Fernverkehr

Schneller als der Kulturzug und der EC Wawel

Am 16. Juli 2016 gelang eine Rekordfahrt von Breslau nach Berlin in nur 3 Stunden 34 Minuten


Dr. Jürgen Murach
Stv. Vorsitzender des Fachausschuss Mobilität der SPD Berlin

9. Nov 2016

Foto: Frank Lammers

Zum Fahrplanwechsel im Dezember 2014 wurde mit der Einstellung des Eurocity „Wawel“, dem letzten Fernzug zwischen Berlin und Wrocław (Breslau), ein Tiefpunkt im Eisenbahnverkehr zwischen Deutschland und Polen erreicht. Die Einstellung war nicht nur ein herber Rückschlag für die Zusammenarbeit der benachbarten Metropolen Berlin und Breslau, sondern auch für das Zusammenwachsen der europäischen Grenzregionen („Oder-Partnerschaft“) zu einem einheitlichen Arbeitsmarkt und Wirtschaftsraum.

Neuanfang mit dem „Kulturzug“

Es ist der Initiative von Berlins Senator Andreas Geisel und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke zu verdanken, dass seit April 2016 an Wochenenden ein „Kulturzug“ in die Europäische Kulturhauptstadt Breslau fährt. Dieser Zug wird von den Ländern Berlin

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und Brandenburg finanziert. Eingesetzt werden ältere „polonisierte“ Triebzüge der Baureihe 628, indem von DB Regio neben dem deutschen Zugsicherungssystem INDUSI auch das polnische Zugsicherungssystem SHP eingebaut wurde.

Startklar in Berlin-Lichtenberg für die Rekordfahrt : Ein Zug der neuen Baureihe 623 benötigte am 16. Juli 2016 für die Fahrt nach Breslau nur 3:52 Stunden, zurück sogar nur 3:34 Stunden. Foto: Heike Stock

Das Zugangebot ist bis zum 8. Januar 2017 gesichert. Leider sind die Fahrzeiten gegenüber dem Fernbus unattraktiv. Das Land Brandenburg hatte seine Unterstützung davon abhängig gemacht, dass der Kulturzug aus „regionalpolitischen“ Gründen über Forst verkehrt. Die eingleisige polnische Strecke von Forst bis Miłkowice (bei Liegnitz) lässt nur Geschwindigkeiten von 50 bis 70 km/h zu. Berlin favorisierte den schnelleren Weg unter Nutzung der zweigleisigen Strecke Węgliniec (Kohlfurt)—Wrocław (Breslau), die als polnische „Musterstrecke“ zweigleisig auf 160 km/h ausgebaut ist. Leider ist diese Strecke derzeit eine „Investitionsruine“, denn es verkehren nur einige Regionalbahnen. Der Dresden-Breslau-Express verfügt nur über Fahrzeuge, die für 120 km/h zugelassen sind und auf polnischer Seite sehr oft halten.

Damit die Fahrzeit durch die zahlreichen Baustellen im Bereich Köpenick sich nicht weiter verlängern, hatten sich die Besteller für einen Laufweg von Berlin Lichtenberg mit Halt im neuen Regionalbahnhof Ostkreuz entschieden.

Trotz der Fahrzeiten von über 4½ Stunden war die Nachfrage nach dem Kulturzug überwältigend, wozu auch das Kulturprogramm während der Fahrt beigetragen hat. An einzelnen Tagen waren die Züge überfüllt und DB Regio musste parallel Busse einsetzen. Da es kaum Schienenfahrzeuge mit polnischer Zugsicherung gibt, konnten maximal drei gekoppelte Triebzugeinheiten mit maximal 420 Sitzplätzen verkehren – und manchmal fiel eine Einheit aus.

Rekordfahrt, um ein Zeichen zu setzen

Der Berliner SPD-Fachausschuss Mobilität in Kooperation mit dem Abgeordneten Frank Jahnke konnte auf einer Demonstrationsfahrt am 16. Juli 2016 beweisen, dass es schon heute möglich ist, Züge nach Breslau mit erheblich kürzeren Fahrzeiten anzubieten. Eingeladen zu dieser Schnellfahrt waren auch Eisenbahn-Experten, Fahrgastverbände sowie Senator Geisel.

Im Breslauer Hauptbahnhof bereiten polnische Politiker, (im Bild links der Sejmik-Abgeordnete Marek Dyduch), Journalisten und Bürger den Berliner Teilnehmern der Rekordfahrt einen großen Empfang. Foto: Heike Stock

Es gelang, einen fabrikneuen Triebzug der Baureihe 623 (bestimmt für die RE-Linie Stettin—Lübeck) zu chartern. Das Fahrzeug ist für 140 km/h zugelassen. Bei der Bestellung der Trassen stellte sich heraus, dass dieser Triebzug in Polen nur 130 km/h fahren darf. Voraussetzung in Polen für höhere Geschwindigkeiten ist ein Sitz für einen zweiten Lokführer; ein Klappsitz wird nicht akzeptiert!

DB Netze und PLK konnten unseren Wunsch nach einer Fahrplantrasse mit nur geringen Kreuzungsaufenthalten im eingleisigen Abschnitt zwischen Lübbenau und Görlitz erfüllen. Mit Zwischenhalten in Cottbus, Görlitz und Zgorzelec konnten wir bereits auf der Hinfahrt eine beachtliche Fahrzeit von 3:52 Stunden bieten – trotz zweier Zugkreuzungen.

Höhepunkt war die Rückfahrt, die um 21.14 Uhr im Breslauer Hauptbahnhof begann. Trassenkonflikte mit den zu dieser Zeit verkehrenden Kohlezügen gab es nicht, denn die Strecke nach Görlitz ist für einen Zwei-Gleis-Wechselbetrieb ausgerüstet. Besonders beeindruckend war eine fliegende Überholung eines Güterzuges auf dem Bunzlauer Viadukt, wo unser Zug auch mal ausnahmsweise eine kurze Zeit bis auf 143 km/h beschleunigte.

Nach 3 Stunden 34 Minuten in Berlin

Aufgrund reduzierter Kreuzungshalte zwischen Görlitz und Lübbenau zur späten Stunde konnten wir eine Rekordfahrzeit Breslau—Ostkreuz von 3:34 Stunden erreichen. Der vor dem Zweiten Weltkrieg verkehrende „Fliegende Breslauer“ war eine Stunde schneller. Aber ein Blick in den Sommerfahrplan 1939 zeigt, dass die Fahrzeiten aller anderen dampfgeführten Schnellzüge über vier Stunden betrugen. Es war somit die zweitschnellste Fahrt!

Mit Unterstützung der Europäischen Union haben Berlin, Breslau und Niederschlesien im INTERREG Programm „Via Regia Plus“ eine Konzeption für den zukünftigen Bahnverkehr entwickelt. Die Bahnkonzeption sieht einen neuen Laufweg der Fernzüge über Horka und Węgliniec (Kohlfurt) vor. Wichtigste Maßnahmen sind die Schließung der 72 km langen Elektrifizierungslücke zwischen Cottbus und Horka und der Wiederaufbau des zweiten Gleises.

Zukunftspläne für Berlin—Breslau

Quelle: EU Projekt Via Regia Plus
Stufe 1: Fahrzeit Berlin—Breslau nach Elektrifizierung Hoyerswerda—Horka 2018 auf 160 km/h 3:33 h Quelle: EU Projekt Via Regia Plus
Stufe 2: Elektrifizierung Cottbus—Görlitz mit Fahrzeit Berlin—Breslau via Horka Vk: 2:55 h; via Görlitz: 3:22 h. In zwei Stufen soll die Fahrzeit mit der Bahn zwischen Berlin und Breslau in den nächsten Jahren auf rund drei Stunden vermindert werden. Quelle: EU Projekt Via Regia Plus

Ab Dezember 2018 könnten als erste Zwischenstufe IC-Züge von Berlin nach Breslau und Krakau elektrisch ohne Lokwechsel über den neuen Flughafenbahnhof BER, Cottbus, Senftenberg, Hoyerswerda und Horka in 3:33 Stunden nach Breslau verkehren (Stufe 1). Das entspräche der Rekordfahrt vom 16. Juli 2016.

Weitere 40 Minuten Fahrzeitverkürzung würden der Wiederaufbau des 1946 von der Sowjetunion demontierten zweiten Gleises und die Elektrifizierung Cottbus—Horka bringen, die vom Land Brandenburg im Bundesverkehrswegeplan angemeldet wurde (Stufe 2). Im bisherigen Referentenentwurf wurde diese Maßnahme leider nicht mit einer hohen Priorität eingestuft.

Für den Sommer 2017 plant der Fachausschuss Mobilität eine weitere Rekordfahrt über die dann fertiggestellte Verbindungskurve in Horka. Wir könnten uns dann einer Fahrzeit von 3 Stunden für Berlin—Breslau nähern. Leider gibt es keinen für 160 km/h in Deutschland und Polen zugelassen Dieseltriebzug. Dann könnten wir vielleicht sogar die drei Stunden unterbieten. Für diese Fahrt müssen allerdings noch Spenden gesammelt werden. Allein über 2500 Euro sind für die Nutzung der Trassenpreise zu entrichten Dieses Problem hat der Fernbus nach Breslau nicht.

Dr. Jürgen Murach
Stv. Vorsitzender des Fachausschuss Mobilität der SPD Berlin

aus SIGNAL 5/2016 (November 2016), Seite 24-25