Titelthema Tarife
Tarifbestimmungen sind eine Wissenschaft für sich. Vieles muss beachtet werden. Eine Sonderregelung hier, eine Ausnahme da. Und die Ausnahme von der Ausnahme übersieht fast jeder. Ein Fahrgast – im Regelfall ein Laie – vertraut dabei auf die Informationen, die er vom Verkehrsunternehmen erhält, bei dem er seine Fahrkarte kauft. Dieses Vertrauen kann aber enttäuscht und dann möglicherweise teuer werden, was wir nachfolgend am Beispiel des VBB-Schülerferientickets zeigen.
3. Sep 2016
Voller Stolz offerierte der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) am 20. Juli 2016 zum Beginn der Sommerferien wieder das beliebte Schülerferienticket. Ein sehr begrüßenswertes Angebot! Zur Nutzungsberechtigung schrieb man in der Pressemitteilung: „Das Schülerferienticket ist nur in Verbindung mit einem Schülerausweis, dem Schüler-Fahrausweis oder einer Schulbescheinigung für das Schuljahr 2015/2016 bzw. 2016/2017 gültig.“
Dasselbe ist auch im Info-Faltblatt des Verbundes zu lesen, offenbart aber nur die halbe Wahrheit! Denn Schüler ist nicht gleich Schüler. Gemäß den Tarifbestimmungen des VBB dürfen nur die
Schüler der 1. bis 13. Klasse einer allgemeinbildenden Schule das Schülerferienticket nutzen. Andere Vollzeitschüler (beispielsweise an Oberstufenzentren, Volkshochschulen, Fachschulen) sowie Studenten und Auszubildende (auch ohne Einkommen) sind von der Nutzergruppe ausgeschlossen!
Doch wo erfährt der geneigte Nutzer/Schüler dies? In der Tarifbroschüre des VBB ist das Angebot nicht gelistet, da diese erschien, bevor das Angebot final fest stand. Eine Ergänzung zum Tarif haben wir erst nach gezielter Anfrage via Facebook beim VBB erhalten. Denn dort betreibt der VBB eine kurzweilige Infoseite mit vielen Ausflugs-Anregungen, Rabattaktionen und Verlosungen für die Zielgruppe. Die tarifliche Information zum Ticket selbst ist jedoch genauso kurz und unvollständig gehalten wie im Faltblatt.
Sehr unterschiedlich und teilweise unzureichend sind die Informationen auch an den Bezugsquellen für das Schülerferienticket.
An den Automaten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wird primär nur auf einen Schülerausweis bzw eine aktuelle Schulbescheinigung als Nutzungsvoraussetzung hingewiesen. Über den Info-Button kommt man zwar in eine lange Liste von Ticketbeschreibungen, findet nach einigem Blättern dann aber die Bestimmungen zum Schülerferienticket 2015 (also vom vorigen Jahr). Immerhin wird dort auf die Einschränkung bis 13. Klasse hingewiesen, auch wenn die Aktualität nicht zwangsläufig garantiert ist.
Die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) stellt an ihrem Fahrkartenautomaten (wir haben uns den in Ostkreuz angesehen) keinerlei Tarifinformationen bereit.
Die DB-Automaten haben beim Ticketkauf einen Tarifinfobutton, über den man zu den Bedingungen gelangt, und bei der S-Bahn werden idealerweise alle erforderlichen Informationen direkt in der Kaufansicht für das Angebot angezeigt, ohne dass man durch diverse Seiten tappen muss. Beide verschweigen die Beschränkung nicht.
Die Informationsangebote der Verkehrsunternehmen auf ihren Internetseiten sehen ebenso vielschichtig aus:
„Wichtige Info: Das Schülerferienticket können alle Schüler und Schulabgänger des Jahrgangs 2016 von allgemeinbildenden Schulen in der Bundesrepublik Deutschland – keine Volkshochschulen – bis einschließlich Klassenstufe 13 erwerben. Das Angebot kann nicht von Auszubildenden oder Studierenden genutzt werden.
Das Schülerferienticket ist nur mit einem gültigen Schülerausweis bzw. einer Schulbescheinigung für das Schuljahr 2015/2016 bzw. 2016/2017 der Klassenstufen 1 bis 13 oder mit einem Schüler-Fahrausweis für das Schuljahr 2015/2016 gültig. Dieser/diese ist auf der Fahrt mitzuführen und bei der Fahrausweisprüfung vorzuzeigen.“
Wer auf VBB.de nicht über das Menü Fahrpreise > Fahrausweissortiment > Für Schüler und Auszubildende gehen, sondern über die Suchfunktion das Schülerferienticket finden möchte, bekommt die entsprechende Seite leider erst an 13. Stelle angezeigt. Eine alte Presse-Info zum Angebot von 2012 erscheint dafür an erster Stelle. Hier sollte der VBB Abhilfe schaffen.
Voller Zuversicht, dass wenigstens die Damen und Herren vom Fach kompetent Auskunft geben, sind wir auch am Fahrkartenschalter vorstellig geworden. In den Kundenzentren der S-Bahn bekamen wir jedoch beängstigende Aussagen. Das Schülerferienticket könne jeder erwerben, der einen gültigen Schülerausweis hat, und wir wurden auf das unvollständige Faltblatt des VBB verwiesen. Auf direkte Nachfrage zu der Nutzungseinschränkung wurde uns erklärt, dass diese Aussage falsch sei! Ähnliches wiederfuhr uns bei der BVG. Auch hier wussten die Verkäufer nicht, dass nur Schüler der 1. bis 13. Klasse dieses Ticket nutzen dürfen.
Befragungen von Zugbegleitern bei DB Regio, ODEG und NEB ergaben ähnliche Aussagen. Lediglich bei einem ODEG-Zugbegleiter wurde uns gesagt, es gäbe da diese Einschränkung. Nur habe er dies in keiner Weise schriftlich, und so erkenne er das Ticket grundsätzlich an, wenn ein gültiger Schülerausweis vorgezeigt werde.
Dem Informationswirrwarr muss Einhalt geboten werden. Der Berliner Fahrgastverband IGEB sieht den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg in der Verantwortung, einfache und leicht verständliche Tarifbestimmungen zu formulieren und diese überall vollständig zu publizieren. Auch ist unbedingt darauf zu achten, dass alle Unternehmen im VBB diese einheitlich in der jeweils aktuellen Fassung – ohne eigene Änderungen – übernehmen und ihren Fahrgästen kommunizieren.
Um der Gefahr vorzubeugen, die junge Kundschaft schon frühzeitig zu vergraulen, ist es wünschenswert, bei vergleichbaren Zielgruppen-Angeboten keine unterschiedlichen Nutzungsbedingungen zu formulieren. Denn allein schon jeder Schüler, der eine VBB-Monatskarte für Schüler und Azubis hat, geht davon aus, dass er auch das Schülerferienticket nutzen kann. Dazu zählen eben nicht nur die Schüler der 1. bis 13. Klasse. (md/BfVst)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 4/2016 (September 2016), Seite 6-7