Deutschland
Mit dem Wettbewerb „Bahnhof des Jahres“ prämiert die Allianz pro Schiene bereits seit 2004 die kundenfreundlichsten Bahnhöfe in Deutschland. Auch 2016 hat die Jury nach etlichen Testreisen durch ganz Deutschland zwei auserwählt: In der Kategorie „Alltagsmobilität“ gewinnen Stralsund Hauptbahnhof und der Bahnhof Steinheim (Westfalen).
3. Sep 2016
Das heutige denkmalgeschützte, im neogotischen Baustil errichtete Empfangsgebäude entstand im Zeitraum 9. November 1903 bis 29. März 1905 und ersetzte den hölzernen Vorgängerbau der Angermünder-Stralsunder Eisenbahn aus dem Jahr 1863. Der Turm neben der Eingangshalle stellt dabei bewusst eine architektonische Anlehnung an die drei großen Stralsunder Pfarrkirchen dar.
In den 1990er Jahren wurde das Empfangsgebäude umfassend saniert und verschiedene Ladengeschäfte eingebaut. Neben dem auch von anderen Bahnhöfen bekannten Branchenmix ist dabei die BIO-Insel, ein Naturkostladen mit einem gemütlichen Restaurant, hervorzuheben. Auch ohne Verzehrzwang sind im Bahnhof ausreichend Sitzgelegenheiten vorhanden, u. a. in dem sauberen, beheizbaren Warteraum.
Eine gestalterische Besonderheit sind die beiden großformatigen Gemälde im oberen Bereich der Empfangshalle. Im Jahr
1935 fertigte der Stralsunder Künstler Erich Kliefert auf der westlichen Seite eine farbige Darstellung Stralsunds, auf der östlichen Seite eine ebensolche Darstellung der Insel Rügen an.
Die Bahnsteige wurden im Rahmen des Umbaus auf eine Höhe von 76 cm gebracht und die Bahnsteigüberdachungen erneuert. Der Querbahnsteig wurde mit einem großzügigen Glasdach versehen, so dass ein umfassender Wetterschutz gewährleistet ist. Im Vergleich zur Situation an vielen anderen modernisierten Stationen ist dies leider keine Selbstverständlichkeit mehr.
Ein Pluspunkt von Stralsund Hauptbahnhof ist nicht zuletzt das aufmerksame, stets höfliche Sicherheitspersonal.
Erstmals seit Bestehen des Wettbewerbs erhält ein Bahnhof in Nordrhein-Westfalen die Auszeichnung „Bahnhof des Jahres“. Für die Weiternutzung des Empfangsgebäudes wurde in Steinheim, einer Stadt mit rund 13 000 Einwohnern an der Strecke Hannover—Paderborn, ein wegweisendes Konzept umgesetzt. Seitens der Stadt wurde das Empfangsgebäude von der DB Station & Service AG erworben und von einer Investorengruppe grundlegend saniert. Heute beherbergt es einen Fahrkartenschalter, einen Verkaufsraum für Reisendenbedarf bzw. ein gemütliches kleines Café, ein Hotel und ein griechisches Restaurant mit Biergarten.
Im Oktober 2014 wurde im Rahmen der „Modernisierungsoffensive II“, einer Rahmenvereinbarung über die Förderung und Finanzierung von Maßnahmen zur Qualitätssteigerung an insgesamt 117 kleinen und mittleren Verkehrsstationen in Nordrhein-Westfalen, mit der Erneuerung der Bahnsteige und Zugänge begonnen. Insgesamt wurden rund 2,3 Mio. Euro u. a. für die Ertüchtigung der Station für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste, die Erneuerung der Wegeleitsysteme und den Neubau eines Außenbahnsteigs bzw. die Erhöhung der Bahnsteige auf 76 cm für den barrierefreien Ein- und Ausstieg investiert.
In Steinheim ist mit diesen Maßnahmen eine sehr attraktive Verkehrsstation entstanden, die hoffentlich Vorbild für ähnliche Projekte, insbesondere für viele kleine Bahnhöfe wird.
Die Jury, welche die Bahnhöfe prüft und bewertet, besteht aus Vertretern der Allianz pro Schiene, des Deutschen Bahnkunden-Verbandes (DBV), von Pro Bahn, des Auto Club Europas (ACE), des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Für die Bewertung touristischer Qualitäten sind außerdem auch Experten des Deutschen Tourismusverbandes (DTV), der Natur-Freunde Deutschlands und der Kooperation „Fahrtziel Natur“ an der Entscheidung beteiligt.
Ausgezeichnet werden grundsätzlich nur Bahnhöfe, die nach einer festen Kriterienliste am besten auf Bedürfnisse von Besuchern bzw. Bahnkunden eingehen und Vorbildfunktion für andere Projekte zur vielfach leider überfälligen Revitalisierung von Bahnhöfen haben. Objektive Erfordernisse wie Kundeninformation, Sauberkeit, Integration in die Stadt und die Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln sind dabei ebenso entscheidend wie ein eher subjektiver Wohlfühlfaktor. K.O.-Kriterien sind dagegen u. a.: Kein Service-Personal vor Ort, fehlende Barrierefreiheit, Sicherheitsmängel z. B. an Bahnsteigbelägen oder schmutzige bzw. defekte Toiletten.
Bei den Tests 2016 zeigte sich leider auch wieder: Etliche der für die Prämierung vorgeschlagenen und seitens der Jury geprüften Stationen erfüllten die Qualitätsmerkmale nur teilweise bzw. präsentierten den öffentlichen Verkehr wiederum als „Stiefkind“ der Mobilität. Die im Rahmen der Jury-Qualitätschecks angetroffenen Verschmutzungen bzw. der Reinigungszustand auf Bahnsteigen, in Bahnsteigtunneln, speziell auch von sanitären Anlagen und im direkten Umfeld des Bahnhofs haben teilweise ein solch inakzeptables und für Bahnkunden abschreckendes Ausmaß, dass eine Prämierung nicht in Frage kam. Die bei vielen Bahnhöfen getätigten hohen Investitionen für die umfassende Modernisierung haben aber letztlich nur eine beschränkte Wirkung, wenn in der Folgezeit an einer kontinuierlichen Pflege und Instandhaltung gespart wird. Hier besteht leider noch viel zu häufig großer Handlungsbedarf.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV)
aus SIGNAL 4/2016 (September 2016), Seite 26-27