Fernverkehr
ffentlichkeitsbeteiligung mit einem Torso, denn viele Schienenprojekte sind
noch nicht bewertet
Am 16. März 2016 präsentierte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt den
Entwurf des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) 2030. Der Plan enthält insgesamt
rund 1000 Projekte mit einem Investitionsvolumen von 264,5 Milliarden Euro, 91 Milliarden
Euro mehr als der Bundesverkehrswegeplan 2003. Von dem Gesamtbetrag
soll ein Anteil von 49,4 Prozent auf den Verkehrsträger Straße, 41,3 Prozent auf die
Schiene und 9,3 Prozent auf die Wasserstraßen entfallen. Die autofixierte Politik der
vergangenen Jahrzehnte wird somit konsequent fortgesetzt; die notwendige Verkehrswende
ist damit nicht zu erreichen. Dies wäre aber eigentlich die vordringliche
Aufgabe einer verantwortungsvollen Verkehrs- und Umweltpolitik.
9. Jul 2016
Für die neuen Vorhaben erfolgte im Bundesverkehrswegeplan 2030 eine Unterteilung in die Dringlichkeitsstufen
Bis 2030 wird beim Straßenverkehr ein Zuwachs der Transportleistung von 437,3 Mrd. tkm auf 607,4 Mrd. tkm erwartet. Das sind +170,1 Mrd. tkm bzw. +38,9 Prozent. Beim Schienenverkehr wird ein Zuwachs von 107,6 Mrd. tkm auf 153,7 Mrd. tkm prognostiziert,
also +46,1 Mrd. tkm bzw. +42,8 Prozent. Generell kann es nicht verkehrspolitisches Ziel sein, dass mit dem Ausbau der Infrastruktur auf das ungehemmte Verkehrswachstum reagiert wird. Hier sind verkehrspolitische Steuerungsmaßnahmen zur Begrenzung des Verkehrswachstums schwerpunktmäßig auf der Straße dringend erforderlich bzw. überfällig.
Im Entwurf des Bundesverkehrswegeplans wird ausgeführt, dass durch die Straßenbauvorhaben des vordringlichen Bedarfs/vordringlichen Bedarfs – Engpassbeseitigung Kapazitätsengpässe auf den Autobahnen auf einer Streckenlänge von rd. 1700 Richtungskilometern abgebaut werden. Damit sollen ca. 40 Prozent der ansonsten auf Autobahnen zu erwartenden Stauzeiten vermieden werden.
Durch die im Zielnetz vorgesehenen Schienenmaßnahmen können dagegen lediglich nur rund 11 Prozent der sonst zu erwartenden Zugverspätungen abgebaut werden.
Dieses Missverhältnis ist nicht nachvollziehbar und zeigt einen erheblichen Nachholbedarf im Bereich der Schieneninfrastruktur, insbesondere in den Knoten. Bei der Verteilung der Investitionsmittel ist daher eine Korrektur erforderlich, um hier mindestens eine Angleichung zu gewährleisten.
In seiner nationalen Nachhaltigkeitsstrategie hatte sich der Bund zum Ziel gesetzt, den Anteil der Schiene am Güterverkehr auf 25 Prozent im Jahr 2015 zu erhöhen. Dieses Ziel wurde mit rund 17 Prozent deutlich verfehlt.
Eine Ursache hierfür sind die seit Jahrzehnten unzureichende Bereitstellung von Investitionsmitteln zum Ausbau der Schieneninfrastruktur bzw. eine falsche Prioritätensetzung bei der Auswahl der Projekte.
Die Länder Österreich und Schweiz verfolgen dagegen als Teil einer Nachhaltigkeitsstrategie aktiv die Verkehrsverlagerung auf umweltverträgliche Verkehrsträger. Dies wird bei der Verteilung der staatlichen Investitionen in die Infrastruktur entsprechend berücksichtigt (siehe Grafik der Allianz pro Schiene „Staatliche Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur 2014“). Die Mittelverteilung der Investitionsvolumina muss daher auf Grundlage des Szenarios 3 (Stärkung Schiene/Wasserstraße) im Entwurf des Bundesverkehrswegeplans 2030 angepasst werden. Berücksichtigt werden muss hierbei, dass im Güterverkehr auf der Schiene um den Faktor 4,5 geringere Kohlendioxid-Emissionen je Tonnenkilomter entstehen als beim Lkw-Verkehr.
Im vorliegenden Entwurf des Bundesverkehrswegeplans wurde eine zusätzliche Neuinanspruchnahme von Flächen für Verkehrszwecke in einer Höhe von 15.792 Hektar durch Projekte des vordringlichen Bedarfs bzw. des vordringlichen Bedarfs – Engpassbeseitigung errechnet. Dieser Wert mag im Vergleich zum Bundesverkehrswegeplan 2003 bereits reduziert worden sein, ist angesichts einer Verkehrsfläche in Deutschland von derzeit bereits rund 18 100 km² trotzdem nicht zu rechtfertigen. Zum Vergleich: das Bundesland Thüringen hat eine Fläche von 16 172 km². Die Neuinanspruchnahme von Flächen beispielsweise durch den Neubau von Ortsumgehungen muss daher mit dem Rückbau bzw. der Entsiegelung von Straßenverkehrsflächen an anderer Stelle als Ersatzmaßnahme einhergehen.
Durch die im Bundesverkehrswegeplan 2030 untersuchten Straßenprojekte wurde eine Verringerung der Nachfrage an Schienenpersonenfahrten (bezogen auf die Verkehrsleistung) um rund 97,7 Mio. Personenkilometer pro Jahr errechnet. Da mit derartigen Entwicklungen Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele konterkariert werden, besteht erheblicher Korrekturbedarf bezüglich der Bewertung von Straßenprojekten. Um o. g. Ziele zu erreichen, muss demgegenüber eine Stärkung des Schienenverkehrs erfolgen.
Ein gravierender Mangel des vorgestellten BVWP-Entwurfs: Für insgesamt 43 Schienenprojekte wurde eine Bewertung bislang gar nicht durchgeführt (gegenüber 21 neuen Vorhaben des Vordringlichen Bedarfs und 3 Projekten des Weiteren Bedarfs)! Hierfür wurde eine Kategorie „Potenzieller Bedarf“ kreiert. Eine Bewertung bzw. Einstufung soll erst in einer zweiten Phase nach der Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplans 2030 erfolgen. Einen verbindlichen Termin gibt es dafür jedoch nicht.
Im „Potenziellen Bedarf“ befinden sich dabei keineswegs zweitrangige Projekte, sondern wichtige Maßnahmen zur Engpassbeseitigung bzw. Kapazitätserhöhung, die der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Systems Schiene dienen. Dies ist ein Skandal! Es zeigt aber, wo die Prioritäten in der aktuellen Verkehrspolitik gesetzt werden.
Angesichts der gravierenden Lücken in der Entwurfsfassung des Bundesverkehrswegeplans ist es daher nicht sachgerecht bzw. deutlich verfrüht, bereits im Sommer 2016 einen Beschluss durch das Bundeskabinett herbeizuführen. Es ist unumgänglich, dass alle Maßnahmen dieses Plans vollständig durchgerechnet und bewertet werden. Der BVWP wird die Verkehrsinvestitionspolitik für die nächsten 15 Jahre maßgeblich beeinflussen, eine entsprechende Sorgfalt bei der Erstellung muss daher selbstverständlich sein.
Im Folgenden wird die Stellungnahme seitens DBV und IGEB zu einigen Projekten des Bundesverkehrswegeplans vorgestellt. Angesichts des Umfangs wurde lediglich eine Auswahl getroffen. Die Liste ließe sich (leider) fortsetzen.
Im Bundesland Brandenburg wurde der 6-spurige Ausbau der Autobahn A12 im Abschnitt AD Spreeau—AS Frankfurt (Oder) in der Kategorie neues Vorhaben/weiterer Bedarf (Projekt-Nr. A12-G10-BB) aufgenommen. In der Grobbewertung ausgeschieden sind dagegen das Schienenprojekt ABS Berlin—Küstrin-Kietz—Grenze D/PL (Projekt-Nr. 1-032) bzw. ABS/NBS Berlin—Müncheberg—Frankfurt (Oder)—Grenze D/PL (Projekt-Nr. 1-033). Diese Prioritätensetzung zu Lasten der Schiene ist nicht nachvollziehbar.
Benanntes Schienenprojekt dient u. a. auch der Erreichung der Ziele entsprechend dem „EU-Weißbuch/Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum“ vom 28.3.2011. Hier heißt es u. a.: „30% des Straßengüterverkehrs über 300 km sollten bis 2030 auf andere Verkehrsträger wie Eisenbahn- oder Schiffsverkehr verlagert werden, mehr als 50% bis 2050, was durch effiziente und umweltfreundliche Güterverkehrskorridore erleichtert wird. Um dieses Ziel zu erreichen, muss auch eine geeignete Infrastruktur geschaffen werden.“
Der Ausbau der Schienenwege in der Ost-West-Relation bietet die Chance, u. a. gerade die Kapazitäten im Kombinierten Verkehr Schiene-Straße auszuweiten und endlich (entsprechend dem Vorbild der Länder Österreich und Schweiz) Verkehre auf die Schiene zu verlagern und beschriebenes Ziel aus dem EU-Weißbuch zu erreichen. Im Gegenzug ist das überflüssige Autobahn-Ausbauprojekt Nr. A12-G10-BB aus der Projektliste zu streichen.
Bestandteil dieses Projektvorschlags (Projekt-Nr. 1-031) ist u. a. die Beseitigung des eingleisigen Engpasses im Bahnhof Königs Wusterhausen. Diese Maßnahme ist in der Grobbewertung ausgeschieden. Diese Entscheidung ist insofern unverständlich, da durch den Umbau ein betrieblicher Engpass und damit eine wesentliche Verspätungsursache auf dieser Strecke beseitigt würden. Dieses Projekt muss deshalb als Maßnahme des Vordringlichen Bedarfs (VB) aufgenommen werden.
Dieses Vorhaben (Projekt-Nr. 2-028-V01) ist lediglich als Potenzieller Bedarf eingestuft, die Projektbewertung damit nicht abgeschlossen. Angesichts der erheblichen Attraktivitätsprobleme des Schienenverkehrs in der Relation Berlin—Wrocław (Breslau)—Kraków (Krakau) ist diese Entscheidung nicht nachvollziehbar. Der Ausbau bzw. die Elektrifizierung dieser Strecke und die zeitnahe Umsetzung der Maßnahme ermöglichen die Führung durchgehend elektrisch betriebener Züge in der Relation Berlin—Cottbus—Horka—Węgliniec (Kohlfurt)—Wrocław. Damit können deutlich attraktivere Fahrzeiten im Schienenpersonenfernverkehr von ca. 3:20 Stunden zwischen Berlin und Breslau erreicht werden. Der Entfall von Umspannaufenthalten beschleunigt außerdem den Schienengüterverkehr.
Die derzeit bestehenden deutlichen Wettbewerbsnachteile des Verkehrsträgers Schiene im Vergleich zur Straße sind nicht akzeptabel.
Dieses Projekt (Projekt-Nr. 2-999-V99) dient der Ertüchtigung des Netzes für den Einsatz von 740 m langen Güterzügen und damit der Kapazitätssteigerung bzw. Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs. Es ist im Entwurf des Bundesverkehrswegeplans aber ebenfalls nur als Potenzieller Bedarf gelistet. Eine Bewertung dieses Projekt liegt nicht vor. Um die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie bzw. des EU-Weißbuchs zu erreichen, ist dieses Projekt in die überarbeitete Fassung des Bundesverkehrswegeplans als Vordringlicher Bedarf einzustufen.
Bei der Bewertung der für den Bundesverkehrswegeplan 2030 eingereichten Projekte wurden diejenigen Projekte abgelehnt, die ausschließlich dem SPNV dienen. Beispielhaft seien hier die Ausbaustrecke Berlin—Stralsund (Projekt-Nr. 1-034) und die Strecke Ducherow—Świnoujście (Swinemünde) (Projekt-Nr. 1-387) genannt.
Dies ist in vorliegenden Fällen gleich aus mehreren Gründen nicht korrekt:Aus all diesen Gründen müssen alle im Rahmen der Grobbewertung mit der Begründung „SPNV-Maßnahme“ ausgeschiedenen Projekte des Schienenverkehrs erneut geprüft und bewertet werden bzw. in den überarbeiteten Entwurf des Bundesverkehrswegeplans 2030 aufgenommen werden.
Es sollte alles ganz anders werden beim Bundesverkehrswegeplan 2030: Transparenz bei der Entscheidungsfindung, frühzeitige und umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung, nachvollziehbare Entscheidungen. Was ist von diesen Zielen übrig geblieben?
Angesichts der breiten Kritik an dem vorgelegten Entwurf hatte die Bundestagfraktion Die Linke eine öffentliche Anhörung im Bundestag beantragt. Verständlich, wenn beispielsweise das Umweltbundesamt feststellt, dass der vorgelegte Entwurf elf der zwölf Umweltvorgaben nicht erfüllt.
Des Weiteren hatte der Bundesrechnungshof festgestellt, dass Straßenbauprojekte schöngerechnet und Kosten einfach verschwiegen werden. Daher sollte man annehmen, dass auch die Abgeordneten Beratungsbedarf haben.
Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall: Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD lehnten die beantragte öffentliche Anhörung ab, da angeblich kein Diskussionsbedarf bestehe!
So ist zu erwarten, dass der von Alexander Dobrindt vorgestellte Entwurf mit wenigen kosmetischen Änderungen vom Bundeskabinett durchgewunken wird.
Zweifel sind auch an der ernsthaften Auswertung der vielen Eingaben, z. B. seitens der Fahrgastverbände, angebracht. Es ist zu befürchten, dass u. a. der DBV-Bundesverband, viele seiner Gliederungen und viele weitere Verbände letztlich wohl für den Aktenschredder ihre Freizeit geopfert haben. Eine demokratische Beteiligung, wenn sie denn ernsthaft gewünscht wird, sieht anders aus.
Deutscher Bahnkunden-Verband und IGEB Fernverkehr
aus SIGNAL 3/2016 (Juli 2016), Seite 20-23