.

§2 Schienenpersonenfernverkehrsplan (SPFV-Plan)
  1. Die erforderliche Entwicklung des SPFV, mindestens jedoch das sicherzustellende Grundangebot nach §1, stellt der Bund in einem SPFV-Plan dar, welcher der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die Aufstellung erfolgt erstmals bis spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes. Er wird spätestens alle drei Jahre fortgeschrieben und veröffentlicht. Die Aufgabenträger des SPNV sind bei der Aufstellung und Fortschreibung zu beteiligen. Zu beteiligen sind an der Erstellung und Fortschreibung des SPFV-Plans generell auch die bundesweiten Fahrgastverbände.
  2. Der SPFV-Plan stellt mindestens die pflichtig durch Züge des Fernverkehrs anzubindenden Orte, die Verknüpfungspunkte, die zu befahrenden Linien, die Taktfolge und die tägliche Bedienungszeit auf den einzelnen Linien dar. Insbesondere sind alle Oberzentren anzubinden. Das Prinzip des Integralen Taktfahrplans ist zu beachten. Der SPFV-Plan kann darüber hinaus Ziele und Vorgaben für die Qualität und die anzuwendenden Tarife enthalten. Die Aufgabenträgerorganisation für den SPFV hat dabei sicherzustellen, dass ein SPFV, bezogen auf den Tagesreisezugverkehr, flächendeckend bzw. bundesweit mindestens im 2-Stunden-Takt angeboten und bezuschusst wird.
  3. Wichtige Ziele im benachbarten Ausland und in touristischen Regionen sollen angebunden sein. Auf geeigneten Strecken sollen auch Verbindungen im Nachtreisezugverkehr angeboten werden.
  4. Der SPFV-Plan soll die Angebotsplanung der Verkehrsunternehmen des SPFV aufgreifen und dort ergänzende oder abweichende Regelungen vorsehen, wo dies zur Erfüllung des Gewährleistungsauftrags nach §1 geboten ist.
  5. Mindeststandards bezüglich des Fernverkehrsangebots auf der Schiene sind in der Verordnung zur Durchführung dieses Gesetzes festgelegt und sind bei der Erstellung bzw. Fortschreibung des SPFV-Plans verbindlich einzuhalten.

§3 Mitwirkungspflichten

Die Eisenbahnverkehrsunternehmen und die Aufgabenträger des SPNV sind verpflichtet, der vom Bund mit der Erstellung des SPFV-Plans beauftragten Stelle die für die Aufgabe erforderlichen und verfügbaren Informationen kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

§4 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Dieses Bundesgesetz gibt es jedoch bis heute nicht. Die wiederholt vorgetragene Darstellung des Bundes, er nehme diese grundgesetzliche Verantwortung bereits durch die Bereitstellung von Investitionsmitteln für die Schienenwege in ausreichender Weise wahr, entspricht keineswegs dem Anliegen des zitierten Absatzes im Grundgesetz. Ausdrücklich wird hier nämlich eine Gewährleistung von Verkehrsangeboten auf dem Schienennetz gefordert.

Gibt es Geld nur für Investitionen in die Schienenwege, ist nicht gesichert, dass anschließend auch entsprechende Verkehrsangebote im SPFV, insbesondere auf eigenwirtschaftlicher Basis, erbracht werden.

Auch die zum 1. Januar 2013 vollzogene Fernbusliberalisierung stellt keinen Ersatz für den genannten Gesetzesauftrag dar. Es kommt hinzu, dass sich Fernbusangebote im Wesentlichen ebenfalls auf lukrative Strecken zwischen Großstädten bzw. auf einen Parallelverkehr zu ICE- und IC-Linien konzentrieren.

Bund entzieht sich seiner Verantwortung

Des Weiteren hat die im Jahr 1996 umgesetzte Regionalisierung, d. h. die Übertragung der Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für den SPNV an die Bundesländer, zu der Praxis geführt, Fernverkehrsangebote einzustellen und als Schienenpersonennahverkehr durch die Bundesländer bestellen zu lassen. Dieses Verfahren entspricht jedoch nicht der Zweckbestimmung der Finanzmittel aus dem Regionalisierungsgesetz und stellt eine Verantwortungsverlagerung vom Bund auf die Länder dar – verbunden mit den entsprechenden finanziellen Belastungen. Angesichts der kritischen Finanzausstattung bezüglich der Regionalisierungsmittel bzw. angesichts der Tatsache, dass in naher Zukunft weitere Abbestellungen von Zugleistungen im Regionalverkehr drohen, ist dies nicht hinnehmbar.

Überfällig ist daher ein Gesetz bezüglich der Regelung der in Artikel 87e GG geforderten Gemeinwohlaufgaben.

Gesetzesinitiative aus Rheinland-Pfalz

Nach mehreren erfolglosen Gesetzesinitiativen wurde 2015 ein neuer Anlauf unter Federführung des Bundeslandes Rheinland-Pfalz gestartet und ein Entwurf eines Gesetzes zur Gestaltung des Schienenpersonenfernverkehrs (Schienenpersonenfernverkehrsgesetz – SPFVG) vorgestellt. Diese Bundesratsinitiative wird inzwischen auch von den Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen und Saarland unterstützt. Unverständlich: Die Unterstützung der übrigen Bundesländer fehlt – noch?

Seitens des Deutschen Bahnkunden-Verbands (DBV) und des Berliner Fahrgastverbands IGEB wurde der Gesetzentwurf im Hinblick auf Fahrgastbelange konkretisiert. Diese ergänzte bzw. erweiterte Version ist nachfolgend abgedruckt. Neben Regelungen zu einem Grundangebot des Tagesreisezugverkehrs enthält dieser Entwurf auch Regelungen zum Nachtreisezugverkehr.

Nach der Einstellung des bei den Bahnkunden beliebten InterRegio-Angebots ist nun ab Ende 2016 auch die Einstellung der wenigen verbliebenen Nachtreisezugverbindungen beschlossene Sache und schafft damit – sollten hier keine Korrekturen mehr erfolgen – weitere gravierende Angebotslücken bzw. deutliche Einbußen an Reisequalität im Schienenverkehr. Inwieweit die innerdeutschen Nachtreisezug-Angebote in Zukunft durch die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) fortgeführt werden, ist noch offen.

Verordnung zur Durchführung des Schienenpersonenfernverkehrsgesetzes

Ein Vorschlag des Deutschen Bahnkunden-Verbands (DBV) und des Berliner Fahrgastverbands IGEB auf der Basis der Initiative aus Rheinland-Pfalz

Mit dieser Verordnung werden Inhalte des Schienenpersonenfernverkehrsgesetzes (SPFVG) näher bestimmt. Diese bilden die Grundlage für die Erstellung bzw. Fortschreibung der SPFV-Pläne und stellen Mindestanforderungen dar.

§1 Anforderungen an das Liniennetz des Tagesreisezugverkehrs
  1. Die definierten Fernverkehrs-Teilnetze, die im Ausschreibungsverfahren vergeben werden, umfassen ein Gesamtnetz von mindestens 11 100 km als Daseinsvorsorge entsprechend Artikel 87e Absatz 4 GG (Basis ist hierfür das ehemalige InterRegio-Netz mit Bezugsjahr 1996/97).
  2. Zur Gewährleistung attraktiver Fahrzeiten beträgt der durchschnittliche Halteabstand 30 km.
  3. Zur Gewährleistung eines attraktiven Angebots bzw. zur Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet stellt der Zwei-Stunden-Takt (Montag bis Sonnabend von 6 Uhr bis 20 Uhr, Sonntag von 8 Uhr bis 20 Uhr) das Mindestangebot dar.
  4. Zur Förderung der Elektromobiliät ist die Elektrotraktion auf den Linien entsprechend SPFV-Plan Ziel. Der SPFV-Plan bildet zu diesem Zweck auch die Planungsgrundlage für Neu- und Ausbauplanungen sowie Kapazitätsanpassungen im Schienennetz und beinhaltet zur Zielerreichung ebenfalls eine Prioritätensetzung (insbesondere bei Projekten zur Strecken-Elektrifizierung).

§2 Mindestangebot des Nachtreisezugverkehrs

Nachfolgend benannte Linien bilden das Mindestangebot des Nachtreisezugverkehrs:
  • (Binz—) Berlin—München (—Mittenwald—Innsbruck)
  • (Westerland—) Hamburg—München—Wien
  • Kopenhagen—Hamburg—Frankfurt (Main)—Basel—Zürich
  • Warnemünde/Rostock—Berlin—Frankfurt (Main)—Basel—Zürich
  • Warschau—Berlin—Köln—Aachen—Brüssel
  • Berlin—Frankfurt (Main)—Saarbrücken—Paris

Bei Verbindungen, die in Klammern gesetzt sind, kann eine saisonale Beschränkung erfolgen (in Kursivdruck internationale Durchbindungen).

§3 Spezifische Anforderungen an Fahrzeuge

Folgende Mindestanforderungen müssen die Fahrzeuge, die auf den Linien entsprechend SPFV-Plan zum Einsatz kommen, erfüllen:
  1. Es kommen auf den o. g. Teilnetzen lokbespannte Doppelstockzüge oder Doppelstock-Triebzüge mit einer fahrzeugseitig zulässigen Höchstgeschwindigkeit von mindestens 160 km/h zum Einsatz. Bei Neubeschaffung von Fahrzeugen sind vorzugsweise Triebzüge für eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h vorzusehen.
  2. Die Regelzugstärke umfasst 6 Wagen.
  3. In jeder Zugeinheit sind mindestens 25 Fahrradstellplätze vorzusehen.
  4. In jeder Zugeinheit ist ein Bistro als erviceeinrichtung vorzusehen.
  5. Mobilitätseingeschränkten Fahrgästen soll die Benutzung mindestens eines Wagens im Zugverband ohne Hilfe Dritter, z. B. durch Personal, möglich sein.
  6. Bei einer Neubeschaffung von Triebzügen ist die schnelle Kuppelbarkeit mittels automatischer Kupplung (zur Bildung von Flügelzügen) vorzusehen.
  7. Bei Neubeschaffung von Fahrzeugen sind Einstiege optimiert für Bahnsteighöhen von 550 mm vorzusehen.
  8. Zur Gewährleistung eines hohen Komforts sind bei Fahrzeug-Neubeschaffungen Reihensitze, Vis-a-vis-Sitze und Sitze in Abteilen zu jeweils einem Drittel in jeder Zugeinheit sowohl in der 1. als auch 2. Wagenklasse vorzusehen. Eine ungehinderte Sicht nach außen ist von allen Plätzen zu gewährleisten (Fensterteilung). Sitze der 1. Wagenklasse sind zu gleichen Teilen im Ober- und Unterdeck vorzusehen.
  9. Ausreichend Gepäckaufbewahrungsmöglichkeiten (Regale/Ablagen) sind in Sichtweite der Sitzplätze vorzusehen.
  10. In Zügen des Nachtreiseverkehrs sind Schlaf-, Liege-, Sitzwagen der 1. und 2. Wagenklasse, weiterhin ein Bistrowagen vorzusehen. Bestandteil jeder Zugeinheit sind 25 Fahrradstellplätze.

§4 Anforderungen an die Tarifgestaltung

  1. Ein einheitlicher Tarif und ein einheitliches Vertriebsnetz sind grundsätzlich unabhängig von den Ergebnissen einer Teilnetz-Ausschreibung sicher zu stellen.
  2. Das durchschnittliche Preisniveau liegt 25 Prozent unterhalb des heutigen ICE- bzw. IC-Niveaus.

Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und IGEB Fernverkehr

aus SIGNAL 2/2016 (Mai 2016), Seite 23-25